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HEGEMONIE/1721: Zündeln am Pulverfaß - USA schüren Krisen im Südchinesischen Meer (SB)



Nach dem Zerfall der Sowjetunion und dem Ende des Warschauer Pakts proklamierten die westlichen Mächte unter Führung der Vereinigten Staaten den unumkehrbaren Sieg der kapitalistischen Verwertungsordnung im Kampf der Systeme und das unwiderrufliche Ende jedweder Blockbildung außer der eigenen. Die in den 1990er Jahren formulierte Doktrin der neuen Weltordnung sah in einer strategischen Phase die Vorbereitung globaler Herrschaftssicherung vor, der im zweiten Schritt die taktische Umsetzung einer finalen Bestandssicherung folgen soll. Eine Koexistenz läßt die expansive Dynamik dieser Ökonomie ebensowenig zu wie der imperialistische Drang der führenden nationalstaatlichen oder überstaatlichen Komplexe. In einer unablässigen Folge politischer Einfriedung, wirtschaftlicher Einbindung, Aufspaltung und Kriegführung hat sich die NATO seither bis an die Westgrenze Rußlands vorgeschoben, treibt sie einen Keil durch den Mittleren Osten bis hinein nach Zentralasien, kreisen die USA und ihre pazifischen Verbündeten China zunehmend ein. China und insbesondere Rußland sind die Feinde in der vorletzten und letzten Schlacht, die deren immense Ressourcen für die westlichen Mächte sichern und die einzigen Gegner niederwerfen sollen, die der uneingeschränkten Verfügung über den gesamten Planeten im Wege stehen. Was wir derzeit als Abfolge von Interventionen aller Art in der vollen Spannbreite zwischen Frieden und Krieg erleben, spiegelt das unablässige Bestreben wider, sich die günstigsten Ausgangsbedingungen für das projektiv konzipierte Armageddon zu verschaffen.

Im pazifischen Raum rüsten die USA Taiwan mit umfangreichen Waffenverkäufen auf, verstärken sie ihre Präsenz in Südkorea und binden insbesondere Japan in den Kordon zur Abschnürung Chinas ein. Japan, das bedingt durch die Niederlage im Zweiten Weltkrieg ebenso wie die Bundesrepublik Deutschland eine mehr oder minder pazifistische Zwischenetappe eingeschoben hatte, richtet seine Militärdoktrin von Grund auf neu aus und rückt als potentieller Kriegsakteur an die Seite der USA nach. Die japanischen Streitkräfte waren mit einem eindeutigen Verteidigungsauftrag versehen und sollten im kalten Krieg einen möglichen Vorstoß der Sowjetunion in Ostasien verhindern. Wenngleich die Wiederbewaffnung bereits den Keim künftiger expansionistischer Kriegsbeteiligung in sich trug, bedurfte es aus innen- wie außenpolitischen Gründen eines langen Prozesses sukzessiver Schritte, um unter Vermeidung kontraproduktiven Säbelrasselns militärische Stärke zu generieren und in Stellung zu bringen.

Die künftige Strategie sieht eine Neubestimmung des maßgeblichen Gegners vor, der nicht mehr in Rußland, sondern in Nordkorea und insbesondere China gesehen wird. Dementsprechend werden die schweren Panzer- und Artillerieeinheiten reduziert, die im Norden gegen Rußland in Stellung gebracht waren. Statt dessen werden weitere U-Boote und Kampfflugzeuge beschafft sowie verstärkt mobile Einheiten aufgebaut, die auf dem Luftweg zu den südlichen Inseln transportiert und dort eingesetzt werden können. Umstritten sind Inseln im ostchinesischen Meer, die man in Japan die Senkakus und in China die Diaoyu nennt. Dort kam es bereits zu einer Konfrontation, die heftige gegenseitige Beschuldigungen nach sich zog und dazu führte, das China die Ausfuhr seltener Erden nach Japan vorübergehend einstellte.

Die Erinnerung an das außerordentlich grausame japanische Besatzungsregime hat das Verhältnis zwischen Japan und Korea dauerhaft schwer belastet. Um das Bündnis gegen China zu schmieden, gilt es in beiden Ländern tiefsitzende Ressentiments auszuhebeln. Dabei werden die pazifistische Nachkriegsverfassung und Befindlichkeit Japans ebenso entsorgt wie die historisch begründeten Vorbehalte in Korea, wenn man in Tokio die Voraussetzungen dafür schafft, die japanischen Streitkräfte auf die koreanische Halbinsel zu entsenden. Noch bedarf es Vorwandslagen wie möglicher Katastrophen oder anderer humanitärer Krisenfälle, die den Weg für die vordem undenkbare Rückkehr japanischer Truppen nach Korea vorsichtig ebnen sollen. Doch mit dem ersten Schritt ist die Tür für alle nachfolgenden geöffnet. Zudem heizen die USA bislang lokal begrenzte Konflikte zwischen China, Vietnam und den Philippinen an, um die Phalanx gegen Beijing zu komplettieren, die Lücken zu schließen und Kriegsvorwände zu produzieren.

Wie selbstverständlich beansprucht die US-Marine uneingeschränkte Präsenz bis vor die Küste Chinas, während jeder Versuch Beijings, diese Fessel in Frage zu stellen und zu lockern, von Washington als kriegstreiberisches Expansionsstreben der Chinesen diskreditiert wird. Im vergangenen Jahr führte ein Verband um den Flugzeugträger George Washington nach der Artilleriekontroverse zwischen den beiden koreanischen Staaten zunächst eine Seeübung mit der Marine Südkoreas durch, um im Anschluß ein gemeinsames Großmanöver mit den japanischen Streitkräften abzuhalten. In diesem Jahr kam es zu einer Konfrontation zwischen chinesischen und philippinischen Marineeinheiten, der zweifellos weitere folgen werden. Auch zwischen Vietnam und China nehmen die Kontroversen zu, bei denen es insbesondere um Rechte in den küstennahen Gewässern und um Inseln geht, die beiderseits beansprucht werden.

Auslöser sind insbesondere die reichhaltigen Öl- und Gasreserven im Südchinesischen Meer, die allseits Begehrlichkeiten wecken. Da die Abhängigkeit Chinas von ausländischen Energiequellen rapide wächst, hofft man in dieser Region bald selbst Öl fördern zu können und spricht bereits von einem "zweiten Persischen Golf". Da die Ressourcen so nahe am eigenen Territorium liegen und daher leichter zu schützen sind, legt Beijing außerordentlich großen Wert darauf, diese Gewässer zu kontrollieren.

Das Südchinesische Meer gehört zugleich zu den geostrategisch wichtigsten Wasserwegen der Welt und ist eine Schlüsselroute für die Energieimporte Chinas. Etwa achtzig Prozent aller chinesischen Öleinfuhren kommen aus dem Nahen und Mittleren Osten und Afrika über den Indischen Ozean und die Straße von Malakka ins Südchinesische Meer. Ähnlich abhängig von dieser Passage sind jedoch auch Südkorea, Japan und andere asiatische Länder, was den Zündstoff in dieser Region vermehrt. Beschließen die USA und ihre Verbündeten eines Tages, Chinas Energienachschub zu blockieren, geschähe dies entweder hier oder im Indischen Ozean.

Für die chinesische Führung ist der Aufbau einer Hochseemarine, wie er derzeit vorangetrieben wird, eine strategische Notwendigkeit, will man die Handelswege bewachen. Gesichert werden soll in erster Linie das Vorfeld bis zur "Ersten Inselkette", so daß dieser Bereich das Gelbe Meer und das Südchinesische Meer im Norden, die Taiwanstraße im Osten und das Südchinesische Meer im Süden umfaßt. Wenngleich diese Ausweitung von den kleineren Anrainerstaaten durchaus als Bedrohung empfunden werden kann, handelt es sich seinem Wesen nach doch nicht um ein einseitiges aggressives Hochrüsten, als das es die Propaganda Washingtons bezichtigt.

Der US-Imperialismus erhob seit Ende des Zweiten Weltkrieg den Anspruch, den gesamten Pazifischen Ozean bis an die Ostküste Chinas zu kontrollieren. In der zweiten Amtszeit Präsident George W. Bushs mehrten sich im Dunstkreis der US-Außenpolitik Stimmen, man dürfe dem Mittleren Osten nicht zu viel Beachtung schenken und darüber Ostasien vernachlässigen. Die Obama-Administration verkündete daraufhin, die USA seien nach Asien zurückgekehrt, um zu bleiben, und ließ diesen Worten Taten in Gestalt der Flottenpräsenz und Großmanöver folgen. Auf der letztjährigen Konferenz des ASEAN-Paktes in Vietnam erklärte US-Außenministerin Hillary Clinton, ihr Land habe ein "nationales Interesse" am Südchinesischen Meer. Im Juni verabschiedete der US-Senat einstimmig eine Resolution, die ausdrücklich die "Fortsetzung der Operationen von US-Streitkräften zur Unterstützung der freien Nutzung internationaler Gewässer und des Luftraumes im Südchinesischen Meer" billigt. Am 14. Juli warnten die Senatoren John McCain und John Kerry Chinas auswärtigen Spitzenpolitiker Dai Bingguo in einem Schreiben, das Verhalten Beijings könne "die lebenswichtigen nationalen Interessen der Vereinigten Staaten gefährden". Ähnlich formulierte es Clinton zuletzt auf einem Regionalforum des ASEAN-Paktes in Indonesien mit den Worten, die USA seien "eine pazifische Anlieger-Nation" und hätten "ein nationales Interesse am offenen Zugang zu Asiens maritimem Herrschaftsbereich". [1]

China als Motor der Weltwirtschaft einzustufen, war stets mit dem feindseligen Argwohn vor einem angeblichen Dominanzstreben Beijings untermalt, das die Konfiguration des weltweiten Machtgefüges bedrohlich zu Lasten der westlichen Staaten verschieben könnte. Die astronomische Verschuldung der USA und die Abwälzung der Lasten auf Gläubigerländer wie insbesondere China, das mit Staatsanleihen in Höhe von Hunderten Milliarden Dollar den US-Konsum kreditierte, schufen Zwangslagen, die Washington immer offener mit militärischer Überlegenheit in einen Befreiungsschlag umzumünzen sucht. Der Konflikt um das Südchinesische Meer verwandelt diese Weltregion in ein Pulverfaß, das den Druck auf die chinesische Führung forciert und eine bellizistische Gemengelage verdichtet, die künftigen Schlachten das Feld bereitet.

Fußnote:

[1] http://wsws.org/de/2011/jul2011/chin-j27.shtml

28. Juli 2011