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HEGEMONIE/1621: Iran am Pranger ... Scheitern der Genfer Gespräche beabsichtigt? (SB)



Die am Freitag, den 25. September, auf dem G-20-Gipfel in Pittsburgh bekanntgebene Nachricht über die zweite iranische Anlage zur Urananreicherung in der Nähe der Stadt Ghom schlug mit der Wucht einer sensationellen Enthüllung ein. Damit schien, so wurde dem deutschen Publikum weisgemacht, erwiesen, daß der Iran etwas zu verbergen hat, sprich er bei den Vorbereitungen zum Bau eines Atomsprengkopfs erwischt worden wäre. Die den Iran verurteilenden Stellungnahmen der Staats- und Regierungschefs der USA, Britanniens und Frankreichs ließen keine andere Interpretation zu, als daß Teheran versucht hätte, den UN-Sicherheitsrat und die Internationale Atomenergieagentur (IAEA) auf eine Weise zu täuschen, die dem Sachverhalt eines Bruchs des Nichtverbreitungsvertrags (NPT) gleichkäme.

Bezeichnenderweise wurde dieser Vorwurf in Pittsburgh nicht explizit erhoben. Zwar war viel davon die Rede, daß der Iran sich nicht an die Regeln halte, daß er nicht mit dem Sicherheitsrat zusammenarbeite und die westlichen Verhandlungspartner im Vorfeld der in Genf am 1. Oktober stattfindenden Gespräche betrüge. Nur unter dem Druck der von westlichen Geheimdiensten längst entdeckten Bauarbeiten habe der Iran sich zur Errichtung der Anlage bekannt, sekundierten westliche Medien. Das Versäumnis, dem Iran einen konkreten Vertragsbruch anzulasten, belegt allerdings, daß die in Pittsburgh versammelten Regierungen nicht das Risiko einer skrupulösen Untersuchung der konkreten Rechtslage eingehen wollten. Auf diese Weise hätte publik werden können, daß die Position Teherans durch den NPT weitgehend gedeckt ist, was wiederum die Frage aufkommen ließe, worin überhaupt der Anlaß für die Eskalation zum sogenannten Atomstreit bestand. Eine öffentliche Diskussion des strategischen Interesses, das die USA und EU an der Nötigung Teherans haben, scheint man auf jeden Fall vermeiden zu wollen.

Der iranische Chefunterhändler Ali Akbar Salehi bestritt postwendend, daß die Anlage militärischen Zwecken diene, und erklärte statt dessen, sie werde als "Vorsichtsmaßnahme für den Fall eines unerwünschten Vorfalls gegen unser Atomprogramm" errichtet. Zudem erinnerte er daran, daß der Iran laut dem NPT dazu verpflichtet sei, den Bau einer neuen Atomanlage 180 Tage vor ihrer Inbetriebnahme bekanntzugeben. Die fragliche Anlage werde jedoch erst in zwei Jahren diesen Stand erreicht haben. Der Iran hatte die IAEA am Montag, den 21. September, vom Bau der neuen Atomfabrik in Kenntnis gesetzt. Der eigentliche Streit um die Frage der Legalität seines Verhaltens dreht sich nun darum, ob das vom Iran im Dezember 2004 freiwillig eingegangene Zusatzprotokoll zum Safeguards Agreement, das Teheran verpflichtet hätte, den Bau der Anlage schon bei Beschlußfassung an die IAEA zu melden, auf diesen Fall anzuwenden ist. Da diese Zusatzvereinbarung vom Iran im März 2007 in Reaktion auf die ungenügenden Angebote der westlichen Regierungen aufgekündigt wurde und niemals vom Teheraner Parlament ratifiziert worden war, ist man in Teheran der Ansicht, mit der jetzt erfolgten Ankündigung des Baus der Anlage seinen aus dem NPT hervorgehenden Verpflichtungen genügt zu haben.

Zu der Behauptung, Teheran sei mit diesem Schritt lediglich der Bekanntgabe des Baus durch westliche Regierungen zuvorgekommen, ist zu fragen, wieso diese angeblich schon viele Monate alte Erkenntnis nicht längst gegen den Iran verwendet wurde. US-Regierungsbeamte hatten gegenüber CNN erklärt, daß man bereits seit mehreren Jahren über diese Information verfüge, was diese Behauptung um so dubioser macht. Zweifellos hätte es sich die Bush-Administration, die einen deutlich härteren Kurs gegen den Iran fuhr als die jetzige US-Regierung, es sich nicht nehmen lassen, sie gegen den Iran zu verwenden. So hätte die CIA kaum vor zwei Jahren im Geheimdienstreport National Intelligence Estimate erklärt, der Iran habe 2003 den Versuch aufgegeben, Atomwaffen herzustellen, wenn der Bau dieser Anlage zu gegenteiligen Schlußfolgerungen Anlaß gegeben hätte. Sollten sich die westlichen Regierungen die Anprangerung des Irans eigens für einen besonderen Anlaß wie den der anstehenden Gespräche vorbehalten haben, dann hätten sie sich nicht weniger intransparent verhalten, als sie es Teheran vorwerfen.

Zudem besitzen die USA und EU aufgrund der mehrmals von der IAEA attestierten Tatsache, daß der Iran kein spaltbares Material für unbekannte Zwecke abgezweigt hat, wenig Handhabe, den Bau einer weiteren Atomanlage als Beleg für die Militarisierung des zivilen iranischen Atomprogramms anzuführen. Sie hätten ganz im Gegenteil Anlaß, Druck auf den Elefanten im nahöstlichen Porzellanladen auszuüben, um diesen zu zwingen, sein militärisches Atomprogramm endlich internationaler Aufsicht zu unterstellen. So hat US-Präsident Barack Obama den Iran und Nordkorea in seiner Rede vor der UN-Generalversammlung bezichtigt, Regeln zu brechen, "die alle Nationen befolgen müssen". Seine Anklage, diese Staaten ignorierten internationale Standards und stellten "das Erlangen von Atomwaffen über die regionale Stabilität und die Sicherheit und die Chancen ihrer eigenen Bevölkerung", gilt mindestens in gleichem Maße für Israel.

Paradoxerweise rückt die dort mehrfach ausgesprochene, aufgrund der 1981 erfolgten Zerstörung des irakischen Atomreaktors Osirak durch israelische Kampfbomber glaubhafte Drohung, die iranischen Atomanlagen in einem sogenannten Präventivschlag zu zerstören, den unterstellten Versuch des Irans, selbst atomar zu rüsten, in den Bereich einer plausiblen strategischen Maßnahme. Sie ordnet auch die Maßnahme, eine durch Installation in einem Berg besonders geschützte Atomanlage zur zivilen Urananreicherung zu bauen, der Konsequenz strategischer Ratio unter. Bezeichnenderweise wird dem Iran nicht gestattet, was Israel von vornherein zugutegehalten wird. Statt dessen wird wider den Erkenntnisstand der IAEA behauptet, der Iran rüste atomar auf, und damit die Vorgabe für einen Krieg gegen das Land geschaffen. Dieser dürfte letztendlich nicht von Israel, sondern, nachdem sich gezeigt haben wird, daß verschärfte Sanktionen nicht zum Ziel der Unterwerfung Teherans führen, von den USA und der EU ausgehen.

Ein solcher Schluß drängt sich zumindest auf, wenn man das Ausmaß der gegen den Iran erhobenen Bezichtigungen am belegten Sachstand abgleicht. Die Genfer Gespräche, die sich als Basis für eine Annäherung zwischen Teheran und den westlichen Regierungen anboten, stehen mithin unter einem schlechten Stern. Dem Versuch, den Iran mit Hilfe einer sogenannten Drohkulisse zu Zugeständnissen zu nötigen, die nicht von ungefähr an die Unterstellungen erinnert, mit denen man den Westen gegenüber dem Irak kriegsbereit gemacht hat, werden sich die Teheraner Unterhändler absehbar verweigern. Das prinzipielle Insistieren nicht nur des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmedinejad, sondern fast der gesamten religiösen und säkularen Führung des Landes auf das dem Iran im NPT zugesicherte Recht zur zivilen Nutzung der Urananreicherung, die von Teheran nicht akzeptierte Übertragung der Angelegenheit von der IAEA an den UN-Sicherheitsrat und die daraus resultierende Weigerung, sich dem dort von den USA, Britannien und Frankreich entfachten Druck zu beugen, lassen kaum eine andere als diese Reaktion der iranischen Delegation erwarten. Hier stellt sich die Frage, wer genau in den westlichen Hauptstädten ein vordringliches Interesse daran haben könnte, die Genfer Gespräche zu torpedieren.

30. September 2009