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FRIEDEN/1021: Wohlorchestriertes Zusammenspiel zwischen Netanjahu, Obama und Merkel (SB)



Auf seiner Reise durch europäische Hauptstädte will Israels Premierminister Benjamin Netanjahu den Eindruck erwecken, sich einem Friedensprozeß mit den Palästinensern nicht weiter zu verschließen. Unterhalb der Schwelle euphemistischer Rhetorik bietet Netanjahu nicht mehr als einen befristeten Siedlungsstopp von vielleicht sechs Monaten an, und das angesichts der Tatsache, daß seit Jahresbeginn im Westjordanland fast 600 neue Wohneinheiten gebaut wurden, darunter 100 sogenannte illegale Außenposten. Auch in Ostjerusalem wird weitergebaut, zudem hat das israelische Verteidigungsministerium laut der israelischen Organisation Peace Now den Bau von mehr als 40.000 neuen Wohneinheiten in den bereits bestehenden Siedlungen des Westjordanlands bewilligt (junge Welt, 25.08.2009).

Im Deutschlandfunk (07.08.2009) erläuterte Netanjahus Sprecher Mark Regev, was unter dem "natürlichen Bedürfnis" der israelischen Siedler zu verstehen ist, das von der israelischen Regierung angeführt wird, um den Ausbau der bestehenden Siedlungen zu rechtfertigen:

"Die natürlichen Bedürfnisse innerhalb einer bestehenden Gemeinde. Wenn es mehr Kinder gibt, braucht man eine Schule, oder der Bau einer Synagoge oder einer Klinik. Das sind die Bedürfnisse einer wachsenden Gemeinde. Nicht Ausdehnung, sie soll nicht größer werden, aber innerhalb dieser Gemeinde dem Bedarf der Bewohner entsprechen."

Das hört sich harmlos an, doch eine halbe Million Siedler auf jenen 22 Prozent an Land, das den Palästinensern nach dem Junikrieg 1967 vom früheren britischen Mandatsgebiet Palästina geblieben ist, erzeugen erheblichen Expansionsdruck. Das gilt nicht nur für die illegale Landnahme und die der exklusiven Nutzung der Siedler vorbehaltene Verkehrsinfrastruktur, sondern auch die damit einhergehenden Sicherheitsmaßnahmen. Die Einschränkung palästinensischer Bewegungsfreiheit wird mit dem Schutz der Siedler vor Angriffen legitimiert und soll mit ihrer anwachsenden Zahl und der angeblichen Unabänderlichkeit ihrer Anwesenheit aus israelischer Sicht niemals so weit zurückzunehmen sein, daß eine souveräne Eigenstaatlichkeit der Palästinenser möglich wäre. Des weiteren hat die demografische Verdichtung der Siedlungen eine verstärkte Nutzung der knappen Ressource Wasser zur Folge. Diese steht unter israelischer Kontrolle, so daß der persönliche wie landwirtschaftliche Verbrauch der Siedler weit höher ausfällt als das, was den Palästinensern an kostbarem Naß zugestanden wird. Je mehr Menschen in den existierenden Siedlungen leben, desto aussichtsloser wird es für die Palästinenser, Wasserrechte in einem Ausmaß beanspruchen zu können, die ihnen eine auch nur annähernd gleiche Nutzung wie den Siedlern ermöglicht.

Die Intensivierung der Siedleraktivitäten produziert mithin die Gründe für die Beibehaltung der Besatzung. Einer realen Rücknahme der erreichten Landnahme verweigert sich die israelische Regierung schon deshalb, weil das deutlich machte, daß die Aufgabe aller nach dem Völkerrecht illegalen Siedlungen kein Ding der Unmöglichkeit wäre. Die vielzitierte Illegalität der sogenannten Außenposten erfüllt vor allem die Aufgabe, die grundsätzliche Widerrechtlichkeit der Besiedlung eroberter Gebiete zu vernebeln.

Die Benachteiligung und Unterdrückung der Palästinenser durch den Siedlerkolonialismus schafft mithin eine Art darwinistisches Gewohnheitsrecht, nach dem den Schwächeren nicht einmal die Befriedigung aller existentiellen Bedürfnisse gewährt wird. Es ist diese Ideologie des erfolgreich vollzogenen Raubs, auf der die unverbrüchliche Allianz zwischen Israel und seinen Verbündeten basiert und die erklärt, warum die Scharade des Friedenswillens an die Umfriedung langfristig angelegter Lager denken läßt.

Während die israelische Regierung die Einschränkung des Baus neuer Wohneinheiten für israelische Bürger in Ostjerusalem strikt mit der Behauptung ablehnt, es handle sich um die unteilbare Hauptstadt Israels, und jede dementsprechende Forderung in den Kontext antisemitischer Vertreibungsabsicht stellt, bietet Netanjahu nicht etwa den Palästinensern, die für ihn keine Verhandlungspartei sind, weil sie sich nicht unter Preis über den Tisch ziehen lassen wollen, sondern den USA einen befristeten Siedlungsstopp im Westjordanland an. Mit diesem Minimalgebot soll US-Präsident Barack Obama sein Gesicht gegenüber den arabischen Staaten wahren, mit denen er in Kairo den Beginn einer wunderbaren Freundschaft geprobt hatte.

Da die wichtigen arabischen Regierungen eng mit den USA zusammenarbeiten respektive von ihnen abhängig sind, ist zu erwarten, daß sie gute Miene zum bösen Spiel machen. Die Palästinenser wiederum sollen mit der in Aussicht gestellten wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Israel dafür gewonnen werden, die Existenz als verlängerte Werkbank israelischer Produktivität dem Wunsch nach Eigenstaatlichkeit vorzuziehen. Das von Netanjahu entworfene Konzept eines Wirtschaftsfriedens verabsolutiert den Verwertungszwang des Kapitals zu einer Universallösung für alle Probleme der Palästinenser, die als globalisierte Marktbürger den Sprung in eine national entgrenzte Zukunft machen sollen, die sie jeder Bestimmung ihrer Lebens- und Gesellschaftsform enthebt.

Während das Konzept, aus den Palästinensergebieten eine Art Wirtschaftssonderzone mit besonders günstigen Verwertungsbedingungen - niedriger Lohn, schwacher Arbeitsschutz, kaum Umweltauflagen, wenig Steuern, freier Kapitalverkehr - zwecks Ansiedlung der Produktionsstätten israelischer wie transnationaler Unternehmen zu machen, für das Westjordanland praktikabel erscheint, müsste Gaza der Hamas entrissen werden, was seit zwei Jahren mit der verschärften Aushungerung des abgeschlossenen Gebiets versucht wird. Gegen den Versuch, die Hamas auf ähnliche Weise wie die Fatah in den Ausverkauf palästinensischer Interessen einzubinden, spricht schon der erreichte Stand an Feindseligkeit zwischen beiden Parteien. Diesen aufzuheben, um mit allen großen Fraktionen der Palästinenser zu verhandeln, kann kaum im Interesse Netanjahus liegen, zumal die islamistische Partei bislang auf territorialen Forderungen bestanden hat, die etwa dem Stand entsprechen, den die PLO vor dem Oslo-Prozeß hatte. Möglich wäre allerdings ein Regimewechsel im Iran und eine Kursänderung der Politik Syriens, so daß der Hamas jegliche Unterstützung entzogen wird. Bis dahin wird man auf die Gewalt des Mangels setzen.

Wenn vor dem Hintergrund dieses Ausverkaufs zwischen Israel, den USA und der EU Unstimmigkeiten aufkommen, dann handelt es sich zum größten Teil um Theater. Mit Meinungsverschiedenheiten wie im aktuellen Fall, bei dem Netanjahus nationaler Sicherheitsberater Uzi Arad am Telefon gegenüber Kanzlerinberater Christoph Heusgen laut geworden sein soll, nachdem dieser sich weigerte, für Netanjahus Besuch bei Angela Merkel einen Siedlungsstopp von der Agenda der Gesprächsthemen zu nehmen, wird der Preis für ein mögliches Zugeständnis Israels in die Höhe getrieben. Indem alle miteinander daran arbeiten, daß ein kleines Entgegenkommen Netanjahus wie ein großer Durchbruch aussieht, kann man den Ball am Ende wieder den Palästinensern zuspielen, die bei Verweigerung seiner Annahme wie im Jahr 2000 in Camp David als Hauptschuldige für das Scheitern angeblich aussichtsreicher Friedensverhandlungen dargestellt werden.

Bezichtigungsstrategien dieser Art sind gut erprobt, und sie funktionieren desto besser, als die Palästinenser keine einheitliche Front im Widerstand gegen die israelische Besatzungspolitik bilden. Ihre Aufteilung in zwei Lager ist eine strategische Errungenschaft der US-amerikanischen Geopolitik des Teilens und Herrschens, die die den Palästinensern vermeintlich zugewandtere Position Obamas auf einen Fassadenwechsel reduziert. So lange dieser nicht der Empfehlung seines Vorgängers Jimmy Carter folgt und die Hamas in seine Vermittlungsbemühungen einbezieht, kann von einer qualitativen Verbesserung der US-amerikanischen Nahostpolitik nicht gesprochen werden. Auf angemessene Weise illustriert wird das traditionelle Zusammenspiel der Administrationen in Washington und Tel Aviv mit einem Zitat, mit dem der Nahostkorrespondent der Neuen Zürcher Zeitung, Victor Kocher, einen erhellenden Artikel über den seit Jahrzehnten an den Palästinensern begangenen Betrug abschließt:

"Die damalige Aussenministerin Condoleezza Rice besuchte Dutzende von Malen den Nahen Osten und hielt beide Seiten zu schmerzlichen Kompromissen im Dienste eines Friedens an. In Ramallah warf man ihr vor, der grösste Teil Palästinas sei schon an Israel abgetreten, man könne an den verbliebenen 22 Prozent Palästinas nicht nochmals Abstriche machen. «Vergessen Sie die 78 Prozent», soll sie geantwortet haben, «jetzt geht es nur noch um den Rest.»"
(NZZ, 22.08.2009)

26. August 2009