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HEGEMONIE/1708: Worin wurzelt die Kreditwürdigkeit der USA? (SB)



Wenn die führende Ratingagentur Standard & Poor's erstmals seit 1941 die Bonität des ökonomisch wie militärisch führenden Staates anzweifelt, dann nicht nur aufgrund einer exorbitanten Verschuldung, für die kleinere Länder längst mit hohen Risikoaufschlägen auf ihre Staatsanleihen abgestraft worden wären. David T. Beers, Managing Director bei Standard & Poor's, erklärt den Schritt, das beste Rating AAA für US-Staatsanleihen mit einem Fragezeichen zu versehen, mit dem unzureichenden Steueraufkommen der US-Regierung und der angeblich mangelnden Bereitschaft, künftige Haushaltsdefizite deutlich zu verringern [1]. Damit hebt Beers auf den Streit zwischen Republikanern und Demokraten im US-Kongreß über die Kürzungen ab, mit Hilfe derer die Staatschulden von 14.000 Milliarden Dollar und das jährliche Defizit von rund 10 Prozent des Bruttoinlandproduktes heruntergefahren werden sollen.

Dieser Streit dreht sich vor allem um das Ausmaß der in Angriff genommenen Sozialkürzungen und die mehr oder minder große Schonung der Kapitaleigner. Während die Republikaner zweifellos die rücksichtsloseren Klassenkämpfer von oben sind, laviert die Regierungspartei der Demokraten zwischen deren Forderungen und den Zugeständnissen an Gewerkschaften, die eine Gegenleistung dafür verlangen, daß sie keine grundsätzlichen Einwände dagegen erheben, die Kosten der Finanzkrise auf die lohnarbeitende Bevölkerung, die Rentner und Erwerbslosen umzulasten. Keine der beiden Parteien, bei deren Senatoren es sich ausnahmslos um Dollarmillionäre handelt, tastet das grundlegende Prinzip an, das gesamtgesellschaftliche Produkt auf neoliberale Weise zu generieren. Auch in Zukunft soll die Kapitalakkumulation in erster Linie durch die Privatisierung der öffentlichen Infrastruktur und Daseinsvorsorge, eine expansive Kreditwirtschaft, Subventionskürzungen und Spekulationen am Finanz- und Rohstoffmarkt vollzogen werden. Weniger attraktiv, da nur geringe Rendite abwerfend sind Investitionen in produktive Arbeit. Die dort organisierte Mehrwertabschöpfung soll durch Lohnkürzungen, betriebliche Rationalisierungen und den Kapitalexport in andere Länder, also die Verbilligung menschlicher Arbeit, erfolgen.

Bezweifelt wird nicht so sehr, ob die USA auch künftig in der Lage sein werden, ihre Staatsschulden zu bedienen, sondern ob sie weiterhin dazu fähig sind, die globale Expansion dieses Akkumulationsregimes zu garantieren. Das Exportmodell der sogenannten freien Marktwirtschaft soll das Kapital auch in vermeintlich rückständigen Ländern dazu befreien, Rendite unter den jeweils günstigsten Verwertungsbedingungen abzuwerfen. Da dieses Entwicklungsmodell geringe Steuerbelastungen für Investoren und Kapitaleigner verlangt, während die infrastrukturellen und ordnungspolitischen Kosten der Kapitalverwertung vor allem von der lohnabhängiggen und versorgungsbedürftigen Bevölkerung getragen werden sollen, kommt die Durchsetzung dieses Akkumulationsregimes nicht ohne massive Repression aus. Diese allerdings ist ein Exportartikel, der der US-Regierung staatliche Monopolmacht an die Hand gibt, ist doch kein anderes Land der Welt in der Lage, Verwertungssicherheit und Investitionsschutz weltweit zu garantieren.

Die hohen Staatsausgaben der USA sind zu einem Gutteil diesem Zweck gewidmet. Auch das Pentagon soll Kürzungen hinnehmen, was ein Novum ist, da die Schlagkraft und Projektionsfähigkeit der US-Streitkräfte jeglichen Kredit letztinstanzlich garantiert. Da man in Washington erkannt hat, daß die Sparpolitik die eigene Handlungsfähigkeit in Frage stellt, opponieren die Republikaner bei allem Lamento über Big Government gegen die von den Demokraten vorgeschlagenen Kürzungen im Budget des Pentagon. Sie wissen sehr genau, daß die Freiheit, die sie meinen, nur mit einem großen Knüppel gesichert werden kann. Ein Staat, der auch in Zukunft pro Kopf der Bevölkerung, und das wiederum in starker Polarisierung zwischen arm und reich, den größten Teil der weltweit produzierten Rohstoffe und Nahrungsmittel verkonsumieren will, muß bereit sein, diesen Raub machtpolitisch zu ermöglichen.

Die Lösung der US-Regierung unter Präsident Barack Obama für die Aufrechterhaltung strategischer Dominanz besteht daher in einer stärkeren Einbindung der europäischen NATO-Staaten in die Sicherung der westlichen Vormachtstellung. Die erbitterte Kritik liberaler US-Kommentatoren an der nichterfolgten Beteiligung Deutschlands am Libyenkrieg ist der Einsicht geschuldet, daß die globalen Verteilungskämpfe der Zukunft keine zwischenimperialistischen Zerwürfnisse vertragen, sondern um so größerer Einigkeit bei der Definition der Praktiken und Regeln der Weltwirtschaft bedürfen. Obamas hierzulande vielgelobter Multilateralismus läuft auf das Angebot hinaus, die Beute neu aufzuteilen. Der angebliche deutsche Sonderweg ist so besonders nicht. Beim Ringen darum, Nutznießer US-amerikanischen "Stabilitätsexports" zu sein, wird auch zu Winkelzügen gegriffen, die einer Neubewertung der strategischen Gewichte dienen.

Die Bonität der US-Währung resultiert vor allem daraus, daß sie aller ökonomischen Ratio zuwider dekretiert werden kann. In Anbetracht der keineswegs ausgestandenen Krise der Banken, der durch ihre Refinanzierung ausgezehrten Staatshaushalte, der Verknappung der fossilen Energieträger, des Klimawandels und der daraus folgenden Hungerkatastrophen, des Aufbegehrens ganzer Bevölkerungen gegen die ihnen gewaltsam aufgeherrschte Verelendung, wachsender hegemonialer Ansprüche der BRIC-Staaten und der Transnationalisierung von Kapital und Staat werden die USA daran erinnert, etwas mehr als gewohnt für die Restauration ihrer angeschlagenen Vormachtstellung zu tun. Das Warnsignal der nicht zufälligerweise in den USA angesiedelten Ratingagentur S & P ist dazu gedacht, diese zu sichern. Als Vorwand, die Streitpunkte zwischen Republikanern und Demokraten aus der Welt zu schaffen und eine Sparpolitik durchzusetzen, die den Preis der Teilhaberschaft am Privileg, im reichsten und mächtigsten Land der Welt zu leben, in eine Höhe treibt, die zu erreichen noch mehr Anpassung und Unterwerfung verlangt, wird diese Herabstufung ihren Zweck erfüllen.

Fußnote:

[1] http://www.handelsblatt.com/politik/international/ratingriese-sundp-verstaerkt-druck-auf-die-usa/4080770.html?p4080770=all

20. April 2011