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MILITÄR/850: Die Ära der Drohnen - Teil II (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 30.03.2010
(german-foreign-policy.com)

Die Ära der Drohnen (II)


BERLIN/WASHINGTON - Experten warnen vor schwerwiegenden gesellschaftlichen Auswirkungen des zunehmenden Einsatzes unbemannter Flugkörper ("Kampfdrohnen") im Krieg. Hierdurch sinke die politische Hemmschwelle für militärische Interventionen, da nicht mehr zu befürchten sei, eigene Soldaten bei Gefechten zu verlieren, heißt es. Kritiker warnen zudem, Krieg werde in Zukunft als eine Art Computerspiel erscheinen und von der Bevölkerung der Krieg führenden Länder nicht mehr als bedrohlich, sondern als eine neue Form der Unterhaltung ("Militainment") wahrgenommen. Verwiesen wird auch auf die Gefahr schwerer psychischer Erkrankungen bei denjenigen Militärangehörigen, die Kampfdrohnen teilweise aus einer Entfernung von mehreren tausend Kilometern steuern: Während sie einerseits gezielte Tötungen vornähmen, gingen sie andererseits einem normalen Alltagsleben nach, was zu Realitätsverlust und permanentem Stress führe. Auch sei ein neues Wettrüsten absehbar, da der Einsatz von Drohnen selbst bevölkerungsarmen Staaten mit einer schwachen regulären Armee zu militärischer Macht verhelfe. Diskutiert werden die Perspektiven der Kriegführung mittels "Unmanned Aerial Vehicles" (UAVs) vor allem in den USA. In Deutschland, das sich ebenfalls anschickt, die neuartige Technologie vermehrt im Rahmen von Kampfeinsätzen der Bundeswehr zu nutzen, herrscht hingegen weitgehend Schweigen.


Technologische Revolution

Der US-amerikanische Politologe Peter Singer, Mitarbeiter des einflussreichen Washingtoner Think-Tanks "Brookings Institution", bezeichnet die Kriegführung mittels Kampfdrohnen als "technologische Revolution". Verfügte das US-Militär zu Anfang dieses Jahrtausends lediglich über einige wenige "Unmanned Aerial Vehicles" (UAVs), seien heute bei den Kriegen in Afghanistan und im Irak mehr als 7.000 der "intelligenten" Maschinen im permanenten Einsatz. Die Bandbreite reiche von bewaffneten Killerdrohnen in der Größe eines Kampfjets ("Predator") bis zu "Mikrosystemen", die ein einzelner Soldat in einem Rucksack transportieren könne, schreibt Singer. Seiner Auffassung nach wirft die starke Ausweitung des Einsatzes von UAVs schwerwiegende Fragen auf - insbesondere nach den Konsequenzen für die Gesellschaften der Krieg führenden Nationen.[1]


Keine Hemmschwelle mehr

Singer zufolge führten UAVs allein im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet bisher mehr als 80 Luftangriffe durch - und damit mehr als Kampfjets während des NATO-Krieges gegen Jugoslawien 1999. Allerdings würden die Drohnen-Attacken von der US-amerikanischen Öffentlichkeit nicht als Krieg wahrgenommen, da sie nicht mit einer Gefahr für das Leben der eigenen Soldaten einhergingen, erklärt Singer. Sei Krieg einstmals "eine sehr ernste Entscheidung für eine Gesellschaft" gewesen, da sie beinhaltete, Menschen an die Front und damit unter Umständen in den Tod zu schicken, lägen heute die politischen "Hemmschwellen des Krieges" durch den Einsatz von UAVs "ganz am Boden".[2]


Militainment

Die beschriebene Entwicklung wird laut Singer noch dadurch verschärft, dass Drohnen gestochen scharfe Videobilder über ihre mörderischen Einsätze liefern; diese sind nicht selten im Internet zu sehen. Krieg erscheine dadurch zunehmend als Spiel und als neue Form der Unterhaltung ("Militainment"). Diesen Umstand nutzen die US-Streitkräfte bereits für sich: Das von einem Armee-Institut entwickelte Computerspiel "America's Army", dem die Kriege in Afghanistan und im Irak als Szenarien zugrunde liegen, dient bereits seit 2002 sowohl der Rekrutierung als auch der Ausbildung von Soldaten. Nach Angaben des Massachusetts Institute of Technology (MIT) vermittelt "America's Army" einem Drittel der US-Amerikaner zwischen 16 und 24 Jahren einen "positiven Eindruck" vom Militär; das Spiel habe damit mehr Einfluss auf die Anwerbung neuer Soldaten als alle anderen Rekrutierungsmaßnahmen zusammen. Hinzu komme eine gewaltige finanzielle Ersparnis für die Truppe, heißt es: Während die Entwicklung von "Americ's Army" nur 3,3 Millionen US-Dollar gekostet habe, sei für Werbeaktionen aller Art ein Budget von 8 Milliarden US-Dollar vorgesehen. Ähnlich verhält es sich in Bezug auf die Ausbildung von Soldaten. Allein die analog einem Computerspiel erfolgende Simulation von Raketenabschüssen führe zu einer jährlichen Ersparnis von 33 Millionen US-Dollar, erklärt die US-Kriegsmarine.[3]


Psycho-Stress

Gleichzeitig ist zu beobachten, dass Soldaten, die den Krieg wie ein Computerspiel führen, zunehmend unter schweren seelischen Erkrankungen leiden. Die sogenannten "Operators", die die Angriffe von Killerdrohnen teilweise über eine Distanz von mehreren tausend Kilometern hinweg steuern, können am Bildschirm die Folgen ihrer Handlungen sehr genau mitverfolgen - und empfinden entsprechenden psychischen Stress. Dieser wird noch dadurch verstärkt, dass sie ansonsten einem gewöhnlichen Alltagsleben nachgehen. Peter Singer schildert diesen Umstand plastisch: "Du ziehst für eine Stunde in den Krieg, dann fährst du nach Hause, und innerhalb von zwei Minuten sitzt du am Essenstisch und hilfst deinen Kindern bei den Hausaufgaben." Völlige "emotionale Erschöpfung" und "familiäre Spannungen" seien die Folge.[4]


Wettrüsten

Zugleich warnt Singer vor den Gefahren eines neuen Wettrüstens, da der Einsatz von Drohnen selbst bevölkerungsarmen Staaten mit einer schwachen regulären Armee zu militärischer Macht verhelfe. Als Beispiel nennt der Wissenschaftler die eng mit Deutschland liierten Vereinigten Arabischen Emirate (VAE); den dortigen Militärs gälten UAVs längst als "integraler Bestandteil effizienter Streitkräfte" ("integral part of any efficient combat force"). Mittlerweile produzieren die VAE Kampfdrohnen nicht mehr nur für den Eigenbedarf - sie planen, diese in Kürze auch zu exportieren.[5]


Ohne Diskussion

In den Vereinigten Staaten findet inzwischen eine Debatte über die ernsten gesellschaftlichen Folgen des Einsatzes von Unmanned Aerial Vehicles (UAVs) im Krieg statt. Die Bundeswehr hat mittlerweile ebenfalls begonnen, sich mit Kampfrobotern aller Art auszurüsten (german-foreign-policy.com berichtete [6]). Das deutsch-israelische UAV "Heron 1" wird seit kurzem in Afghanistan eingesetzt, zunächst nur zur militärischen Aufklärung. Die Bundeswehr behält sich jedoch die Nutzung bewaffneter UAVs ausdrücklich vor. Auch in Deutschland hat die Ära der Drohnen damit begonnen - allerdings ohne Diskussion.


Anmerkungen:
[1] Peter Singer: War of the Robots - All Too Real Questions We Have to Ask; www.brookings.edu 08.01.2010
[2] "Sie nennen es Kriegsporno". Interview mit Peter Singer; Spiegel Online 11.03.2010
[3] Peter Singer: Meet the Sims ... and Shoot Them; www.brookings.edu März 2010
[4] "Sie nennen es Kriegsporno". Interview mit Peter Singer; Spiegel Online 11.03.2010
[5] A Revolution Once More: Unmanned Systems and the Middle East; www.brookings.edu November 2009
[6] s. dazu Kampfmaschinen
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57673 und
und Die Ära der Drohnen (I)
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57769


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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. April 2010