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FRIEDEN/1004: Steinmeier auf dem Hochsitz werteorientierter Außenpolitik (SB)



Außenminister Frank Walter Steinmeier hat die Teilnahme an der am Montag begonnenen UN-Antirassismuskonferenz in Genf mit dem Argument verworfen, "dass diese Konferenz ebenso wie Vorgängerkonferenz im Jahre 2001 als Plattform für andere Interessen missbraucht wird. Dies können wir nicht akzeptieren." Der sich daran anschließende Vorbehalt, man werde den Konferenzverlauf "sehr genau beobachten", um möglicherweise "zu einem späteren Zeitpunkt wieder aktiv teilzunehmen", ist ein Feigenblatt im doppelten Wortsinne. Es wird suggeriert, daß es objektive Gründe gebe, die eine Beteiligung verhinderten, um dennoch Einfluß auf den Verlauf der Konferenz zu nehmen, ohne die Möglichkeit einzuräumen, daß die Vertreter der Bundesrepublik in Genf selbst auf rassistische Elemente ihrer Politik überprüft werden, womit sie den offenen Abtausch der Argumente auf feige Weise vermeiden.

UN-Konferenzen sind nicht zufällig Felder der Verhandlung und des Streits, auf denen mit harten Bandagen gekämpft wird. Im Fokus der Weltorganisation stoßen materielle Widersprüche von eklatanter Art aufeinander. Vertreter militärischer Großmächte sitzen Regierungsbeamten von Ländern gegenüber, die sie mit ihrer imperialistischen Politik drangsalieren, den Zentren globaler Produktivität, die vor allem in der westlichen Hemisphäre angesiedelt sind, stehen die Armenhäuser der Länder des Südens gegenüber, und die westlichen Metropolengesellschaften verbrauchen, begünstigt durch ihre ökonomische Macht, ein Vielfaches der begrenzten natürlichen Ressourcen zu Lasten der Hungerleider in Afrika, Asien und Lateinamerika.

Der rassistische Charakter dieser Widerspruchlagen ist zum einen historischer Art, basiert der in Nordamerika und Westeuropa akkumulierte Reichtum, wie die einschlägige Geschichte von Handelszentren wie New York und London belegt, doch zu einem Gutteil auf der jahrhundertelangen Versklavung nichtweißer Menschen. Die die Herausbildung des kapitalistischen Weltsystems bewirkenden Epochen kolonialistischer und imperialistischer Expansion sind von dem extremen Mißverhältnis zwischen dem Wert eines weißen und eines nichtweißen Menschen bestimmt, das sich heute noch darin ausdrückt, daß der Tod eines NATO-Soldaten in Afghanistan hierzulande weit mehr Beachtung erfährt als die Bombardierung afghanischer oder pakistanischer Häuser, bei der ganze Familien ausgelöscht werden. Weiße Suprematie drückt sich schließlich in der Diskrepanz zwischen den Alltagssorgen eines durchschnittlichen Europäers aus, die häufig aus Irritationen oder Konsumproblemen bestehen, die nur Mensch ereilen können, die niemals existentielle Not erlitten haben, und den direkt ans Leben greifenden Mängeln, an denen Menschen in den Elendsgebieten des Südens sterben. Die dazwischen errichteten Grenzen fordern jedes Jahr Tausende von Opfern unter den Flüchtlingen, die diesem Los entkommen möchten, ohne daß dies auch nur entfernt auf eine Weise wie etwa die Eheprobleme eines Hollywoodstars skandalisiert würde.

Die Forderung der von Menschenraub und kolonialistischer Ausplünderung betroffenen Regionen, Anspruch auf Entschädigung für das erlittene Unrecht geltend zu machen, die mit einem kleinen Teil des Reichtums bestritten werden könnte, der ihren Vorfahren und Ländern abgepreßt wurde, wurde auf der UN-Weltkonferenz gegen Rassismus in Durban 2001 abschlägig beschieden. Daran wird sich auch dieses Mal nichts ändern, obwohl tatkräftige Hilfe für die Armenhäuser der Welt dringender denn je geboten ist. Keinesfalls sollen deren Regierungen über einen verpflichtetenden Rechtsanspruch verfügen, statt dessen müssen sie sich mit wohlklingenden Phrasen über das begangene Unrecht zufriedengeben. So könnte auf der Überprüfungskonferenz in Genf durchaus fortgeschrieben werden, was bekämpft werden soll.

Der rassistische Charakter dieser Widerspruchlagen ist zum andern machtpolitischer Art, wie auch der Versuch der westlichen Staaten belegt, das Ergebnis der Konferenz durch die Androhung, ihr fernzubleiben und ihr auf diese Weise Legitimität zu entziehen, im Vorfeld zu beeinflussen. Dies ist bereits durch die ihnen entgegenkommende Moderation der geplanten Abschlußdeklaration gelungen, so daß der Rückzug der Bundesrepublik um so fragwürdiger ist. Die von deutschen Politikern befürchteten "antiisraelischen" Stellungnahmen sind aus dem Entwurf verschwunden, Israel wird mit keinen Wort erwähnt, dafür wird, wie bereits in der Abschlußdeklaration von Durban 2001, dazu aufgerufen, das Vermächtnis des Holocaust nicht zu vergessen.

Die "anderen Interessen", die in Durban zur Geltung gelangt sein sollen und aufgrund derer man nicht nach Genf reise, haben sich jedenfalls nicht in der Abschlußdeklaration 2001 niedergeschlagen. Israel wird lediglich in den Stellungnahmen einzelner Regierungen erwähnt, und dort verteilen sich Anklage und Verteidigung auf zu erwartende Weise. Die damalige Regierung in Tel Aviv erklärte ausdrücklich ihre Zufriedenheit mit diesem Ergebnis des Auszugs der USA und Israels, so daß Steinmeiers Bilanzierung der Durban-Konferenz vor allem von der prinzipiellen Weigerung kündet, das Problem des Rassismus in aller Offenheit zu erörtern.

Wollte die Bundesregierung sich tatsächlich getreu der von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Anspruch genommene Staatsräson vorbehaltlos für Israel stark machen, dann täte sie dies am besten im Rahmen der Konferenz. Indem sie fernbleibt, regt sie zu Mutmaßungen darüber an, daß die Unterstützung der Kriegführung der israelischen Regierung im Libanonkrieg 2006 und im Krieg gegen Gaza 2008/2009 zum Thema gemacht werden könnte. Nicht nur die Bundesregierung, sondern praktisch alle NATO-Staaten verzichteten darauf, die Bombardierung libanesischer und palästinensischer Zivilisten durch entschiedenen Einspruch zu beenden, um der israelischen Regierung das Erreichen ihrer Kriegsziele zu ermöglichen.

Auch könnte die Boykottierung der demokratisch gewählten palästinensischen Regierung durch die NATO-Staaten zum Thema werden, widerspricht diese Praxis doch deren ureigenen erklärten Wertvorstellungen. Der aktuelle politische Diskurs ist gerade unter dem Vorzeichen der Bekämpfung des Rassismus so vermint, daß man verstehen kann, wieso es die USA, Israel und Deutschland neben anderen westlichen Staaten vorziehen, das Geschehen als eine von undemokratischen Staaten beherrschte Alibiveranstaltung zu stigmatisieren.

Den Opfern von Regierungen, die Frauen und religiöse Minderheiten unterdrücken und in deren Gefängnissen gefoltert wird, hilft man auf diese Weise allerdings nicht. Bei letzterem haben EU und USA zudem einige Glaubwürdigkeitsprobleme, wie die Praxis der Extraordinary Renditions, also die Auslagerung von Folterverhören an "Gewaltdienstleister" wie Ägypten oder Syrien, oder die Verwertung unter der Folter erpreßter Aussagen belegen. Nicht umsonst wird die Ausbeutung von Arbeitern in den Fabriken, die als verlängerte Werkbank westlicher Konzerne fungieren, von der Bundesregierung ignoriert, selbst wenn sie in Ländern stehen, deren Regierungen als Menschenrechtsverletzer angeprangert werden. Auch sollte die rassistische Ausbeutung von Frauen durch Zwangsprostitution und Sextourismus weiße Herren nicht nur als Nutznießer interessieren.

Die Debatte um die Genfer Konferenz dreht sich eben nicht nur um Israel, wie Steinmeier implizit glauben macht. Indem er "andere Interessen" anprangert, die dort eine Bühne finden könnten, blendet er "andere Interessen" aus, die dort keinesfalls kritisiert werden sollen. Als Kanzleramtsminister der rot-grünen Bundesregierung war Steinmeier daran beteiligt, die Rückkehr eines Folteropfers aus Guantanamo nach Deutschland zu vereiteln. Als Außenminister veranlaßt er, daß die Bundesrepublik einer wichtigen UN-Konferenz fernbleibt, in der zentrale Probleme im Umgang der Staaten und Menschen miteinander debattiert werden. Zweifellos ist dieser Politiker für höhere Aufgaben qualifiziert.

20. April 2009