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HEGEMONIE/1763: NSA-Spähaffäre - Hinter den Scharaden die Kontinuität blutiger Kriege (SB)




Die NSA-Spähaffäre hat auf bundespolitischer Ebene vor allem einen Effekt - die politische Klasse wird insgesamt immer unglaubwürdiger. Wenn die Regierungskoalition meint, sich aus der Schußlinie bringen zu können, indem sie SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier bezichtigt, 2002 als Kanzleramtschef und Geheimdienstkoordinator die Grundlage für die Zusammenarbeit zwischen BND und NSA gelegt zu haben, dann tut sie gerade so, als sei die Politik der weitreichenden geheimdienstlichen Kooperation mit Washington nicht ganz in ihrem Sinne gewesen. Die Einsprüche der Opposition gegen den faktischen Offenbarungseid, mit dem der damalige Bundeskanzler der rot-grünen Regierung, Gerhard Schröder, sich der US-Regierung andiente, waren ebenso dünn gesät wie der Widerstand der Unionsparteien und FDP gegen die Entsendung der Bundeswehr nach Afghanistan.

Als die Frage der deutschen Beteiligung am Irakkrieg zur Debatte stand, erwies sich Angela Merkel als treue US-Vasallin, während Schröder seine Wiederwahl durch den scheinbaren Widerstand gegen diese unpopuläre Kriegsbeteiligung sicherte. 2006 wurde im Parlamentarischen Kontrollgremium (PKG) ruchbar, daß in Bagdad stationierte BND-Agenten während des Irakkriegs im März und April 2003 25 sensible Ziele an die BND-Zentrale übermittelten, die anschließend auch an US-Dienststellen weitergegeben wurden. Weitere Stationen der engen Zusammenarbeit mit US-Diensten waren die Verschleppung Khaled El-Masris, die Ablehnung der Rückkehr des ebenfalls verschleppten Murat Kurnaz nach Deutschland, und die stillschweigende Duldung geheimer CIA-Flüge über der Bundesrepublik, mit denen ebenfalls Menschen in Folterhaft verschleppt wurden.

Was die rot-grüne Führung liegenließ, konnte Steinmeier als Außenminister der Regierung Merkel ab 2005 fugenlos fortsetzen. In der von den USA und Israel betriebenen Isolierung und Bedrohung des Iran war auf die Bundesrepublik ebenso Verlaß wie bei der Dämonisierung des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad, den Steinmeier wegen einer angeblich israelfeindlichen Rede mit einem diplomatischen Boykott belegte. An die Adresse des SPD-Politikers gerichtet, der sich als Vermittler zwischen Syrien, Washington und Israel ins Gespräch gebracht hatte, um wegen der Parteinahme Assads für die Hisbollah im Libanonkrieg den Kopf einzuziehen, hatte dieser im Interview mit dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel (25.09.2006) für den angeblich ethisch hochwertigen Charakter der deutschen Außenpolitik kaum verhohlenen Spott übrig:

"Immer, wenn ihr Deutschen nach Syrien kommt, sprecht ihr über Meinungsfreiheit. Warum lasst ihr mir nicht meine Meinung? Aber ernsthaft: Als Politiker sollte man genau hinhören. Ich habe in meiner Rede 57-mal das Wort 'Frieden' verwendet. Und wenn diese Rede kriegerisch war - wie soll man es dann bewerten, dass Deutschland den Israelis jedes zweite Jahr ein U-Boot liefert?"

Die besondere Verantwortung für Israel, die Der Spiegel für Steinmeier in die Waagschale warf, quittierte der syrische Präsident mit einer nicht minder streitbaren Gegenfrage:

"Meinen Sie damit, dass Israel Palästinenser und andere Araber töten darf, weil in Deutschland seinerzeit die Juden getötet wurden?"

Assad hatte der zynischen Aussage der US-Außenministerin Condoleezza Rice, bei den flächendeckenden Bombenangriffen Israels auf den Libanon handle es sich "um die Geburtswehen eines neuen Nahen Ostens", mit den Worten eine Absage erteilt, daß "ihr auf Unterjochung und Demütigung, auf der Negierung von Rechten und Identität basierender 'Neuer Naher Osten' sich als Illusion erwiesen" habe. Da die Bundesrepublik die Kriegführung Israels gegen den Libanon 2006 voll und ganz unterstützte, blieb für die Option einer eigene Vorteile suchenden Schaukelpolitik wenig Raum. Konsequent war Steinmeier bei allem Opportunismus des Manövrierens zwischen den Fronten letztlich darin, im Auftrag der heutigen Bundeskanzlerin Angela Merkel, der er bis 2009 als Außenamtschef diente, Farbe für Israel und die USA zu bekennen.

Die Folgen dieser Parteinahme für die Region des Nahen und Mittleren Ostens könnten kaum verheerender sein. Seit zwei Jahren wird Syrien unter massiver Unterstützung durch NATO-Staaten in Trümmer gelegt. Dabei handelt es sich nicht um das Ergebnis des demokratischen Widerstands, mit dem Teile der Bevölkerung gegen die Herrschaft Assads aufbegehrten, sondern um dessen Instrumentalisierung durch die gleichen Regierungen, die zuvor die libysche Gesellschaft unter dem Vorwand ihrer Demokratisierung in Blut erstickten. Der jüngste Schritt der EU, die libanesische Hisbollah auf die Terrorliste zu setzen, dokumentiert die Bereitschaft auch der Bundesregierung, immer mehr Öl ins ohnehin schon heftig lodernde Feuer des Krieges in Syrien und darüber hinaus zu gießen. So kommt es im Irak fast täglich zu opferreichen Anschlägen, nur daß dies in denjenigen Staaten, die den Überfall der USA und Britanniens auf das Land unterstützten, kaum mehr zur Kenntnis genommen wird. Wo die Ressourcensicherung und Öffnung neuer Märkte durch die NATO-Staaten mittels kreativer Zerstörung im Feuer erst dabei ausbrechender ethnisch-religiöser Konflikte versinkt, hält man auf Distanz, um das hartnäckig an den eigenen Händen klebende Blut zu verstecken.

Das gilt für Afghanistan wie für Ägypten. Dort haben EU und USA jahrzehntelang den Diktator Hosni Mubarak unterstützt, um im arabischen Frühling mit fliegenden Fahnen die Seiten zu wechseln, da die Gefahr bestand, die hegemoniale Kontrolle über das Land zu verlieren. Die Regierung der Muslimbrüder wurde nach nur einem Jahr der nichtvorhandenen Bereitschaft der NATO-Staaten geopfert, es der Bevölkerung selbst zu überlassen, sich aus der nicht zuletzt durch die eigenen Streitkräfte zementierten neokolonialistischen Abhängigkeit zu befreien, die den sozialen Krieg in der ägyptischen Gesellschaft weit mehr bedingt als die Differenzen zwischen säkularen und islamischen Parteien. Kurz gesagt, die Nahostpolitik der NATO-Staaten und damit der Bundesregierung könnte, zumindest was ihre offiziell erklärten Ziele betrifft, nicht umfassender gescheitert sein.

Dies wird gerne vergessen, wenn nun angesichts der sich immer deutlicher abzeichnenden Totalüberwachung via Internet und anderer informationstechnischer Systeme beschwichtigend behauptet wird, es ginge doch nur um die Abwehr des Terrorismus. Einmal abgesehen davon, daß Anschläge keineswegs die wahrscheinlichste Möglichkeit sind, unter unnatürlichen Bedingungen ums Leben zu kommen, sondern ganz unten auf der Skala alltäglicher Gefahren in europäischen Metropolengesellschaften stehen, wird kaum in Rechnung gestellt, in welchem Ausmaß die Hegemonial- und Eroberungspolitik der NATO-Staaten für das Aufflammen von Gegengewalt unter anderem auch in dieser Form verantwortlich ist.

Die transatlantische Achse ist bei allen zwischenimperialistischen Widersprüchen und Konkurrenzkämpfen eine besonders starke Strebe kapitalistischer Herrschaftsicherung. Die NSA-Spähaffäre außerhalb der zuletzt im geplanten Transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP) geschmiedeten Bündnisse gegen das globale Elendsproletariat auch nur halbwegs angemessen in ihren Her- und Hinkünften beurteilen zu wollen, kann nicht gelingen, ohne die soziale Frage im globalen Maßstab aufzuwerfen. Im Ergebnis der Scharaden, mit der sich diese und die nächste Bundesregierung über die Affäre hinwegretten wollen, wird der demokratische Verfassungsstaat auf eine Weise delegitimiert, daß die Durchsetzung autoritärer Formen der Machtausübung desto wahrscheinlicher wird, als die Zahnlosigkeit des Protests gegen die Willkür exekutiver Ermächtigung, wie sie etwa in der NSA-Spähaffäre hervortritt, offenbar wird. Wie im Falle einer Hegemonialpolitik, die Millionen Menschen das Leben kostete und kostet, ist Gewöhnung das Gebot der Stunde. Was auf keinen Widerstand stößt, sondern achselzuckend akzeptiert wird, bildet die Vorstufe zur jeweils nächsten Qualifizierung einer administrativen Verfügungsgewalt, die desto unumkehrbarer wird, als schlußendlich selbst die Notwendigkeit ihrer symbolpolitischen Legitimation entfällt.

9. August 2013