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WISSENSCHAFT/966: Unredlichkeiten in Forschung und wissenschaftlicher Publikation (UFZ-Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter September 2009

Standpunkt: Lösungen von Umwelt-Problemen sind fälschungssicher


Immer wieder erreichen Enthüllungen von wissenschaftlichem Fehlverhalten die Öffentlichkeit und schrecken auch die Forschergemeinde auf. Am spektakulärsten sind die Fälle, bei denen wirklich bahnbrechende Arbeiten manipuliert wurden, wie der des südkoreanischen Klonforschers Hwang Woo Suk, dessen Produktion embryonaler Stammzellen sich als Betrug entpuppte. Auch wenn solche Fälle unschön sind, besteht doch berechtigte Hoffnung, dass sie irgendwann auffliegen. Denn natürlich werden sie einer wissenschaftlichen Überprüfung unterzogen, womöglich weil sie ohnehin von der Skepsis konkurrierender Forscher begleitet sind. Fälschen auf diesem Niveau ist also leichtsinnig, weil entdeckungsgefährdet und daher wohl auch relativ selten.

Wissenschaftliches Fehlverhalten ist aber nicht auf das vorsätzliche Fälschen von Datenreihen und Konstruieren bahnbrechender "Erkenntnisse" beschränkt. Auch Unredlichkeiten wie die selektive Verwendung hypothesenkonformer Daten, geistige Anleihen, die in Publikationen nicht als solche gekennzeichnet sind, und so genannte Ehrenautorenschaften gehören dazu. Eine neue Variante ist das Anreichern eigener Publikationslisten mit noch nicht geschriebenen Publikationen, wie kürzlich in Göttingen geschehen. Dies stellt einen interessanten Spezialfall dar. Hier wurde der direkte Weg vom steuerfinanzierten Projekt hin zur Publikationsliste als der in der Wissenschaft gängigen Abrechnungseinheit genommen, gewissermaßen unter Verzicht auf aufwändige, wissenschaftliche Verfälschung. Ein Vergleich mit dem Spitzensport bietet sich an: Hier wurde nicht gedopt, sondern man hat sich aufs Siegerpodest und ins Geld gemogelt, ohne vorher geschwitzt zu haben.


Alles was zählt

Diese Art der Manipulation illustriert ein sehr interessantes Phänomen. Sie offenbart, dass die Fälscher den Inhalten ihrer Publikationen wenig Bedeutung beimessen und dies auch von den Bewertern ihrer Leistung erwarten. Der Aufbau einer Publikationsliste wird zum Primärziel des Forschers. Geringe Wertschätzung publizierter Inhalte findet sich aber nicht nur bei Autoren, sondern auch bei denen, die Werke anderer Autoren zitieren, also der vermeintlichen Leserschaft. Eine Arbeit des Schweizer Biophysikers Ulrich Laemmli in der Zeitschrift ,Nature' gilt als die meistzitierte Publikation der Wissenschaftsgeschichte. Obwohl Herr Laemmli nur einen Artikel in Nature publiziert hat, weist die Datenbank ,Web of Science' Zitationen von etwa 800 Nature-Artikeln dieses Autors aus. Der Grund liegt darin, dass jede Einzelangabe, die zur Identifizierung eines Artikels führt, vielfach falsch zitiert wurde: das Erscheinungsjahr, der Band und die Ausgabe der Zeitschrift, die Seitenangabe etc. Man macht nun einmal Fehler, könnte man einwenden. Wenn aber 10.000 solcher Fehler (!) bei demselben Artikel geschehen sind, bestimmte Fehler bis zu 4.700 mal gemacht wurden und derselbe Artikel angeblich auch in anderen Zeitschriften erschienen sein soll, dann muss man wohl tausendfache Unredlichkeit konstatieren, die hier darin besteht, falsch zitiert zu haben, weil man den Artikel wohl nie in der Hand gehabt hat. Es gibt zu denken, dass folglich selbst die virtuellen Artikel aus Göttingen Chancen hätten, zitiert zu werden. Aber Hand aufs Herz: Wir alle schummeln mal im täglichen Leben, gerade wenn wir meinen, nicht entdeckt zu werden. Aber wann kann sich ein Forscher sicher sein, dass seine Fälschung nicht auffliegt? Doch wohl in erster Linie dann, wenn er Belangloses publiziert, dessen Mangel an Reproduzierbarkeit niemanden aufregt oder das der Überprüfung nicht lohnt, zumal wenn es noch auf viele Publikationen verteilt wurde.

Die Motivation solcher Unredlichkeiten dürfte von der Art und Weise herrühren, wie wissenschaftliche Leistung bewertet wird. Hier ist eine ganz deutliche Fokussierung auf einige wenige numerische Kriterien festzustellen, unter denen Publikationen eine überragende Bedeutung haben, da ihre Zahl und vermeintliche Qualität ohne Selbstauskunft des Forschers aus Datenbanken abgerufen und mühelos mit der anderer Wissenschaftler verglichen werden kann. Zunehmendes Fehlverhalten kann daher wohl auf eine Veränderung der Wissenschaftskultur zurückgeführt werden, welche die buchhalterische Rationalisierung durch Zahl und Impact der Publikationen befördert. Wer Karriere machen will, so scheint es, muss sich nur darauf konzentrieren, dass die Zahl der Publikationen anwächst, um sichtbar zu werden. Dieser Fehlentwicklung gilt es zu begegnen.


Gegenmaßnahmen?

Wir müssen die Anreize für maßloses, beliebiges Publizieren verringern. Dies kann auf mehreren Wegen erfolgen. Erstens müssen wir lernen, die Qualität von Publikationslisten besser zu beurteilen und höher zu gewichten. Die existierenden Datenbankinstrumente geben das her, wir müssen uns aber im Umgang damit üben. Zweitens müssen wir dem wissenschaftlichen Nachwuchs vermitteln, dass wissenschaftliche Reputation nicht über das heute so gängige Verbreiten kleinster publizierbarer Einheiten erreicht wird. Die gängigen Regeln für die kumulative Promotion (d.h. das Anfertigen einer aus mehreren Publikationen bestehenden Dissertation als Alternative zu einer von Verstaubung bedrohten Monographie) sind dem leider nicht förderlich. Eine einzelne Publikation mit Substanz, die ein Arbeitsfeld verändert, ist viel wertvoller und kann ein viel besserer Türöffner sein, als eine ganze Sammlung leichtgewichtiger Allerweltspapiere.

Diese belasten sowohl das Begutachtungssystem als auch die an wirklichem Wissenszuwachs interessierten Leser. Drittens müssen wir Mitarbeiter viel sorgfältiger auswählen. Rekrutierungsprozesse stehen häufig in keinem vernünftigen Verhältnis zu den Verpflichtungen, die mit der Anstellung einer Person (vielleicht gar auf Lebenszeit) entstehen. Dies gilt gerade bei Berufungen von Professoren, die in Deutschland oft durch unzureichend informierte Kreise beschlossen werden. Wer einmal den eine Berufung in der Schweiz oder USA begleitenden Gesprächsmarathon erlebt hat, weiß, was gemeint ist. Publikationen sind dabei ein wichtiger Faktor. Kennziffern dürfen aber nicht soziale Kompetenz und Passfähigkeit, Problemorientiertheit und Glaubwürdigkeit dominieren, die man beispielsweise in ausführlichen Vieraugengesprächen mit den zukünftigen Kollegen unter Beweis stellen kann. Schließlich müssen wir unsere Kriterien für die Bewertung wissenschaftlicher Leistung ausweiten. Dies zwingt uns aber, der Beurteilung weniger leicht messbarer Leistungskriterien viel Zeit einzuräumen. Für das UFZ heißt dies vor allem, Transferaktivitäten (Anregung von Diskussionen im öffentlichen Raum, Beratungstätigkeiten, Produkte u.a.) konsequent als Maßstab für gute Wissenschaft heranzuziehen und weiterzuentwickeln. Nur so können wir unserem gesellschaftlichen Auftrag gerecht werden. Denn an einem besteht kein Zweifel: Funktionierende Lösungen für Umweltprobleme sind fälschungssicher.

Der Biologe Prof. Dr. Hauke Herms ist seit 2004 an der Universität Leipzig berufen und leitet am UFZ das Department Umweltmikrobiologie. Zuvor arbeitete und lehrte er ein Jahrzehnt an der ETH Zürich, der EAWAG sowie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (FPFL). Seit 2006 ist er zudem Vorsitzender des Wissenschaftlich-technischen Beirates (WTR) des UFZ, der sich u.a. mit Kriterien für wissenschaftliche Leistungen befasst.

Telefon: 0341/235-1260
e-mail: hauke.harms@ufz.de


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Quelle:
UFZ-Newsletter September 2009, Seite 10-11
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Oktober 2009