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HEGEMONIE/1641: Militärisches Krisenmanagement anstatt wirksamer Hilfe für Haitis Bevölkerung (SB)



Die Erdbebenkatastrophe in Haiti setzt auf die permanente Katastrophe bitterster Armut und massiven Hungers auf. Wenn das internationale Krisenmanagement nun Hilfen für die notleidenden Menschen schickt, dann erfolgt dies im Rahmen einer Schadensbegrenzung, die vor allem verhindern soll, daß die leidgeprüften Haitianer nun erst recht zu Zehntausenden versuchen, das rettende Ufer der USA zu erreichen. Das ist ein Grund dafür, daß die Hilfsmaßnahmen der US-Regierung vor allem militärischer Art sind

Die Armada von Kriegschiffen, die nach Haiti ausgelaufen ist, umfaßt einen Flugzeugträger, ein Schiff der US-Marineinfanterie, das als Basis für den Einsatz von 2000 Soldaten an Land dient, mehrere Fregatten, einen Zerstörer und einen Lenkwaffen-Kreuzer. Eine Kampfbrigade des US-Heeres befindet sich in Alarmzustand und kann jederzeit ins Katastrophengebiet entsandt werden. Die Operation wird vom U.S. Southern Command, der für Lateinamerika zuständigen Befehlsstelle, geleitet und soll eigenen Angaben zufolge auch dazu dienen, aufstandsartige Entwicklungen in Haiti zu verhindern.

In dem von der Washington Post Company herausgegebenen Zweimonatsjournal Foreign Policy (14.01.2010) empfiehlt der Politikwissenschaftler Peter Feaver, der im Nationalen Sicherheitrat unter der Clinton-Regierung für Verteidigungspolitik und Rüstungskontrolle zuständig war, daß US-Präsident Barack Obama die Katastrophenhilfe für weitergehende Zwecke nutzt. Als Beispiel für mögliche Überlegungen in diese Richtung führt er das Krisenmanagement der Bush-Regierung bei der Tsunami-Katastrophe 2004 an. Damals sei es den USA gelungen, einen wichtigen Schlag gegen Al Qaida zu führen, indem man mit der Unterstützung der zahlreichen muslimischen Tsunamiopfer bewies, daß man sich tatsächlich um die Menschen kümmere. Die Zusammenarbeit mit anderen Staaten in diesem Fall versteht Feaver als Vorbild für einen zweckorientierten Multilateralismus, der sich als Coalition of the Willing im Irakkrieg bewährt habe, der also die USA davon befreit, sich in ein verbindliches internationales Regelwerk einzubinden. Zudem habe Bush vor fünf Jahren Indonesien dazu verholfen, die Kontrolle über aufständische Gebiete wie etwa die Region Aceh wiederherzustellen oder zumindest zu verbessern.

Dementsprechend sei es nun an der Zeit, dem Mißmanagement und der schlechten Regierungsführung in Haiti beizukommen. Die administrativen Strukturen des Landes sollten völlig neu aufgebaut und eine gut funktionierende Demokratie etabliert werden, so Feaver. Sein Drängen darauf, die Katastrophenhilfe unter strategischen Gesichtspunkten zu organisieren und sich nicht auf Nothilfe zu beschränken, entspricht denn auch der neokolonialistischen Politik, die Washington im Nahen und Mittleren Osten führt und die keineswegs zum Vorteil der dort lebenden Menschen ist.

In seiner Analyse des jahrzehntelangen Regierungsscheiterns in Haiti blendet Feaver die Manipulationen und Interventionen, mit denen die US-Regierung die Verhältnisse in ihrem angeblichen Hinterhof regulierte, ebenso aus wie die Verarmungspolitik der internationalen Geberstaaten, die ihre Kredite an neoliberale Strukturanpassungsforderungen binden, die die ohnehin arme Bevölkerung noch weiter ins Elend treiben. Wesentlich verantwortlich für die schlechte soziale Lage auf der Insel ist die Freiheit, die US-Investoren auf der Insel genießen, wenn sie ihre Waren dort zu Hungerlöhnen fertigen lassen, bei völliger Abschottung der USA gegen haitianische Migranten, die ihren Lebenserwerbsleben in den Vereinigten Staaten organisieren wollen. Jede von der US-Regierung initiierte Reform in den Ländern Lateinamerikas steht unter dem Diktat einer Marktdoktrin, deren Nutznießer das nicht verwertbare Elend sich selbst überlassen, um sich gewinnträchtigeren Geschäften zuzuwenden.

Kaum anders geartet, aber noch ein wenig bösartiger sind die Empfehlungen, die Jim Roberts, der als marktfundamentalistischer Ökonom bei der Heritage Foundation für den Index of Economic Freedom zuständig ist, auf der Website des einflußreichen Washingtoner Think Tanks (13.01.2010) abgibt. Auch er ist der Ansicht, daß die US-Regierung die Gelegenheit nutzen soll, ihren Einfluß auf die Region langfristig zu sichern. Die Reformierung der Regierungsinstitutionen des Landes sei überfällig, und natürlich müßten die Haitianer durch die US-Marine und -Küstenwache daran gehindert werden, in die USA zu fliehen. Vor allem soll die US-Regierung mit ihrer Hilfeleistung einen entschiedenen Schlag gegen das "Castro-Chavez-Lager" landen, indem sie zeige, daß sie "eine mächtige Kraft des Guten" in den Americas und überall auf der Welt sei.

Wie sie das tun könnte, das zeigen die Forderungen sozialer Aktivisten wie die des Menschenrechtsanwalts Bill Quigley vom Center for Constitutional Rights (CCR). Der seit Jahren in Haiti aktive Quigley, der als Bürger der Stadt New Orleans zu den bekanntesten Wortführern der Opfer der durch den Hurricane Katrina ausgelösten Flutkatastrophe zählt, hat Forderungen aufgestellt (Black Agenda Report, 14.01.2010), die deutlich machen, wie viele Möglichkeiten eine humanitäre Katastrophenhilfe böte, bei der es tatsächlich darum geht, notleidende Menschen zu retten. Während Feaver und Roberts einer Art zivil-militärischer Containmentstrategie mit Aussicht auf die optimierte hegemoniale Kontrolle Haitis und das Generieren von Mehrwert für die Regierungspropaganda Washingtons das Wort reden, erhebt Quigley die konkrete Forderung, allen Haitianern zu erlauben, in den USA zu arbeiten, um ihre Angehörigen auf Haiti unterstützen zu können. Zu diesem Zweck soll Obama den Bürgern Haitis den Befristeten Aufenthaltstatus zusprechen, der bereits den aus Honduras und Nikaragua geflohenen Opfern des Hurricane Mitch 2002 in den USA gewährt wurde.

Quigley wendet sich strikt dagegen, daß US-Soldaten ihre Waffen auf haitianische Bürger richten, die man nicht, wie auch mit notleidenden Schwarzen in New Orleans geschehen, als Kriminelle stigmatisieren sollte. Haiti solle nicht mit Krediten aus der Not geholfen werden, die das Land langfristig verschulden, sondern mit rückzahlungsloser Finanzhilfe. Diese sollte vor allem dazu eingesetzt werden, den öffentlichen Sektor auszubauen, um die Grundversorgung der Menschen sicherzustellen. Quigley drängt darauf, Frauen und Kinder bei der Ausgabe der Hilfe zu bevorzugen und die internationalen Hilfsorganisationen darauf zu verpflichten, die Menschenrechte der Haitianer zu respektieren, und zwar nach Maßgabe der UN-Prinzipien für Inlandvertriebene. Des weiteren solle Obama die 30.000 Abschiebehäftlinge entlassen, die in den USA eingesperrt sind.

Andere Haiti-Aktivisten gehen noch weiter und verlangen den Abzug der UN-Truppen, die sie als Besatzungsmacht betrachten, weil sie ihr erhebliches Budget nicht dazu verwenden, die humanitäre Notlage der Bevölkerung zu lindern, sondern diese mit ihren schwerbewaffneten Soldaten zu unterdrücken. Des weiteren fordern sie die völlige Streichung der Staatsschulden des Landes und die Beendigung der neoliberalen Handelspolitik, die von den USA durchgesetzt wird. Auch spielen einige der zahlreich in Haiti vertretenen NGOs eine eher kontraproduktive Rolle. Da sie unter Führung der US-Entwicklungshilfebehörde USAID, die dem US-Außenministerium unterstellt ist, die Ausgabenpolitik des von internationalen Geberstaaten alimentierten Staatshaushaltes kontrollieren und mit ihren eigenen Budgets maßgeblichen Einfluß auf das Land nehmen, bilden sie eine Art Ersatzregierung, während die Regierung in Port-au-Prince kaum souveräne Entscheidungen treffen kann.

Die Kritik der Unterstützer Haitis aus den sozialen Bewegungen im Land wie in den USA richtet sich insbesondere gegen Freihandelsabkommen, mit denen soziale Minimalstandards unterlaufen werden und die bewirken, daß die Produktivität der haitianischen Arbeiter in den Export fließt, anstatt den ökonomischen Mangel der eigenen Bevölkerung zu beheben. Eine weitere wichtige Forderung zur Verbesserung der Lage im Land betrifft die Rückkehr des 2004 in einem kalten Putsch unter Mitwirkung der USA gestürzten Präsidenten Bertrand Aristide, der sich entschieden für die Armen Haitis, die das Gros der Bevölkerung ausmachen, eingesetzt hat.

Es gibt also durchaus Möglichkeiten, wirksame Katastrophenhilfe zu leisten, die eine dauerhafte Verbesserung der allgemeinen Lage in Haiti zeitigt. Die Militarisierung des Krisenmanagements gehört nicht dazu, denn sie ist ausschließlich auf die Fortschreibung neokolonialer Ausbeutungstrukturen abonniert. Es ist allerdings unwahrscheinlich, daß die Forderungen der sozialen Aktivisten Gehör bei der US-Regierung finden, ist deren Verhältnis zur Karibik doch seit jeher durch ein Hegemonialstreben geprägt, das die Region zur ökonomischen Peripherie und strategischen Aufmarschzone imperialer Machtentfaltung degradiert. Wäre es anders, dann würde Obama mindestens einige dieser Vorschläge aufgreifen und anstelle der militärischen Kontrolle einer am Boden liegenden Bevölkerung deren Zutritt zu den USA erleichtern.

15. Januar 2009