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WISSENSCHAFT/1391: Repräsentation und struktureller Rassismus in der Wissenschaft (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2017

Die Wissenschaft hat festgestellt ...
Forschung zwischen Geld, Macht und Gemeinwohlinteressen

Repräsentation und struktureller Rassismus in der Wissenschaft
Zur Kontroverse um die Black Studies in Bremen und darüber hinaus

von Bafta Sarbo


Vor nun fast 3 Jahren kam es in Bremen zu einer Kontroverse um eine Forschungsgruppe, die Black Studies in Deutschland etablieren wollte. Das Problem dabei: Die Gruppe bestand ausschließlich aus Weißen. Anstatt die Diskussion auf die Frage zu reduzieren, ob weiße WissenschaftlerInnen überhaupt zu Black Studies forschen dürfen, sollten die zahlreichen Hürden thematisiert werden, die Schwarzen Menschen in einer wissenschaftlichen Laufbahn begegnen.


Die an der Universität Bremen gegründete Forschungsgruppe mit dem Titel Black Knowledges ("Schwarzes Wissen") machte es sich zum Ziel, "Forschung und Debatten über weiße Versklaverei und Anti-Blackness innerhalb der Wissenschaft sowie Gesellschaft als Ganzes voranzutreiben".(1) Als die Forschungsgruppe, hauptsächlich aus Habilitanden und Doktoranden bestehend, vor mittlerweile fast 3 Jahren einen Förderantrag bei der Exzellenzinitiative stellte, kam es zu massiver Kritik an der Gruppe. In einem Statement formulierten Organisationen und Einzelpersonen der Schwarzen Community sowie zahlreiche UnterstützerInnen eine Kritik an der Zusammensetzung der Forschungsgruppe, die ausschließlich aus weißen WissenschaftlerInnen bestand.(2)


Schwarze Community kritisiert weiße Forschungsgruppe

Die in dem Statement verfasste Kritik spricht die mangelnde Repräsentation Schwarzer WissenschaftlerInnen im deutschsprachigen Raum an und problematisiert die fehlenden Bemühungen der Forschungsgruppe, Schwarze WissenschaftlerInnen über eine bloße Erwähnung im Förderantrag hinaus inhaltlich miteinzubeziehen. Dieses Vorgehen stehe besonders in Kontrast zur Bemühung um eine geschlechtergerechte Repräsentation in der Forschungsgruppe und damit dem Anspruch, auch Menschen aus gesellschaftlich marginalisierten Gruppen, in diesem Fall Frauen, angemessen zu repräsentieren. Darüber hinaus sei die Tatsache, dass Schwarze WissenschaftlerInnen im Förderantrag zwar als mögliche KooperationspartnerInnen erwähnt und ihre Werke benannt würden, ihnen aber keine finanziellen Ressourcen zukämen, nicht nur unethisch, sondern entspreche dem kolonialen Modell der Enteignung, bei dem weiße Menschen sich die Produkte der Arbeit und des Wissens Schwarzer Menschen zu eigen machen und es als Eigenes ausgeben. In dem Statement wird außerdem die Frage aufgeworfen, inwiefern eine rein weiße Gruppe von WissenschaftlerInnen überhaupt inhaltlich zu dem Thema Black Studies forschen kann. An die Kritik anschließend wurde eine öffentliche Diskussion sowie ein klares Bekenntnis zur Diversitätsstrategie der Universität Bremen und eine Bevorzugung Schwarzer WissenschaftlerInnen in Falle einer erneuten Antragsstellung gefordert.

Auf die Kritik reagierte die Forschungsgruppe mit ihrer Auflösung. In ihrem kurzen Statement schreibt die Gruppe, dass sie die an sie gerichtete Kritik annehmen und dass die angestrebte Etablierung eines marginalen Forschungsfeldes und die Unterstützung schwarzer Communities "eher ein Teil des Problems des Rassismus ist, statt ein Teil seiner Lösung". Abschließend unterstützten die ehemaligen Mitglieder die an die Universität Bremen gerichteten Forderungen der Schwarzen Community. In ihrem Auflösungsstatement bekennen sich die ehemaligen Mitglieder der Forschungsgruppe zu dem Anspruch, abseits von wissenschaftlicher Analyse auch politisch etwas zur Auseinandersetzung um Rassismus gegen Schwarze Menschen und den Aktivismus aus der Schwarzen Community beizutragen.


Die Black Studies entstanden im Kontext der US-Bürgerrechtsbewegung

An dem Fall der Black Studies in Bremen wird erneut ein altbekanntes Thema sichtbar: Das Verhältnis von Wissenschaft und politischem Aktivismus. Ein Blick auf die Geschichte der Black Studies zeigt, dass genau dieser Widerspruch diesem Fach im Speziellen immanent ist.

Die Black Studies, als Studienfach und als akademisch anerkanntes Forschungsfeld in Universitäten und Hochschulen, haben sich in den USA in den 1960er Jahren im Kontext der Bürgerrechtsbewegung entwickelt. Angeschlossen an Proteste von Studierenden, die beklagten, dass die Curricula die Werke und Beiträge von Schwarzen Menschen sowie ihre Erfahrungen und Lebensrealitäten nicht angemessen repräsentierten, etablierte sich nach einem 5-wöchigen Protest von Studierenden und UnterstützerInnen an der Universität in San Francisco, Kalifornien, 1969 der erste Black Studies-Studiengang. Das Verhältnis von Rassismuserfahrung, politischem Aktivismus und wissenschaftlicher Analyse war deshalb allein schon aufgrund des historischen Hintergrundes der Etablierung ein zentraler Bestandteil der Auseinandersetzung um die Black Studies in Bremen.

Die Frage ist demnach, wie ein Fach wie die Black Studies, das im Kontext der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und antirassistischen Bestrebungen entstanden ist, derart abstrakt behandelt werden konnte, wie die InitiatorInnen der Forschungsgruppe es ursprünglich intendiert hatten? Die Frage beantwortet sich im Zusammenhang mit dem historischen Kontext eigentlich selbst, denn die Black Studies als solche werden hier ad absurdum geführt. Das ist in diesem Fall nicht gleichbedeutend damit, dass die Gruppe aus ausschließlich weiß-deutschen WissenschaftlerInnen besteht. Der Widerspruch liegt in der Idee oder der Haltung, sich mit dem Sachverhalt auf einer Meta-Ebene auseinandersetzen zu wollen und dem gleichzeitigen Anspruch, politisch damit auch etwas beizutragen. Diesen Widerspruch zu thematisieren muss in der Konsequenz nicht bedeuten, dass weiße Menschen nicht zu Rassismus arbeiten sollten. Das Gegenteil ist eher wünschenswert, eine breite Auseinandersetzung mit einem Thema, das nicht nur eine kleine Minderheit betrifft, sondern gesamtgesellschaftliche Relevanz hat.


Es gibt für Schwarze Menschen eine gläserne Decke in der Wissenschaft

Das Problem besteht vielmehr in der Ungleichheit, die sich in der Verteilung von wissenschaftlichen Stellen und höheren Posten, und damit in der Konsequenz in der Verteilung von materiellen Ressourcen und Anerkennung, offenbart. Im Community-Statement wird die "gläserne Decke" thematisiert, unter der Schwarze Menschen im deutschen akademischen Wissenschaftsbetrieb leiden. Vielen bleibe wenig anderes übrig, als Anstellungen im Ausland in Erwägung zu ziehen. Während es stimmt, dass in Deutschland im Gegensatz zu Ländern wie USA und Großbritannien Schwarze ProfessorInnen kaum existieren und auch kaum öffentliche Sichtbarkeit haben, muss gefragt werden, woher dieses Repräsentationsproblem kommt. Meiner Ansicht nach muss, um diese Ungleichheit, zu verstehen nicht erst bei der Einstellungspraxis angesetzt werden, sondern früher. Die Problematik von mangelnder Repräsentation Schwarzer Menschen in der höheren Wissenschaft beginnt oft schon beim Zugang zu deutschen Universitäten und Hochschulen.


Die Benachteiligung von Nicht-EU-BewerberInnen durch uni-assist ist rassistisch

Während das Community-Statement die Probleme Schwarzer Deutscher und Schwarzer europäischer WissenschaftlerInnen beleuchtet, gibt es in Bezug auf Schwarze afrikanische Menschen Probleme, die selten direkt angesprochen werden. Ein konkretes Beispiel für die zahlreichen Hürden für eine repräsentative Wissenschaft ist zum Beispiel, dass die Universität Bremen Mitglied bei uni-assist ist, einer Servicestelle, bei der für deutsche Hochschulen die Unterlagen von BewerberInnen mit ausländischer Hochschulzugangsberechtigung geprüft werden. Dabei fallen für die BewerberInnen Kosten an, die auch nochmal höher sind für BewerberInnen, die nicht aus der Europäischen Union (EU) kommen.(3) Neben den finanziellen Hürden, die für BewerberInnen mit ausländischer Hochschulzugangsberechtigung existieren, existieren eine Reihe andere Probleme.

"Immerhin scheitert nach Informationen des AStA FU an der FU ungefähr jede zweite Bewerbung an der Vorprüfung durch uni-assist. Übersetzungen, Beglaubigung von Zeugnissen, Porto, Visum, Reisekosten für etwaige Vorstellungsgespräche - all dies sind Hürden, die keineswegs durch uni-assist abgebaut werden, sondern zusätzlich zu uni-assist bestehen." (4)

Das heißt für viele Studieninteressierte aus den meisten afrikanischen Staaten ist der Zugang zu deutschen Hochschulen schon problematisch. Rassistische Ausschlüsse beginnen damit nicht erst mit der Nicht-Einstellung von Schwarzen WissenschaftlerInnen, auch wenn dies ein wichtiger Bestandteil der Problematik ist. Das Repräsentationsproblem ist vielmehr eingebettet in einen größeren Kontext von Rassismus und sozioökonomischer Ungleichheit, die unterschiedliche Voraussetzungen für deutsche und EU-BürgerInnen, und damit mehrheitlich weiße Gruppen, und Nicht-EU-BürgerInnen, und damit zu einem großen Teil Schwarze Gruppen, schafft.

Die Forderungen des Community-Statements beziehen sich auf den kleineren Rahmen der Diskussion um die Kerngruppe der Black Studies in Bremen. Während konkrete Kritik für politische Forderungen zentral ist, ist es, wenn es um Rassismus geht, immer auch wichtig, deutlich zu machen, wie Sachverhalte, beispielsweise das Problem der Repräsentation Schwarzer WissenschaftlerInnen in Deutschland allgemein, in einen größeren Zusammenhang eingebettet sind.

Da die Forschungsgruppe sich aufgelöst hat, steht eine neue Zusammensetzung und eine erneute Antragsstellung nicht in Aussicht. Das Problem mangelnder Repräsentation besteht allerdings nach wie vor. Eine konkrete Forderung wäre in diesem Zusammenhang der Austritt der Universität Bremen sowie aller anderen deutschen Hochschulen aus uni-assist und eine Gleichbehandlung von deutschen, europäischen und nicht-europäischen BewerberInnen an der Universität.


Die Autorin ist aktiv im Vorstand der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland.


Anmerkungen:

(1) http://www.fb10.uni-bremen.de/inputs/pdf/BKRG_Aufoesung-Disbanding_deuengl.pdf.

(2) https://blackstudiesgermany.files.wordpress.com/2015/02/communitystatement_blackstudiesbremen_dt_unterz815.pdf.

(3) http://www.tagesspiegel.de/wissen/kritik-an-uni-assist-die-humboldt-uni-willservice-verein-kritisch-pruefen/9391818.html.

(4) https://www.astafu.de/content/diskriminierung-20-%E2%80%93-rassistisches-bewerbungsverfahrenf%C3%BCr-ausl%C3%A4ndischestudienbewerberinnen.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NGOs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 3/2017, Seite 20-21
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. November 2017

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