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HEGEMONIE/1684: Machiavellismus pur ... Iran im Namen der Freiheit angreifen (SB)



Zum Krieg gegen den Iran aufzurufen bedarf es kaum mehr der bislang üblichen Vorwände. Nachdem der Kolumnist der Washington Post, David Broder, US-Präsident Barack Obama noch vor den Zwischenwahlen zum US-Kongreß empfahl, seine Wiederwahl und das Wohl der amerikanischen Wirtschaft durch einen Angriff auf das Land zu sichern, hat der neokonservative Publizist Daniel Pipes diesem Kriegsgrund im Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung (10.11.2010) zu weiterer Plausibilität verholfen. Nachdem er Obama bereits im Februar dieses Jahres aufforderte, die Nuklearindustrie des Iran mit Bomben zu zerstören, begründet er dies nun mit lupenreinem Machiavellismus:

"Bei diesem Vorschlag handelte es sich aber um eine Idee, wie Barack Obama seine bisher dürftige politische Bilanz und seine rapide sinkenden Umfragewerte verbessern könnte, nämlich durch eine aussenpolitische Initiative, die ihm Zuspruch von verschiedenen politischen Lagern in den USA sichern würde." [1]

Obama würde mit diesem Schritt "Amerikas Interessen schützen und ein deutliches Signal senden, an alle unsere Freunde und Feinde weltweit", ergänzte Pipes auf Nachfrage der NZZ, ob er dies ernst meine. Mit diesem Plädoyer für eine allein auf die Interessen der USA zugeschnittene Kriegspolitik rennt Pipes nicht nur bei neokonservativen Rechten offene Türen ein. Die Sicherung ihrer militärischen Vormachtstellung ist spätestens seit dem Ende der Sowjetunion Staatsräson der USA, und sie wird es um so mehr, als der Niedergang der US-Wirtschaft den Verlust globaler Hegemonie aufgrund unzureichernder Kapitalakkumulation fürchten lassen muß.

Die auch von verbündeten Regierungen geübte Kritik an der Währungspolitik der US-Zentralbank, die eigene Überschuldung durch das Anwerfen der Notenpresse zu kompensieren, wertet die US-Streitkräfte als letztinstanzliche Garanten US-amerikanischer Zahlungsfähigkeit weiter auf. Gesetzt den Fall, die US-Regierung würde sich in auswegloser Lage zu einer drastischen Abwertung des Dollar entscheiden, um sich auf diese Weise zu entschulden, dann könnte wenigstens diese Trumpfkarte stechen. Der Dollar als globale Leitwährung sichert die Vormachtstellung der USA immer weniger, desto größer ist die Gefahr der Kompensation dieser Schwäche durch aggressive Kriegführung.

Der ehemalige Berater der US-Regierung und führende neokonservative Publizist Michael Ledeen ist bekannt dafür, daß er einen Regimewechsel in Teheran für den zentralen Faktor der Sicherung westlicher Hegemonie im Nahen und Mittleren Osten hält. In seinem Buch The War Against the Terror Masters faßt Ledeen die US-amerikanische Hegemonialdoktrin im neoliberalen Dispositiv der "kreativen Zerstörung" zusammen:

"Kreative Zerstörung ist unser Mittelname, das gilt für die eigene Gesellschaft wie für das Ausland. Wir zerstören die alte Ordnung jeden Tag, von der Wirtschaft zur Wissenschaft, Literatur, Kunst, Architektur und Kino zu Politik und Recht. Unsere Feinde haben diesen Wirbelsturm aus Energie und Kreativität, der ihre Traditionen (um welche es sich auch immer handeln mag) bedroht und sie für ihre Unfähigkeit, mit uns Schritt zu halten, beschämt, stets gehaßt. Wenn sie sehen, wie Amerika traditionelle Gesellschaften demontiert, fürchten sie uns, weil sie nicht demontiert werden wollen. So lange wir da sind, können sie sich nicht sicher fühlen, weil unsere bloße Existenz - unsere Existenz, nicht unsere Politik - ihre Legitimität in Frage stellt. Um zu überleben, müssen sie uns angreifen, so wie wir sie zerstören müssen, um in unserer historischen Mission fortzuschreiten." [2]

Am Selbstverständnis der "unverzichtbaren Nation", die einen einzigartigen geschichtlichen Auftrag zu verrichten hat und wie kein anderer Staat Garantin der Freiheit sei, hat sich unter diesem US-Präsidenten nichts geändert. Es ist der ideologische Schaum auf der kargen Suppe einer Mangelordnung, die die Defizite eigener Produktivität exportiert und damit das Konto von Bevölkerungen belastet, deren Lebensweise mit dieser Ideologie nicht in Einklang zu bringen ist.

Wenn es tatsächlich darum ginge, den Iranern die Vorzüge einer weniger rigiden Gesellschaftsordnung nahezubringen, dann wäre um so mehr geboten, ihnen dies mit dem Vorbild eigener demokratischer Freiheiten schmackhaft zu machen. Diese werden überzeugend dementiert, wenn anhand bloßer Vorwände mit Krieg gegen ein Land gedroht wird, dessen unterstellte atomare Aufrüstung, wenn sie denn stattfände, sich in nichts von dem nuklearen Machtanspruch anderer Staaten unterschiede. Indem führende neokonservative Kriegstreiber die Arroganz der Macht anhand eigennütziger Kriegsmotive demonstrativ nach außen kehren, gestehen sie ganz offiziell ein, daß es bei ihren Drohungen niemals um das Wohl der iranischen Bevölkerung ging. Wie sollte dies auch gefördert werden, wenn mit der Gefahr einer militärischen Eskalation Politik gemacht wird, deren katastrophale Ergebnisse im benachbarten Irak studiert werden können?

Daniel Pipes hält der Tatsache, daß der Iran seit mindestens hundert Jahren keinen aggressiven Krieg geführt hat, entgegen: "Deutschland führte von 1871 bis 1914 auch keinen Krieg, trotzdem entwickelte es sich später zu einer aggressiven und gefährlichen Militärmacht, die erst 1945 ausgeschaltet werden konnte" [1]. Dies wurde unter anderem von den USA geleistet, die sich, wenn man Pipes und Konsorten glauben will, erneut in der Lage befinden, die Welt vor finsteren Kräften zu retten. Die große Dummheit, die neokonservative Kriegstreiber der eigenen Bevölkerung unterstellen, wenn sie derart abwegige Vergleiche ziehen, ist signifikant für den Machiavellismus, mit dem in den NATO-Staaten heute Politik gemacht wird. Diese Ideologieproduktion ist von vornherein antidemokratisch, und die dabei vollzogene Verherrlichung des Begriffs "Freiheit" vergiftet nicht nur den Geist der Adressaten dieser Propaganda, sondern auch ihre Sprache.

Fußnoten:

[1] http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/aktuell/die_islamdebatte_im_westen_ist_primitiv_1.8328724.html

[2] Daniel Pipes: The War against The Terror Masters. Why It Happened, Where We Are Now, How We'll Win; New York 2002; in eigener Übersetzung.

14. November 2010