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DEMOGRAPHIE/287: Kuba - Gesellschaft altert rapide, Senioren-Betreuung wird immer problematischer (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. September 2012

Kuba: Gesellschaft altert rapide - Betreuung von Senioren wird immer problematischer

von Patricia Grogg



Havanna, 17. September (IPS) - "Wir altern schneller, als wir lernen, damit umzugehen", sagt Juan Carlos Alfonso, der in Kuba eine kürzlich begonnene Volkszählung koordiniert. Das Problem des demografischen Wandels ist vielen Einwohnern des von wirtschaftlichen Schwierigkeiten geplagten Karibikstaates bewusst.

Der bis zum 24. September durchgeführte Zensus soll unter anderem darüber Auskunft geben, wie viele ältere Menschen allein und in prekären Wohnverhältnissen leben, keinen Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen wie fließendem Wasser haben und mit wenig Geld auskommen müssen.

"Früher kümmerten sich viele Enkel um die Großeltern. Inzwischen gibt es aber mehr Großeltern als Enkel", erklärt Alfonso, der Direktor des Zentrums für Bevölkerung und Entwicklung (CEPDE) des Nationalen Statistikamts ONEI.

Die demografische Entwicklung und eine stetig absinkende Fruchtbarkeitsrate haben direkte Folgen für die erwerbstätige Bevölkerung. Die Zahl der älteren Menschen, die Betreuung benötigen, steigt weiter an.

Während des Kongresses der regierenden Kommunistischen Partei im vergangenen April wurde die Alterung der Bevölkerung als vorrangiges Problem der kubanischen Sozial- und Wirtschaftspolitik festgelegt.

Nach Informationen von ONEI von 2010 stellten über 60-Jährige 17,8 Prozent der insgesamt 11,2 Millionen Kubaner. Schätzungen zufolge wird ihr Anteil in den Jahren 2011 bis 2025 auf 26 Prozent steigen. Das Durchschnittsalter erhöht sich zudem von bisher 38 auf 44 Jahre. Ein besonderer Zuwachs wird bei der 'vierten Generation' - der über 80-Jährigen - erwartet. Während die Zahl der Arbeitskräfte, die älter als 60 sind, doppelt so schnell wächst wie die gesamte Zahl der Erwerbstätigen, soll der ökonomisch aktive Teil der Bevölkerung ab 2018 immer kleiner werden.


Rentenalter heraufgesetzt

Laut ONEI wird die Gruppe der über 60-Jährigen von derzeit zwei Millionen auf 3,3 Millionen Menschen 2030 steigen. Angesichts dieser Perspektiven hat die Regierung 2008 das Renteneintrittsalter für Frauen von 55 auf 60 Jahre und für Männer von 60 auf 65 Jahre erhöht. Experten rechnen damit, dass das Rentenalter in Kuba wie bereits in den europäischen Ländern erneut zum Thema der Politik werden wird. Kuba muss sich auch mit der Frage auseinander setzen, wie sie die Lebensqualität älterer Menschen sichern und geeignete Betreuungsstrukturen speziell für Ärmere schaffen will.

"Ich habe vor drei Jahren meine Arbeit aufgegeben, um meinen sehr kranken Vater zu pflegen", erzählt Niuris García aus Havanna. "Es ist schon mühsam Windeln und Hautcremes zu bekommen." Der 51-Jährigen zufolge ist die Regierung zwar bemüht, älteren Menschen den Zugang zu Windeln zu ermöglichen. Die Lieferungen kämen aber nicht regelmäßig und in ausreichenden Mengen. In der Regel könne man diese Windeln nur gegen Devisen und zu Preisen erhalten, die die meisten Bedürftigen nicht zahlen könnten.

Auch bei Brillen, Gebissen, Hörgeräten, Prothesen, orthopädischen Schuhen und Gehhilfen können 40 bis 80 Prozent der Nachfrage älterer Menschen nicht befriedigt werden, wie eine von ONEI in den Jahren 2010 und 2011 durchgeführte Umfrage belegt. Familien und vor allem die Frauen, die ältere Angehörige betreuen, sind oftmals finanziell und seelisch überfordert.


Frauen tragen die Hauptlast bei der Betreuung Älterer

"Ich erlebe das jeden Tag in meinem Praxis", sagt die Ärztin Dunia Marrero in Havanna. "Frauen sind weiterhin die wichtigsten Betreuungspersonen. Sie geben ihre Jobs auf und stellen auch alles andere zurück, um sich um Kranke und Ältere zu kümmern."

In der Hauptstadt, in der mehr als zwei Millionen Menschen leben, müssten Straßen und Bürgersteige dringend instand gesetzt werden, damit Stürze vermieden werden können. Außerdem ist es notwendig, die Aufzüge in den mehrstöckigen Häusern Havannas zu sanieren. Die meisten sind in einem schlechten Zustand.

"Ich lebe allein im zehnten Stock, und der Aufzug ist immer kaputt. Manchmal vergehen Wochen, bis ich wieder nach unten komme", klagt Aurelia García, die in der Altstadt von Havanna lebt. Sie verbringt ihre Tage nach Möglichkeit in einem Gemeinschaftszentrum, wo sie essen und mit anderen Menschen ihres Alters reden kann. Die so genannten 'Casas de los Abuelos' (Häuser der Großeltern) erscheinen als die beste Alternative zu Seniorenheimen, die allgemein unbeliebt sind. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.one.cu/publicaciones/cepde/estudiosydatos/estudios_2011.pdf
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=101545
http://www.ipsnews.net/2012/09/cuba-faces-challenge-of-aging-population/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 17. September 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. September 2012