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AUSSEN/626: Völkermord an den Herero - Bundesregierung will "Versöhnungsabkommen" schließen (Gerhard Feldbauer)


Deutsche Bundesregierung will mit Namibia "Versöhnungsabkommen" schließen

Es geht um den Völkermord an den Herero und Entschädigungen für die Nachkommen

von Gerhard Feldbauer, 28. Mai 2021



Abbildung: Le Petit Journal, Public domain, via Wikimedia Commons

Die deutsche Garnison in Windhoek unter der Belagerung der Herero während des Aufstandes von 1904
Abbildung: Le Petit Journal, Public domain, via Wikimedia Commons

Nach fast sechsjährigen Verhandlungen will die deutsche Bundesregierung jetzt mit der Regierung von Namibia ein "Versöhnungsabkommen" schließen, teilte der deutsche Außenminister Heiko Maas am Freitag laut der deutschen Presse-Agentur mit. Es geht um eine Entschuldigung und um Entschädigungen für den Völkermord an den Herero und Nama, den die kaiserliche "Schutztruppe" zwischen 1904 und 1908 in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika verübte. Ihm fielen bis 1908 über 80.000 Herero und 20.000 Nama zum Opfer.

Lassen wir zunächst die historischen Fakten sprechen: Deutsch-Südwest, das Kronjuwel der Afrika-Kolonien des deutschen Kaisers Wilhelm, wurde einst auf besonders barbarische Weise erobert. Als sich die Herero 1904 in einem Aufstand unter der Losung "Uns gehört Herero-Land" der Eroberung widersetzten, metzelte die deutsche Kolonialsoldateska über 80.000 Menschen in einem selbst für imperialistische Praktiken bis dahin kaum gekannten Genozid nieder. Nachdem die Aufständischen in der Schlacht am Waterberg im August 1904 geschlagen worden waren, trieb der Befehlshaber der "Schutztruppe", General Lothar von Trotha, die Herero in die wasserlose Kalahariwüste und befahl den Genozid mit folgenden Worten: "Innerhalb der Deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auf sie schießen." Unterzeichnet mit "Der große General des mächtigen deutschen Kaisers".


Foto: Bundesarchiv, Bild 183-R27576 / Unknown author / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en], via Wikimedia Commons

Generalleutnant von Trotha (sitzend, 4.v.l.) mit seinem Stab in Keetmanshoop während des Herero-Aufstandes von 1904
Foto: Bundesarchiv, Bild 183-R27576 / Unknown author / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en], via Wikimedia Commons

Als sich die Nama im Süden des Landes danach gegen das barbarische deutsche Kolonialregime erhoben, erlitten sie ein ähnliches Schicksal. Insgesamt fielen etwa 80 Prozent der Bevölkerung der Herero und die Hälfte der Nama, insgesamt 80.000 bis 100.000 Menschen, bis 1908 dem Völkermord zum Opfer.

Noch heute leiden die Nachkommen unter den Folgen. Die Nachfahren der deutschen Siedler sind Farmer, die die riesigen Ländereien besitzen, die einst den Einheimischen geraubt wurde, während die überwiegende Mehrheit der Herero und Nama in bitterer Armut und ohne eigenes Land leben muss. Daran hat sich auch nach der Unabhängigkeit Namibias 1990 kaum etwas geändert.

Die Vertreter der beiden Volksgruppen forderten für die Nachkommen sowohl Reparationszahlungen als auch die Anerkennung des Völkermords und eine entsprechenden Entschuldigung der Bundesregierung, was diese bisher immer ablehnte. Einen Skandal leistete sich der vom Pastor zum Bundespräsidenten hochgehievte und als fanatischer Verfolger von DDR-Bürgern berüchtigte Joachim Gauck, als er sich weigerte, eine Abordnung der Nachkommen des Völkermords zu empfangen.

Davon wich 2004 die damalige Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul in der Regierung von SPD-Kanzler Schröder, die bei einer Gedenkveranstaltung in Namibia von "Greueltaten" sprach, die "heute als Völkermord bezeichnet" werden würden, ab. Die Bundesregierung, an deren Spitze 2005 die CDU-Vorsitzende Angela Merkel trat, folgte diesem Bekenntnis nicht. Sie argumentierte, zu Beginn des 20. Jahrhunderts habe es noch keinen im Völkerrecht definierten Tatbestand des "Völkermords" gegeben. Erst 1948 beschloss die UN-Generalversammlung als Konsequenz aus dem Holocaust die "Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes" und machte Genozid damit zum Straftatbestand. Die Konvention gilt aber nicht rückwirkend, deswegen ergeben sich für die BRD aus der Anerkennung des Völkermords auch keine rechtlichen Konsequenzen.

Die Bundesregierung rückt auch heute von dieser Auffassung nicht ab. Sie will als politisch-moralische Verpflichtung eine Summe von 1,1 Milliarden Euro Entwicklungshilfegelder zur Verfügung stellen. Außenminister Maas nannte es wörtlich eine "Geste der Anerkennung des unermesslichen Leids, das den Opfern zugefügt wurde". Bekanntermaßen verdienen an solchen Geldern vor allem die Unternehmen der Geberländer. Obendrein soll das Geld auf einen Zeitraum von 30 Jahren verteilt werden. Diese Rinnsale sollen in Regierungsprojekte in den Siedlungsgebieten der Herero und Nama fließen und nur gewährt werden, wenn Namibia akzeptiert, dass dann keine Entschädigungsforderungen mehr gestellt werden.

In diesem Rahmen soll Bundespräsident Walter Steinmeier demnächst während eines Besuchs in der namibischen Hauptstadt Windhoek vor dem Parlament eine Entschuldigung abgeben und um Vergebung bitten.


Foto: Bobbyshabangu, CC BY-SA 4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0], via Wikimedia Commons

Baum in Otjinene Koviunda - wie es heißt, wurden hier viele Aufständische der Herero während des Aufstandes gehängt
Foto: Bobbyshabangu, CC BY-SA 4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0], via Wikimedia Commons

Die Unterzeichnung der Vereinbarung soll durch die Außenminister beider Länder erfolgen. Wie beim Besuch Steinmeiers ist auch hier ein Datum noch nicht bekannt. Danach muss das Abkommen von den Parlamenten ratifiziert werden. In Windhoek muss es außerdem der Staatspräsident unterzeichnen.

Eingeschränkt werden die Ergebnisse auch dadurch, dass die Gespräche zwischen den Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und Namibias stattfanden. Nachfahren der Opfer der Herero und Nama waren an den Verhandlungen nur durch acht von der Regierung in Windhoek anerkannte Vertreter der Herero beteiligt. Befremdlich wirkte auch die Benennung der Verhandlungsführung durch Berlin. Beauftragt als Partner des Botschafters Namibias bei der EU, Zedekia Ngavirue, wurde der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Ruprecht Polenz, der sonst bekanntermaßen kein Regierungsamt inne hat. Laut einem Bericht des deutschen Online-Portals "German Foreign Policy" haben die Ovaherero Traditional Authority und die Nama Traditional Leaders Association in Windhoek in Erklärungen die Ergebnisse als "einen Akt des Betruges" bezeichnet und eine "offizielle Entschuldigung für die zur Kolonialzeit begangenen Verbrechen sowie auch eine finanzielle Wiedergutmachung" gefordert.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) nahm das Abkommen zum Anlass, darauf hinzuweisen, dass die Verbrechen des deutschen Kaiserreiches in ehemaligen Kolonialgebieten im heutigen Kamerun, in Togo, Deutsch-Ostafrika (Tansania), im chinesischen Tsingtao und auf den Pazifikinseln bis heute ungelöst und ungesühnt sind.

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Quelle:
© 2021 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juni 2021

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