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FRIEDEN/1084: Der kalte Frieden zwischen Israel und Ägypten befeuert den sozialen Krieg (SB)



Der in diesen bewegten Tagen immer wieder zu vernehmende Verweis auf die den Frieden in Nahost sichernde Rolle des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak läßt in dessen bereitwilliger Beteiligung an der Blockade Gazas erkennen, daß dieser Frieden nicht nur die Unterdrückung der eigenen Bevölkerung, sondern auch die Palästinas voraussetzt. Im geostrategischen Entwurf der EU und USA ist Ägypten tragender Pfeiler eines regionalen Bündnissystems, das ohne die Zerstrittenheit der arabischen Staatenwelt und das soziale Elend ihrer Bevölkerungen nicht den Status an faktischer Destabilisierung zementieren könnte, der im Sinne der äußeren Ordnungsmächte wie Israels als derzeit besonders eindringlich beschworene Stabilität in Erscheinung tritt. Die Rolle Ägyptens in diesem zur strategischen Doktrin verstetigten Krisenmanagement ist von besonderer Bedeutung aufgrund seiner direkten Nachbarschaft zu Israel und der daraus resultierenden Bereitschaft des früheren Präsidenten Anwar al Sadat, den seit 1967 bestehenden Kriegszustand zwischen beiden Staaten in eine Friedensregelung zu überführen.

Dies wurde im Abkommen von Camp David am 17. September 1978 unter Vermittlung des damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter zwischen Sadat und dem damaligen israelischen Ministerpräsidenten Menachem Begin verwirklicht. In der Rückschau auf dieses historische Ereignis wird gerne vergessen, daß das Ergebnis dieses Vertrags einem Vorschlag Sadats entsprach, mit dem er bereits 1971 vergeblich versuchte, den Abzug der israelischen Truppen aus dem Sinai mit friedlichen Mitteln zu erwirken. Erst nach dem für Ägypten zumindest teilweise erfolgreichen Krieg vom Oktober 1973 setzte sich in Israel, wo man bis dahin jede Verhandlungslösung verweigert hatte, die Einsicht durch, daß ein Frieden mit Ägypten auch zu dem Preis der Rückgabe des besetzten Sinai von dauerhaftem Vorteil wäre.

Camp David I ist denn auch alles andere als ein Produkt altruistischen Friedenswillens, wie der Begin und Sadat dafür verliehene Friedensnobelpreis glauben machen könnte. Es war ein Abkommen zum beiderseitigen Nutzen, daß Eskalationen den Weg bahnte, die den davon betroffenen Menschen nichts Friedliches bescherten. Mit der Lösung dieses Territorialkonflikts wurden andere langfristig festgeschrieben. Was Sadat mit dem Separatfrieden zwischen Israel und Ägypten und der Rückgabe des im Krieg vom Juni 1967 durch Israel eroberten Sinai zurückgewann, mußte Syrien als dauerhaften Verlust der Golan-Höhen verbuchen. Die größten Verlierer waren jedoch die Palästinenser, deren Gebiete nach dem Abbau der israelischen Siedlungen auf dem Sinai zum bevorzugten Expansionsraum des israelischen Kolonialismus wurden. Mit der mehrjährigen Isolation Ägyptens durch die Arabische Liga, die das Land nach Camp David bis 1989 ausschloß, waren die Gegner Israels wirksam neutralisiert, so daß die Annexionspolitik in den besetzten Palästinensergebieten ohne größere äußere Bedrohung vonstatten gehen konnte.

Zur Zeit der Verhandlungen von Camp David lebten etwa 16.000 Israelis in 30 Siedlungen sowie in Ost-Jerusalem. Ein Abzug Israels wäre damals noch bedeutend unaufwendiger gewesen als vor Beginn der israelisch-palästinensischen Friedensverhandlungen 1991, als 120.000 Israelis in 140 Siedlungen im Gazastreifen und Westjordanland sowie weitere 125.000 im besetzten Ost-Jerusalem lebten, oder gar heute, da sich die Zahl der israelischen Siedler noch einmal mehr als verdoppelt hat. Ob auf dem den Palästinensern im besten Fall verbleibenden 22 Prozent des britischen Mandatsgebiets heute noch eine Eigenstaatlichkeit zu verwirklichen wäre, wird von immer mehr Experten bezweifelt. Der Status quo der Okkupation eines Gebiets, das durch die israelische Annexionspolitik permanent kleiner wird, wurde durch die nur formal, aber nicht zwingend erfolgte Einbeziehung der Ansprüche der Palästinenser in den Friedensschluß vorweggenommen.

Dabei hatte Präsident Sadat bei seinem historischen Besuch in Israel im November 1977 noch ausdrücklich den Abzug der israelischen Truppen aus allen 1967 besetzten Gebieten und die Verwirklichung des Rechtes des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung einschließlich des Rechtes auf Bildung eines eigenen Staates verlangt. Daß es in Camp David dazu nicht kam, war nicht zuletzt auf die Nahostpolitik Washingtons zurückzuführen, die seit 1971 unter der Federführung des nationalen Sicherheitsberaters Henry Kissinger stand. Seine betont israelfreundliche Politik entwickelte sich parallel zur Herauslösung Ägyptens aus dem Bündnis mit der Sowjetunion, die Sadat schon bald nach seinem Amtsantritt 1970 entschieden vorantrieb. Die Ermordung Sadats am 6. Oktober 1981 durch Attentäter aus den eigenen Streitkräften, die angeblich einer Gruppe islamistischer Verschwörer angehörten, könnte als Folge der wachsenden Abhängigkeit des ägyptischen Präsidenten von den USA gedeutet werden, ohne die er womöglich nicht gegen den innerarabischen Konses, eine Verbesserung der Beziehungen zu Israel nur nach Rückzug aus allen 1967 eroberten Gebieten anzustreben, verstoßen hätte.

Die beiden verfeindeten Staaten Israel und Ägypten wurden in Camp David auch deshalb handelseinig, weil die US-Regierung wußte, daß sie ihren Einfluß im Nahen Osten, der seit der Ölpreiskrise von 1973 und deren negative Auswirkungen auf die Weltwirtschaft von größerer Bedeutung denn je war, nicht auf der Seite Israels gegen einen geschlossenen arabischen Block ausbauen konnte. Dieser wäre angesichts der immer deutlicheren Parteinahme Washingtons für Israel zusehends ins sowjetische Lager geraten und hätte den USA damit einen schweren geostrategischen Rückschlag verpaßt.

Die Hegemonie der USA im Nahen und Mittleren Osten vertiefte sich mit der seit dem Golfkrieg 1991 andauernden Ausschaltung des Iraks als regionaler Machtfaktor und dem Friedensvertrag zwischen Jordanien und Israel 1994. Zementiert wurde und wird sie durch massive Militärhilfe an die Adresse der arabischen Verbündeten, die zum einen die Vormachtstellung der USA in der Region sichert und zum andern eine Quersubventionierung der US-Rüstungsindustrie darstellt. Die Aufwertung der Palästinenser zu einem eigenständigen Akteur wurde im Oslo-Prozeß in die Bahn einer für Israel günstigen Lösung des Besatzungsproblems gelenkt, bei der die Palästinenser weitgehend für die Unterdrückung des militanten Widerstands gegen die Okkupation sorgten und zudem Verwaltung und Versorgung in den formal autonomen Gebieten organisierten, was ansonsten Aufgabe der Besatzungsmacht gewesen wäre.

Neben dem Untergang der Sowjetunion ist die westliche Hegemonie über den Nahen und Mittleren Osten vor allem der Tatsache zu verdanken, daß die Einigkeit der arabischen Staaten in der Palästinafrage seit 1978 nicht mehr wiederhergestellt werden konnte. So wäre die Invasion Israels in den Libanon 1982 und die Bombardierung des Landes 2006 ohne das Stillhalten Ägyptens nicht möglich gewesen. Beim Überfall der israelischen Streitkräfte auf Gaza erfüllte Ägypten sogar die Rolle eines Grenzwächters, mit dem eine Massenflucht aus dem Kriegsgebiet auf das eigene Territorium verhindert wurde.

Die sozialen Konflikte in den arabischen Staaten, die die Legitimität der sie regierenden Despotien permanent in Frage stellen, begünstigen deren Einbindung in die geostrategischen Interessen der USA und EU. Der jordanische Publizist Mouin Rabbani hat vor zwei Jahren eine Form der Kollaboration dieser Regierungen gegen das von ihnen angeblich vertretene Interesse an einem gerechten Frieden für die Palästinenser ausgemacht, die mit der nichterfolgten Unterstützung der Bevölkerung Gazas durch die arabische Welt unübersehbar in Erscheinung trat:

"Im Kern geht es um die Frage der Beziehungen des arabischen Staatensystems mit Mächten von außen. In der gegenwärtigen Phase, in der die Legitimität der örtlichen Regime in den Augen der Staatsvölker schwindet, gibt es ein Lager, das auf einen Schulterschluss mit Europa und Washington setzt - als das beste Mittel zur Sicherung des eigenen Überlebens. Wenn man sich also den Libanon-Krieg 2006 und jetzt den Gaza-Krieg ansieht - da war zu beobachten, dass einige arabische Staaten offenbar damit begonnen haben, einen Sieg Israels fast schon als Teil ihrer eigenen nationalen Sicherheitsstrategie zu begreifen - wie ich meine, eine bedeutende Entwicklung."
(Deutschlandfunk, Hintergrund, 09.03.2009)

Es zeugt mithin von grober Irreführung, wenn diese als "Stabilitätsexport" ausgewiesene Korrumpierung arabischer Regimes von Politik und Medien der EU nicht selbstkritisch als Armut und Gewalt beförderndes Vehikel eigener Vorteilsnahme dargestellt wird. Die nun zu vernehmende Befürchtung, eine künftige ägyptische Regierung könnte das Camp David-Abkommen aufkündigen, gilt nicht der Sorge um die davon möglicherweise betroffenen Menschen, sondern reflektiert den drohenden Verlust strategischen Einflusses auf die Region. Im Grund genommen bleibt alles beim alten - imperialistische Interessen beherrschen das Feld, und wer es wagt, sie beim Namen zu nennen, läuft Gefahr, als ideologisch verblendeter Feind Israels, der USA und EU stigmatisiert zu werden.

10. Februar 2011