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FRIEDEN/1008: Strategische Verstimmung zwischen Washington und Tel Aviv (SB)



Die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Regierungen in Washington und Tel Aviv erscheinen nur vor dem Hintergrund, daß derartige Verstimmungen bislang ausgeblieben sind oder unterhalb der Schwelle öffentlicher Wahrnehmung verhandelt wurden, als gravierend. Von der Substanz her gehört die Forderung der US-Regierung nach einer Einstellung des Siedlungsausbaus zum Standard US-amerikanischer Nahostpolitik im Rahmen des Oslo-Prozesses, der Road Map und der Annapolis-Vereinbarungen. Die größere Unterstützung, die US-Präsident George W. Bush den israelischen Regierungen unter den Premierministern Ariel Sharon und Ehud Olmert gewährte, war der Dominanz neokonservativer Politikberater, die eine weitgehend den Zielen zionistischer Landnahme folgende Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens planten, in seiner Regierung geschuldet.

US-Präsident Barack Obama hat aus dem Problem des geschwundenen Einflusses Washingtons auf die Region den Schluß gezogen, einen Neuanfang mit der muslimischen Welt zu inszenieren, der den USA den neuerlichen Zuspruch der urbanen und technokratischen Funktionseliten Arabiens verschaffen soll. Der Krieg in Afghanistan und in Pakistan, die problematische Situation im Irak, die daraus resultierende Aufwertung des Irans als regionale Mittelmacht sowie der wachsende Einfluß Rußlands und Chinas auf die Region sind einige der Gründe, die für eine Neuausrichtung der US-Nahostpolitik sprechen. Die Rehabilitierung des durch die einseitige Parteinahme für Israel und durch die in Abu Ghraib, Bagram und Guantanamo vollzogene Demütigung erschütterten Ansehens der USA kann durch die aktive Widerlegung der verbreiteten Ansicht, daß man in Washington niemals gegen politischen Ziele israelischer Regierungen arbeitet, einen guten Schritt vorankommen.

Der schlechte Ruf, unter dem die neue Rechtsregierung in Israel leidet, und die Nachwehen der Massakrierung der Palästinenser in Gaza haben eine Situation geschaffen, in der sich ein Konflikt von hoher symbolträchtiger Wirkung zwischen Washington und Tel Aviv entfalten läßt. Weit davon entfernt, den palästinensischen Forderungen nach einer Rückgabe aller 1967 von Israel eroberten Gebiete, einer eigenen Hauptstadt Ost-Jerusalem und der Anerkennung des Rückkehrrechts der palästinensischen Flüchtlinge gerecht zu werden, liefert die Regierung Obama der Regierung Netanyahu ein Scharmützel, das als Kurswende in der Nahostpolitik Washingtons völlig überinterpretiert ist. Interesse daran haben viele westliche Medien, deren Journalisten es leid sind, die offenliegenden Widersprüche ihres Israels Besatzungspolitik und Kriegführung verteidigenden Kurses umschiffen zu müssen, so daß man die Handreichung Obamas gerne in Anspruch nimmt, die eigene Glaubwürdigkeit wie die der USA aufzupolieren.

Wie es um das tatsächliche Eintreten der USA für die Interessen der Palästinenser bestellt ist, läßt sich unschwer an der fortdauernden Boykottierung Gazas und der gezielt zu Lasten der Hamas gehenden Aufwertung der Fatah-Regierung in Ramallah erkennen. Indem man mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas einen pflegeleichten Sachwalter der politischen Ziele der USA und EU aufbaut, indem man ihm von US-Militärs ausgebildete Sicherheitskräfte an die Seite stellt, die offensiv gegen Hamas-Mitglieder im Westjordanland vorgehen, und kein Wort über die humanitäre Notlage in Gaza verliert, bereitet man den Palästinensern eine Zukunft in der ökonomischen Abhängigkeit und politischen Unmündigkeit eines dauerhaften Protektorats von Gnaden der USA und Israels. Eigenstaatlichkeit implizit aller souveränen Rechte, die dazu gehören, ist nicht vorgesehen. Statt dessen geht es um eine Lösung, mit der die Mehrheit der nicht ultraorthodoxen und radikalzionistischen Israelis gut leben kann, weil sie nicht dazu gezwungen wird, die demokratische Entwicklung Palästinas durch den Verzicht auf den spezifisch jüdischen Charakter ihres Staats zu begleiten.

Ein wirklich souveräner Staat der Palästinenser, der unter anderem Sicherheitsgarantien von der gleichen Qualität benötigte, die Israel gewährt werden, der keine Einschränkungen seiner hoheitlichen Rechte hinnehmen müßte, der vollständige Verfügungsgewalt über die auf seinem Gebiet vorhanden Wasservorkommen besäße und der ein Staat aller Palästinenser, also auch seiner jüdischen Bürger, wäre, ist nicht vorgesehen. Er ist von den arabischen Regierungen, die Obama umwirbt, auch gar nicht erwünscht, könnte eine aus jahrzehntelanger Unterdrückung machtvoll erwachsende Emanzipation der Palästinenser doch Maßstäbe an demokratischen Freiheiten setzen, die die Bevölkerungen Ägyptens, Jordaniens, Syriens und Saudi-Arabiens in Konfrontation mit den eigenen Regimes brächten. Das Auseinanderdividieren der Palästinenser in zwei die beiden größten politischen Parteien repräsentierende Lager erfolgt dementsprechend systematisch und gezielt.

Obama hält seine große Versöhnungsrede mit der muslimischen Welt nicht umsonst in dem ausgesprochen autoritär regierten, von US-Militärhilfe abhängigen und die Isolation des Gazastreifens ermöglichenden Land seines Vasallen Hosni Mubarak. Zu der dort entfalteten Blendwirkung trägt die derzeitige Rangelei zwischen Washington und Tel Aviv um kleine Zugeständnisse der Regierung Netanyahu erheblich bei. Das weiß man auch in Israel, wo die langfristigen Folgen der Nahostpolitik Obamas nicht nur negativ bewertet werden.

31. Mai 2009