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HEGEMONIE/1586: Krisenmanager NATO - erweiterte Zuständigkeit für Militärs (SB)



Die auf dem NATO-Gipfel in Strasbourg von den Bündnispartnern abgesegnete Strategie für den Krieg in Afghanistan läßt ein demonstratives Entgegenkommen der US-Regierung gegenüber den europäischen NATO-Staaten erkennen. Indem man sich auf eine stärkere Nutzung der vernetzten Sicherheit und der zivil-militärischen Zusammenarbeit einigte, konnte sich die Bundesregierung darin bestätigt fühlen, dieses Konzept von Anbeginn des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr an als Ausweis ihrer guten Absichten verwendet zu haben. US-Präsident Barack Obama scheint großen Wert darauf zu legen, die europäischen Verbündeten nicht zu brüskieren, wie es sein Verteidigungsminister Robert Gates noch unter seinem Vorgänger getan hat, als er insbesondere die Bundeswehr kaum verhohlen der Feigheit vor dem Feind bezichtigte.

Bei der von Bundeskanzlerin Angela Merkel seit jeher propagierten Einbindung ziviler Kräfte in die Kriegführung der Bundeswehr handelt es sich nicht nur um ein Feigenblatt, mit dem die Kriegführung humanitär ummantelt werden soll. Es geht auch darum, Schlüsselstellungen in der Administration des besetzten Landes mit den eigenen Gewährsleuten zu besetzten und dauerhafte Einfallstore für die eigenen politischen und ökonomischen Interessen zu schaffen. Die von Entwicklungshelfern beklagte Militarisierung des zivilen Wiederaufbaus ist die konsequente Fortsetzung einer Logik der Eroberung, die sich friedliebend geben kann, weil die dabei verfolgten hegemonialen Ziele auf eine Befriedung im Sinne des herrschenden neoliberalen Akkumulationsregime abzielt. Offener Krieg kann in diesem Konzept immer nur ein vorübergehender Zustand sein, der das Zerstörungswerk in wirtschaftlich nutzbare Dimensionen treibt. Wiederaufbau ist nicht nur aus militärischer, sondern auch aus ziviler Sicht eine Investition in neue Verwertungschancen, die sich langfristig auszahlen sollen.

Wenn diese in einem Land wie Afghanistan auf erheblichen und grundsätzlichen Widerstand der einheimischen Oligarchen stoßen, dann wird dieser mit Waffengewalt gebrochen. Eine humanitäre Arbeit altruistischer Art bedürfte der militärischen Absicherung nicht, ihre Ergebnisse können jedoch auch ohne jeden Profit für die Geberländer bleiben. Je konfrontativer der Eintritt in ein Feld der humanitären Arbeit erfolgt, desto eher wird Widerstand seitens der betroffenen Bevölkerung provoziert. Afghanistan wurde in einem Angriffskrieg erobert, und die im Anschluß daran eingesetzte Kompradorenelite steht im Konflikt mit den vorherigen Machthabern. Diesem Nation Building ist von vornherein ein erhebliches Gewaltpotential inhärent, da zumindest ein Teil der Bevölkerung nicht um ihre Zustimmung gefragt wurde. Der Versuch, ein Land nach Maßgabe äußerer Kräfte strukturell und ordnungspolitisch zu gestalten, ist etwas anderes, als wenn eine Bevölkerung ihre politische und gesellschaftliche Zukunft selbst bestimmt.

Die US-Administration, die weit mehr als die Hälfte der in Afghanistan stationierten ausländischen Truppen unter ihrem Befehl hat, steht vor dem Problem, mit einer rein militärischen Lösung absehbar zu scheitern, gleichzeitig jedoch nicht auf erheblichen Gewalteinsatz verzichten zu können, wenn sie die Truppen im Land belassen will. Der Ausweitung des Krieges nach Pakistan, die im Interesse einer dauerhaften Vormachtstellung in der Region unvermeidbar erscheint, entspricht Washington durch die Anerkennung der Notwendigkeit, strukturelle Balken in das Chaos einzuziehen, von denen man zumindest hofft, daß sie sich als tragfähig erweisen. Im Grunde genommen ist die propagierte Arbeitsteilung - Gewaltakteur USA, Aufbauhelfer EU - Ausdruck eines Scheiterns, zu dem man sich nicht bekennen will. Da die zivilen Maßnahmen durch das kriegerische Zerstörungswerk diskreditiert werden und das Initiieren einer eigenständigen demokratische Entwicklung in Afghanistan am Ausschluß der Besatzungsgegner krankt, wird die Situation weiter zu Lasten der Bevölkerung eskalieren, so daß jeder Schritt zivilen und humanitären Engagements nach vorn durch zwei Schritte an zerstörter Glaubwürdigkeit und Lebensgrundlage zurück zunichte gemacht werden wird.

Dieses Problem versucht die NATO, durch übergeordnete Regulative zu kompensieren. Vernetzte Sicherheit wird im Rahmen des erweiterten Sicherheitsbegriffs, mit dem die NATO sich seit Ende der Blockkonfrontation als globaler ordnungspolitischer Akteur empfiehlt, als universal anwendbare Rezeptur auch und gerade für Probleme sozialer und gesellschaftlicher Art angepriesen, und das nicht nur in sogenannten gescheiterten Staaten. Die Militarisierung der Entwicklungspolitik und der Außenpolitik der NATO-Mitgliedstaaten kann als gouvernementaler Entwurf für Zeiten der Wirtschaftskrise und Ressourcenverknappung verstanden werden. Das Problem ist weit größer, als daß es sich auf die Instrumentalisierung ziviler Mittel, die auch ohne Waffen stets hegemoniale Zwecke verfolgt haben, für Zwecke der Kriegführung beschränken ließe. Es besteht darin, daß Afghanistan und Pakistan als Labor imperialistischer Politik fungieren, um in Zeiten objektiv begrenzter Verwertungsmöglichkeiten Konzepte für die Aufrechterhaltung eines Akkumulationsmodells zu entwickeln, das sich überlebt hat und daher um so räuberischer zu Werke gehen muß. Die engere Zusammenarbeit zwischen den USA und der EU artikuliert sich in der erweiterten supranationalen Zuständigkeit der NATO für alle Belange des Lebens und Sterbens, für den biopolitischen Zugriff auf Bevölkerungen, die von vornherein als Betriebsstoff für das kapitalistische Weltsystem vorgesehen sind, als dem aktuellen Krisenmanagement adäquat.

12. April 2009