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HEGEMONIE/1753: Clinton in Beijing - China trotzt Hegemonialanspruch der USA (SB)




Im November 2011 umriß US-Präsident Barack Obama vor dem 19. Gipfeltreffen der Südostasiatischen Staatengemeinschaft (ASEAN) in Indonesien während einer Rede vor dem australischen Parlament in Canberra die künftige Strategie seines Landes in dieser Weltregion:

Nach einem Jahrzehnt mit zwei blutigen und teuren Kriegen wenden die USA ihre Aufmerksamkeit nun auf das riesige Potenzial der Asien-Pazifik-Region. Ich habe eine strategische Entscheidung getroffen: Als Pazifiknation werden die USA eine größere und langfristigere Rolle in der Gestaltung dieser Region und ihrer Zukunft spielen. Wir sind hier, und wir werden hier bleiben.

Für seine Regierung genieße die Präsenz im pazifischen Raum oberste Priorität. Daher werde die angestrebte Reduzierung der Verteidigungsausgaben seines Landes nicht zu Lasten dieses Ziels erfolgen. Da außer der Mehrheit der Atommächte auch "rund die Hälfte der Menschheit" in Asien beheimatet sei, werde die Region "in hohem Maße bestimmen, ob das kommende Jahrhundert von Konflikt oder Zusammenarbeit, unnötigem Leid oder menschlichem Fortschritt gekennzeichnet sein wird", so der US-Präsident.

Wie Obama betonte, fürchte man China nicht und wolle das Land nicht von seinen Wirtschaftsbündnissen im asiatisch-pazifischen Raum ausschließen. Die USA erwarteten jedoch, daß Beijing die Verpflichtungen anerkenne, die es mit sich bringe, eine Weltmacht zu sein. Man werde sich um weitere Möglichkeiten einer Zusammenarbeit mit China bemühen, darunter eine ungehinderte Kommunikation zwischen den Streitkräften beider Länder. Dadurch sollten ein besseres Verständnis gefördert und Fehlkalkulationen vermieden werden. Mit der namentlichen Nennung Chinas, einer ausdrücklichen Warnung vor Konflikten und dem Verweis auf die volle Kriegskasse der USA verlieh Obama seiner Rede einen unüberhörbar bellizistischen Unterton, der keinen Zweifel an der Bereitschaft Washingtons ließ, die eigenen Hegemonialinteressen in dieser Weltregion mit militärischen Mitteln durchzusetzen.

Zentrales Konfliktfeld ist insbesondere das Südchinesische Meer, der maritime Vorhof Chinas und dessen wichtigster Handelsweg, weshalb es Beijing als seine Einflußsphäre ausgewiesen hat, in der man keine Einmischung der USA dulde. Diese nehmen jedoch wie selbstverständlich für sich in Anspruch, ihre Flugzeugträgerverbände und U-Boote bis dicht vor die chinesische Küste zu steuern, als sei dies nicht pure Aggression, sondern die selbstverständliche Gepflogenheit einer globalen Ordnungsmacht. Umgekehrt wird das Flottenprogramm Chinas zu einer expansionistisch motivierten Bedrohung der gesamten Region erklärt, der man frühzeitig entgegentreten müsse. Für die chinesische Führung ist der Aufbau einer Hochseemarine, wie er derzeit vorangetrieben wird, eine strategische Notwendigkeit, will man die Handelswege bewachen. Gesichert werden soll in erster Linie das Vorfeld bis zur "Ersten Inselkette". Wenngleich diese Ausweitung von den kleineren Anrainerstaaten durchaus als Bedrohung empfunden werden kann, handelt es sich seinem Wesen nach doch nicht um ein einseitiges aggressives Hochrüsten, als das es die Propaganda der USA bezichtigt.

Dieses Seegebiet gehört zu den geostrategisch wichtigsten Wasserwegen der Welt und ist eine Schlüsselroute für die Energieimporte Chinas. Etwa achtzig Prozent aller chinesischen Öleinfuhren kommen aus dem Nahen und Mittleren Osten und Afrika über den Indischen Ozean und die Straße von Malakka ins Südchinesische Meer. Ähnlich abhängig von dieser Passage sind jedoch auch Südkorea, Japan und andere asiatische Länder, was den Zündstoff in dieser Region vermehrt. Beschließen die USA und ihre Verbündeten eines Tages, Chinas Energienachschub zu blockieren, geschähe dies entweder hier oder im Indischen Ozean.

Darüber hinaus ist das Südchinesische Meer das einzige noch unerschöpfte Reservoir für Fischfang sowie insbesondere für Öl- und Gasressourcen. Schätzungen zufolge befinden sich dort Lagerstätten mit 23 bis 30 Milliarden Tonnen Öl und bis zu 16 Billionen Kubikmeter Erdgas, was einem Drittel aller bislang bekannten Vorräte Chinas entspricht. Im Frühjahr 2012 nahm die chinesische Offshore-Ölgruppe (CNOOC) die erste Plattform für Tiefseebohrungen im Südchinesischen Meer in Betrieb.

Anrainerstaaten des Südchinesischen Meers sind neben China und den Philippinen auch Indonesien, Taiwan, Vietnam, Malaysia, Brunei, Singapur, Thailand und Kambodscha, wobei vor allem die Inselgruppe der Spratlys, unter denen viel Öl liegen soll, als Pulverfaß gilt. Die mehr als 100 Inseln und winzigen Atolle werden von China, Vietnam und Taiwan zur Gänze, von Malaysia, Brunei und den Philippinen teilweise beansprucht. Bis auf Brunei haben alle diese Staaten bereits zahlreiche der Inseln besetzt, auf 40 von ihnen gibt es Militärgarnisonen.

Die USA rüsten Taiwan mit umfangreichen Waffenverkäufen auf, verstärken ihre Präsenz in Südkorea und Australien wie sie auch Japan in den Kordon zur Abschnürung Chinas einbinden. Japan, das bedingt durch die Niederlage im Zweiten Weltkrieg ebenso wie die Bundesrepublik Deutschland eine mehr oder minder pazifistische Zwischenetappe eingeschoben hatte, richtet seine Militärdoktrin von Grund auf neu aus und rückt als potentieller Kriegsakteur an die Seite der USA nach. Die japanischen Streitkräfte waren mit einem eindeutigen Verteidigungsauftrag versehen und sollten im kalten Krieg einen möglichen Vorstoß der Sowjetunion in Ostasien verhindern. Die künftige Strategie sieht eine Neubestimmung des maßgeblichen Gegners vor, der nicht mehr in Rußland, sondern in Nordkorea und insbesondere China gesehen wird.

Obgleich die US-Regierung den Ausbau ihres strategischen Einflusses im Pazifik offen angekündigt hat, behauptete Außenministerin Hillary Clinton bei ihrem jüngsten Besuch in Beijing scheinheilig, ihr Land ergreife in den Konflikten im südchinesischen Meer nicht Partei für eine Seite. Man wolle lediglich einen gemeinsamen Verhaltenskodex im Umgang mit territorialen Streitigkeiten erreichen, um eine gefährliche Eskalation zu vermeiden. Clinton, die auf dem nächsten ASEAN-Gipfel im November in Phnom Penh eine Neufassung dieser Verkehrsregeln und einen Maßnahmenkatalog auf die Tagesordnung bringen will, trifft bei diesem Vorhaben, ihr Land als anerkannten Ordnungsmacht in dieser Weltregion zu installieren, in Beijing auf Widerstand. Chinesische Außenpolitiker haben schon früher alle multilateralen Lösungen zurückgewiesen und bestehen auf bilateralen Verhandlungen mit den beteiligten Ländern.

Clinton zeigte sich bei ihrem Besuch "enttäuscht" über die Haltung Chinas und Rußlands in der Syrienkrise. Beide Länder haben mit ihrem Veto im UN-Sicherheitsrat bisher ein härteres Vorgehen gegen die Regierung in Damaskus verhindert. Chinas Außenminister Yang Jiechi bekräftigte die Position der Nicht-Einmischung. Clinton bezeichnete die "Navigationsfreiheit" im Südchinesischen Meer als ein "nationales Interesse" der USA, was China nur als Affront bewerten konnte. Auch im Territorialstreit mit den südostasiatischen Nachbarn um die rohstoffreichen Meeresgebiete gab es keine Annäherung. Yang Jiechi wiederholte: "China übt Souveränität über die Inseln im Südchinesischen Meer und die naheliegenden Gewässer aus." [1]

Die US-Außenministerin traf Parteichef Hu Jintao, Premier Wen Jiabao, Vizepremier Li Keqiang und den höchsten Außenpolitiker Dai Bingguo, nicht jedoch Vizestaatspräsident Xi Jinping, der im Herbst das Ruder übernehmen soll. Dieses Treffen kam überraschend aus "unerwarteten terminlichen Gründen" nicht zustande. Als eine Reporterin wissen wollte, ob dies ein Fingerzeig für Unmut über die US-Haltung sei, winkte Außenminister Yang Jiechi ab: "Solche Spekulationen sind unnötig." Yang klärte jedoch nicht auf, warum Xi Jinping das Treffen storniert hatte - eine für das protokollbewußte China sehr ungewöhnliche Absage. [2]

Ein Xinhua-Kommentar warnte: "Die USA sollten von den schmerzhaften Lektionen aus der Menschheitsgeschichte der Vergangenheit lernen. Strategisch falsche Kalkulationen über das Aufsteigen einer neuen Macht können zu Konfrontationen und blutigen Konflikten führen, wie einst der Krieg zwischen Athen und Sparta."

Fußnoten:

[1] http://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/brennpunkte_nt/article109001200/Keine-Annaeherung-zwischen-China-und-USA.html

[2] http://derstandard.at/1345166272845/Besuch-unter-Freunden-mit-deutlichen-Misstoenen

6. September 2012