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ASYL/1026: Sichere Herkunftsstaaten - sinnvoll oder nicht? (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 12/2015

Flucht. Letzter Ausweg
Sichere Herkunftsstaaten - sinnvoll oder nicht?

Von Claudia Engelmann


Das Konzept der "Sicheren Herkunftsstaaten" hat Konjunktur, auch in Deutschland. Nachdem die Bundesregierung im letzten Jahr Bosnien und Herzegowina, Mazedonien sowie Serbien als sicher eingestuft hat, werden in Kürze auch Montenegro, Albanien und Kosovo folgen. Die Effektivität dieser Maßnahmen kann bezweifelt werden, denn weder führt sie zu einem signifikanten Rückgang der Asylbewerberzahlen aus diesen Ländern, noch zu wesentlich verkürzten Asylverfahren. Warum entscheidet man sich dann dafür, weitere Herkunftsländer als sicher einzustufen?

Die öffentliche Debatte zur Flüchtlingskrise wird momentan unter anderem dadurch bestimmt, dass man zwischen "guten" und "schlechten" Migrant/innen unterscheidet. Erstere kommen aus Syrien oder Libyen. Sie fliehen vor Krieg oder Folter und hätten - so die Argumentation des Gesetzgebers - auch tatsächlich Anspruch auf Schutz in Deutschland. Die zweite Gruppe kommt vor allem aus den Westbalkanländern. Diese Menschen seien lediglich Armutsflüchtlinge - so heißt es, sie hofften auf ein besseres Leben und seien nicht wirklich schutzbedürftig. Einige der kürzlich beschlossenen Gesetzesänderungen zielen darauf ab, diese Menschen abzuschrecken, nach Deutschland zu kommen bzw. ihr Asylverfahren erheblich zu beschleunigen, um sie im Zweifelsfall schneller ausweisen zu können. Eine wichtige Rolle spielt hierbei die Einstufung der Westbalkanstaaten als sichere Herkunftsländer. Ausschlaggebend für diese Bewertung ist die Menschenrechtssituation vor Ort. Schätzen die deutschen Behörden diese als sicher ein, so haben Flüchtlinge, die aus diesen Staaten kommen, grundsätzlich keinen Anspruch auf Schutz. Ihr Asylantrag wird in einem beschleunigten Verfahren geprüft und ist mit eingeschränkten Rechtsgarantien verbunden (z.B. weniger Zeit für eine Klage gegen den Ablehnungsbescheid). Auch die Beweislast im Asylverfahren ist in diesem Fall umgekehrt: Es ist Aufgabe des Antragstellers zu zeigen, dass die Situation in seinem (vermutlich sicheren) Herkunftsland für ihn persönlich nicht sicher genug ist, um dahin zurückzukehren - sodass er somit Anspruch auf Schutz in Deutschland hätte.

Die entsprechende gesetzliche Regelung beruht auf Artikel 16a Abs. 3 des Grundgesetzes und § 29 a des Asylverfahrensgesetzes. Verabschiedet wurde sie bereits 1993 als Teil des sogenannten Asylkompromisses. Diese Regelung kam allerdings in den letzten 20 Jahren in der Praxis kaum zur Anwendung. Warum wird sie jetzt relevant? Nach der Aufhebung der Visumspflicht für die Westbalkanländer ist die Zahl der Asylanträge aus der Region stark angestiegen. Somit sah sich der Gesetzgeber im letzten Jahr veranlasst, den Westbalkan als sicher einzustufen. Argumentiert wurde, dass die von dort kommenden Asylbewerber erhebliche Kosten für den deutschen Staat verursachten: Die Durchführung des Asylverfahrens und die Unterbringung dieser Antragsteller belasteten die Kommunen finanziell - und letztlich würde sowieso fast jeder Antrag auf Asyl abgelehnt.

Die Einstufung der Westbalkanländer als sicher ging mit sehr viel Kritik einher. Unter anderem wurde das Konzept als solches infrage gestellt. Aus rechtsstaatlicher Sicht kann bezweifelt werden, ob Menschen aus vermeintlich sicheren Herkunftsländern noch ein fairer und diskriminierungsfreier Zugang zum Asylverfahren ermöglicht wird. Darüber hinaus kann zumindest bezweifelt werden, ob deutsche Behörden die Sicherheit für ein ganzes Land und seine Bürger/innen pauschal feststellen können. Es gab auch massive Kritik an der Einstufung der genannten Länder: Die Situation vor Ort sei längst nicht so stabil, wie der deutsche Gesetzgeber es suggeriere. Im Kosovo etwa gibt es auch heute noch eine systematische Diskriminierung von Minderheiten (z.B. Roma, Aschkali oder Homosexuelle). Somit würde das Deklarieren als sicher eine ordentliche Prüfung des Asylantrags zumindest erschweren, wenn nicht sogar unmöglich machen.

Abschreckung und verkürzte Verfahren

Durch die Gesetzesänderung soll ein Abschreckungseffekt bei den Asylbewerber/innen aus diesen Ländern erzielt werden. Serbien, Bosnien und Herzegowina sowie Mazedonien wurden im September 2014 gemäß dieser Vorstellung zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt. Welche Auswirkungen hatte diese Einstufung auf die Asylbewerberzahlen? Im August 2014 beantragten 2.515 serbische Staatsbürger/innen in Deutschland Asyl, im August 201S verzeichnete Eurostat 2.480 Bewerber/innen. Aus Bosnien und Herzegowina gab es im gleichen Zeitraum 765 bzw. 540 Anträge. Somit hat sich statistisch betrachtet kaum eine Veränderung eingestellt. Ein anderes Bild ergibt sich mit Blick auf den Fall Mazedonien: Im gleichen Zeitraum hat sich die Zahl der von dort kommenden Asylsuchenden von 830 auf 1.470 nahezu verdoppelt. Wie sieht es mit jenen Ländern aus, die aller Voraussicht nach in Kürze als sicher eingestuft werden? Seitdem deutsche Politiker/innen medienwirksam den geplanten Schritt diskutieren, ist die Zahl der kosovarischen Asylbewerber/innen drastisch gesunken. So haben noch im Juni 2015 1.580 Menschen aus dem Kosovo Asylanträge in Deutschland gestellt. Im September dieses Jahres hat sich diese Zahl auf 795 halbiert. Sowohl für Albanien als auch für Montenegro sind die Zahlen seit Juni 2015 leicht rückläufig. Allerdings ist es angesichts der Schwankungen derzeit schwierig, aus der Statistik einen klaren Trend abzulesen. In einigen Monaten sinken die Antragszahlen, in anderen steigen sie.

Diese Zahlen machen deutlich, dass es nicht möglich ist, einen direkten Zusammenhang zwischen der Einstufung eines Herkunftslandes als sicher und der Anzahl der Asylbewerber/innen aus diesem Land herzustellen. Wenn die Zahlen zurückgehen (wie z.B. im Falle des Kosovo), spielt die (geplante) Einstufung wahrscheinlich eine Rolle. Um hier verlässlichere Aussagen treffen zu können, müsste man die Entwicklung der Asylbewerberzahlen über einen längeren Zeitraum beobachten und andere Faktoren miteinbeziehen. Wissenschaftliche Untersuchungen haben zum Beispiel belegt, dass die Diaspora im Zielland eine wichtige Rolle spielt: Ein Land, in dem es bereits Viele Migrant/innen aus einem bestimmten Herkunftsland gibt, zieht automatisch weitere Personen aus diesem Land an. Viele serbische Staatsangehörige beantragen Asyl in Deutschland (und nicht in einem anderen EU-Land), weil sie hier bereits Verwandte oder Bekannte haben. Eine noch viel wichtigere Rolle spielt die Situation im Herkunftsland. Dass die Anzahl der Asylbewerber/innen aus Mazedonien - völlig entgegengesetzt der Annahme der deutschen Bundesregierung - zu- statt abnimmt, hängt mit der momentan instabilen Situation im Land zusammen; dass Menschen aus dem Kosovo nach Deutschland kommen, lässt sich durch die fehlende Perspektive vor Ort erklären.

Man kann den Wunsch dieser Menschen, nach Deutschland zu kommen, unterschiedlich bewerten. Die wenigsten der Kosovaren oder Mazedonier haben in Deutschland Anspruch auf Asyl. Man kann aber nicht pauschal davon ausgehen, dass die deutsche Politik (sei sie nun zu lax oder zu streng) der Grund ist, warum Menschen (nicht mehr) nach Deutschland kommen. Wer sich nur die Zahlen anschaut und daraus schlussfolgert, dass die deutsche Politik erfolgreich Asylbewerber aus den Westbalkanländern abschreckt, ignoriert das komplexe Zusammenspiel zwischen Fluchtursachen und Gründen der Flüchtenden, sich für oder gegen ein Zielland zu entscheiden.

Die deutsche Bundesregierung will mit der Einstufung der Westbalkanländer als sicher nicht nur Asylbewerber aus diesen Ländern abschrecken, sondern auch die Asylverfahren signifikant verkürzen. Tatsächlich hat sich aber mit der Umsetzung dieser Maßnahme nichts Grundlegendes an den Verfahren geändert. Dies hat zwei Gründe: Zum einen liegt es daran, dass die Sicherheitsvermutung für die Westbalkanländer bereits seit Langem als interne Vorgabe im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zirkuliert. Somit wird bereits seit geraumer Zeit davon ausgegangen, dass Bewerber/innen aus den genannten Staaten keinen Schutz benötigen. Nicht erst mit der Einstufung dieser Länder als sicher, sondern bereits in den Jahren davor, war die Anerkennungsquote gen null.

Zum anderen hat sich an den Asylverfahren nichts Grundlegendes verändert: Die Asylanträge müssen trotz alledem ordentlich geprüft werden. Dies bedeutet, dass der Antragsteller angehört werden muss und es ist zu prüfen, ob ein Abschiebungshindernis vorliegt (z.B. Krankheit). Der momentane Flüchtlingszustrom stellt das BAMF-Personal vor riesige Herausforderungen. Die rechtlich korrekte Bearbeitung aller Anträge bedarf einer gewissen Zeit. Der Rechtsanspruch auf ein faires Asylverfahren für jede Bewerberin und jeden Bewerber - egal ob aus Syrien oder Serbien darf nicht durch beschleunigte Verfahren untergraben werden. Zusätzliches Personal wird benötigt, um die notwendige Sorgfalt bei der Bearbeitung zu gewährleisten. Dazu kommt, dass es auch in Zukunft nicht einfacher werden wird, abgelehnte Asylbewerber/innen abzuschieben. Grund dafür ist ein komplexes Gemenge aus Schwierigkeiten bei der Feststellung der Identität, rechtlichen Hindernissen, zu wenig Personal und dem fehlenden Vollzugswillen der Länder. Auch wenn diese Schwierigkeiten bei abgelehnten Personen aus dem Westbalkan geringer sind als bei anderen Herkunftsländern (d.h. wesentlich mehr Personen werden zurückgeführt), führen sie doch nach wie vor in vielen Fällen zu verzögerten oder nicht vollzogenen Abschiebungen.

Schluss mit Symbolpolitik

Wenn die Einstufung von Serbien, Bosnien und Herzegowina sowie Mazedonien im letzten Jahr nicht zu den erwünschten Resultaten geführt hat - weder klare Abschreckung noch signifikant verkürzte Asylverfahren - warum plant man dann, drei weitere Länder als sicher zu deklarieren? Noch dazu, vor dem Hintergrund der zahlreichen menschen- und flüchtlingsrechtlichen Bedenken? Auf diese Frage gibt es zwei Antworten: Erstens, solche Politikentscheidungen haben eine sehr große außenpolitische Strahlkraft. Hier geht es nicht vorrangig um menschenrechtliche, sondern um außenpolitische Belange. Man ist in der Flüchtlingskrise auf den guten Willen der Herkunfts- und Transitländer angewiesen; darauf, dass diese Länder ihre eigenen Staatsbürger zurücknehmen, dass sie ihre Grenzen schützen und ihren Beitrag dazu leisten, dass weniger Flüchtlinge in die EU kommen. Vor Kurzem appellierte der kosovarische Außenminister Hashim Thaci an die Bundeskanzlerin, sein Land als sicher einzustufen. Dass Thaci - auch vor dem Hintergrund der EU-Beitrittsverhandlungen mit seinem Land - ein begründetes Interesse daran hat, den Kosovo in einem guten Licht erscheinen zu lassen, dürfte einleuchten. Die Frage ist allerdings, inwieweit sich die deutsche Politik zur Handlangerin dieser Interessen machen darf.

Und zweitens will man mit der Einstufung der Herkunftsländer als sicher der Bevölkerung zeigen, dass etwas getan wird. Dass diese Einstufung aus Effizienzgründen scheinbar keinen Sinn macht, scheint dabei zweitrangig zu sein. Hier begibt man sich auf schwieriges Terrain. Denn solch eine Politik suggeriert, dass es "gute" und "schlechte" Flüchtlinge gibt. Diese Rhetorik hat mittlerweile auch in die tägliche Berichterstattung Eingang gefunden. Allerdings wird dabei ignoriert, welche rechtsstaatlichen Gefahren sich dahinter verbergen. Jeder Mensch hat das Recht auf ein faires Asylverfahren, in dem individuell geprüft wird, ob Anspruch auf Schutz besteht oder nicht. Dieses Recht steht nicht nur Menschen aus Syrien und dem Irak zu, sondern auch Menschen aus Albanien und Mazedonien. Der Zugang zum Recht (und somit zu einem fairen Asylverfahren) ist für alle Menschen gleich. Und das sollte auch kommuniziert werden - sowohl vonseiten der Medien als auch vonseiten des Gesetzgebers.


Claudia Engelmann ist Politikwissenschaftlerin an der Universität Maastricht und forscht zum Konzept der sicheren Herkunftsstaaten im europäischen Vergleich.
c.engelmann@maastrichtuniversity.nl

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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 12/2015, S. 29 - 32
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Januar 2016

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