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MILITÄR/985: Die NATO am Pazifik (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 1. Juli 2022
german-foreign-policy.com

Die NATO am Pazifik

Die NATO stuft China als "systemische Herausforderung" ein und stärkt ihre Kooperation mit der Asien-Pazifik-Region. Die Bundeswehr nimmt dort dieses Jahr an mehreren Manövern teil.


BERLIN/WASHINGTON/BEIJING - Die Bundeswehr begleitet den Ausbau der Asien-Pazifik-Kooperation der NATO mit einer zunehmenden Beteiligung an Kriegsübungen in der Region. So nehmen deutsche Soldaten an RIMPAC 2022 teil, dem größten Marinemanöver der Welt, das unter US-Führung unter anderem vor Hawaii stattfindet und am Mittwoch begonnen hat. Im September entsendet die Luftwaffe diverse Kampf- und Transportflugzeuge zu einem Großmanöver nach Australien und wird dort insbesondere mit den Luftwaffen Australiens, Japans und Südkoreas trainieren - mit denjenigen Staaten, die derzeit wie auch Neuseeland ihre Zusammenarbeit mit der NATO intensivieren. Die jüngste Asien-Pazifik-Fahrt der Fregatte Bayern ist, wie vor kurzem bekannt wurde, von Protesten chinesischer Fischerboote begleitet worden. Die NATO, an deren Madrider Gipfeltreffen erstmals Staats- und Regierungschefs von vier Ländern der Asien-Pazifik-Region teilnahmen, nutzt die Kooperation mit den vier Staaten, um sich intensiver als bisher gegen China zu positionieren. Die Volksrepublik wird in dem neuen Strategischen Konzept des Militärpakts als "systemische Herausforderung" eingestuft.

"Systemische Herausforderungen"

Das neue Strategische Konzept der NATO nimmt zum ersten Mal in der Geschichte des Militärpakts offiziell China ins Visier. Die Volksrepublik, so heißt es in dem Papier, schaffe "systemische Herausforderungen für die euro-atlantische Sicherheit", die "unsere Interessen, Sicherheit und Werte" beträfen.[1] So nutze sie "ein breites Spektrum an politischen, wirtschaftlichen und militärischen Werkzeugen", um ihren globalen Einfluss zu stärken. Sie vertiefe außerdem ihre "strategische Partnerschaft" mit Russland bei ihrem Versuch, "die regelbasierte internationale Ordnung" zu schwächen. Letztere entspricht im Sprachgebrauch des Westens faktisch der "Ordnung" der Welt unter transatlantischer Dominanz. Zwar ist im neuen Strategischen Konzept auch die Aussage enthalten, man bleibe "offen für konstruktive Kontakte zu China". Berichten zufolge bestand darauf vor allem die Bundesregierung im Interesse der deutschen Industrie. Dennoch heißt es, man werde sich im Bündnis gemeinsam mit den "Herausforderungen" durch China befassen und die eigene "Widerstandskraft" stärken. Insbesondere werde man sich weiterhin für die "Freiheit der Seefahrt" einsetzen. Damit sind Marineoperationen vor allem im Südchinesischen Meer gemeint, die gegen dortige Territorialansprüche Chinas gerichtet sind.[2]

"Partner im Indo-Pazifik"

Das neue Strategische Konzept sieht ausdrücklich vor, "Dialog und Kooperation mit neuen und bereits bestehenden Partnern im Indo-Pazifik zu stärken". Zu diesem Zweck hatte die NATO zum ersten Mal die Staats- und Regierungschefs Japans, Südkoreas, Australiens und Neuseelands zu ihrem Gipfeltreffen in Madrid eingeladen. In Japan sind ungefähr 55.000 US-Soldaten stationiert, mehr als in jedem anderen Land; Südkorea liegt mit rund 28.000 US-Militärs nach Deutschland auf Platz drei. Mit Australien arbeiten die Vereinigten Staaten und Großbritannien seit dem vergangenen Jahr militärisch und rüstungsindustriell im AUKUS-Pakt zusammen.[3] NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg teilte am Mittwochabend nach der ersten Zusammenkunft der NATO- sowie der vier asiatisch-pazifischen Staats- und Regierungschefs mit, man werde in Zukunft enger kooperieren - unter anderem "in der Cyberverteidigung, bei neuen Technologien, bei maritimer Sicherheit, Klimawandel und im Vorgehen gegen Desinformation".[4] Japans Ministerpräsident Fumio Kishida, der den japanischen Militärhaushalt nach aktuellen Plänen auf über 80 Milliarden US-Dollar nahezu verdoppeln will, besprach in Madrid mit NATO-Generalsekretär Stoltenberg erste Schritte zu einer engeren Kooperation, darunter die Entsendung von Beobachtern zu Manövern.[5]

Von Fischerbooten bedrängt

Auch die Bundeswehr wird laut aktuellem Planungsstand ihre Aktivitäten in der Asien-Pazifik-Region weiter intensivieren. Für die Deutsche Marine bekräftigte dies Anfang dieser Woche Marineinspekteur Jan Christian Kaack. Kaack zufolge liegt das "Haupteinsatzgebiet" der Marine zwar an der "Nordflanke" - "mit Nordsee, Nordnorwegensee und Atlantik" und "mit einem besonderen Blick auf die Ostsee".[6] Um dort genug Schlagkraft entfalten zu können, sei "eine Neubetrachtung der Einsätze im Mittelmeer und damit einhergehend deren Flexibilisierung beziehungsweise Beendigung" notwendig. Festhalten will Kaack jedoch an der Entsendung von Kriegsschiffen in den Pazifischen Ozean. So soll etwa nach der Asien-Pazifik-Fahrt der Fregatte Bayern im vergangenen Jahr [7] spätestens 2024 ein kleiner Marineverband "mit eingeschifftem Stab" erneut in den Pazifik aufbrechen, diesmal freilich "durch den Panamakanal". Dies droht zu neuen Spannungen zu führen. Bereits die Fregatte Bayern war zeitweise in heikle Situationen geraten; das wurde erst kürzlich durch einen Bericht einer Militärfachzeitschrift bekannt. Demnach haben "chinesische Fischerboote das Schiff zeitweise bedrängt und mit Scheinwerfern angestrahlt" [8], um ihren Protest auszudrücken. Es gelang wohl, eine Eskalation der Lage zu vermeiden.

Pitch Black

Wie Kaack erneut bestätigte, wird die Bundeswehr bereits im Sommer dieses Jahres erneut in der Asien-Pazifik-Region Präsenz zeigen: beim Manöver "Pitch Black" in Australien, an dem die Luftwaffe mit insgesamt sechs Eurofightern, vier Transportflugzeugen A400M und drei Tankflugzeugen A330 teilnehmen wird. Pitch Black, das in diesem Jahr vom 5. bis zum 23. September stattfinden wird, gilt als Australiens bedeutendstes Luftwaffenmanöver mit internationaler Beteiligung. Dieses Jahr Jahr nehmen rund 2.500 Militärs aus 17 Staaten mit 100 Flugzeugen daran teil. Die australische Luftwaffe weist ausdrücklich darauf hin, dass die Luftwaffen Deutschlands, Japans und Südkoreas zum ersten Mal in vollem Umfang in die Kriegsübung involviert sind.[9] Ziel ist es insbesondere, gemeinsame Operationen der verschiedenen beteiligten Luftwaffen für mögliche gemeinsame Kriegseinsätze zu trainieren. Die deutsche Luftwaffe weist darauf hin, dass ihre Soldaten insbesondere mit Truppen aus Australien, Japan, Südkorea und den USA üben werden; daneben zählt auch Singapur zu den unmittelbaren Manöverpartnern des deutschen Luftwaffengeschwaders.[10] Im Vorfeld des Großmanövers war die Luftwaffe bereits im April auf der Pacific Air Chiefs Conference vertreten.

Kriegsübungen vor Hawaii

Bereits am Mittwoch hat ein weiteres Pazifikmanöver mit deutscher Beteiligung begonnen: RIMPAC 2022 (Rim of the Pacific), das von der U.S. Pacific Fleet in Kooperation mit den Seestreitkräften Kanadas und Japans geführte größte Marinemanöver weltweit. An der Übung, die in Gewässern rings um Hawaii und vor der Küste Südkaliforniens durchgeführt wird, nehmen bis zum 4. August Soldaten aus insgesamt 26 Staaten teil, darunter neben Deutschland sowie einigen weiteren NATO-Staaten auch die vier asiatisch-pazifischen Kooperationspartner des transatlantischen Militärpakts.[11] Die Vereinigten Staaten stellen unter anderem ihren Flugzeugträger USS Abraham Lincoln für das Manöver bereit. Das Übungsspektrum erstreckt sich von einfachen Rettungsoperationen über Minenräum- sowie Schießübungen bis hin zu Angriffen auf feindliche U-Boote und zu diversen komplexen Kampfoperationen. US-Medien wiesen bereits Anfang Juni darauf hin, dass zu den Teilnehmern nicht nur sämtliche vier Staaten des gegen China gerichteten Quad-Bündnisses gehören (USA, Australien, Japan, Indien), sondern auch fünf Anrainer des Südchinesischen Meeres, deren Territorialansprüche auf kleine Inseln, Atolle sowie Riffe die Vereinigten Staaten gegen chinesische Ansprüche unterstützen.[12]


Anmerkungen:

[1] NATO 2022. Strategic Concept.

[2] S. dazu Ostasiens Mittelmeer (II)
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7001
und Die neue deutsche Kanonenbootpolitik (III).
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8599

[3] S. dazu Der AUKUS-Pakt und die Fregatte Bayern.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8708

[4] Press Conference by NATO Secretary General Jens Stoltenberg following the meeting of the North Atlantic Council at the level of Heads of State and Government with Partners (2022 NATO Summit). nato.int 29.06.2022.

[5] Japan, NATO to Revise Partnership Program Early. nippon.com 30.06.2022.

[6] Inspekteur der Marine Vizeadmiral Jan Christian Kaack: 100 Tage im Amt: "Kursbestimmung 2022". In See, 27. Juni 2022.

[7] S. dazu "Eine gewisse Doppelmoral"
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8698
Die Fregatte Bayern auf Kolonialfahrt (II)
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8743
und Mit der Luftwaffe an den Pazifik.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8762

[8] Ole Henckel: Fregatte Bayern von Fischerbooten im Indo-Pazifik bedrängt. esut.de 24.05.2022.

[9] Sylvia Börner: Luftwaffe als Partner im Indopazifik. bundeswehr.de 04.05.2022.

[10] Exercise Pitch Black 2022. airforce.gov.au.

[11] U.S. Navy Announces 28th RIMPAC Exercise. navy.mil 31.05.2022.

[12] Brad Lendon: World's largest naval exercises to include all 4 Quad nations and 5 South China Sea countries. edition.cnn.com 01.06.2022.

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
E-Mail: info@german-foreign-policy.com

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 2. Juli 2022

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