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LANDWIRTSCHAFT/1768: Die Kühe fressen dieses Jahr fast alles (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 424 - September 2018
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Die Kühe fressen dieses Jahr fast alles
Eindrücke vom Umgang von Bäuerinnen und Bauern mit der
extremen Trockenheit, dem Futtermangel und dem Klimawandel

von Marcus Nürnberger


Die diesjährige Trockenheit ist für die landwirtschaftlichen Betriebe eine große Herausforderung. Nach einem sehr nassen Herbst und Frühjahr hat es in vielen Regionen seit April/Mai kaum noch geregnet. Vielerorts konnte nur der erste Schnitt eingefahren werden. Zum Teil blieb der zweite ganz aus oder war deutlich kleiner. Auch die Getreideernte fiel durch die fehlende Feuchtigkeit zum Teil deutlich geringer aus.


Nordfriesland

"Wenn ich aus dem Fenster schaue, ist es überall grün", erzählt die Milchbäuerin Kirsten Wosnitza aus Schleswig-Holstein. Aber das Bild trüge, schiebt sie gleich nach, bis vor zwei Wochen sei noch alles braun gewesen. Einmal Regen habe das geändert, aber die Bestände seien jetzt durch die Trockenschäden extrem lückig. Den ganzen Juli musste den Kühen, die eigentlich nur auf der Weide stehen, schon Silo zugefüttert werden. Um Futter zu sparen, haben Wosnitzas einige Kühe verkauft. Weitere werden noch folgen, denn obwohl das Silo inzwischen wieder zu ist und die Kühe wieder auf Weide "umgestellt", wird das Futter knapp bleiben. Um trotz geringem Aufwuchs genug Weidefläche zu haben, wurden zum zweiten Schnitt nur drei anstatt sechs Hektar gemäht. Auch der herbeigesehnte dritte Schnitt wird nur die Hälfte der üblichen Fläche umfassen. "Zum Glück hatten wir noch Futter vom vergangenen Jahr", so Wosnitza. "Wir haben gerne ein bisschen Reserve", sagt die Bäuerin. Allerdings sieht sie wenig Spielräume, den Betrieb noch weiter abzusichern. Mehr Fläche wäre von Vorteil, die aber gibt es nicht. Teuer sei es in solchen Jahren für all jene, die ihren Betrieb an der Obergrenze, zum Beispiel beim Tierbesatz, fahren.


Wismar

An der Ostsee südlich von Wismar sei es richtig trocken, berichtet Franz Joachim Bienstein. Der Ackerbaubetrieb hat aktuell zwar nicht das Problem nicht vorhandener Futterreserven, leidet aber dennoch unter Ertragseinbußen von ca. 30 Prozent. Seine Getreideernte hat Bienstein erst mal eingelagert, weil die Preise stiegen und er hoffte, so einen Teil des Minderertrags ausgleichen zu können. "Mal sehen, ob das die richtige Entscheidung war?" Inzwischen sei die Preisentwicklung schon wieder rückläufig. "Russland oder irgendwer kann liefern", beschreibt Bienstein die Situation. "Der Preis unterliegt auch der Börsenspekulation. Das ist im Biobereich noch ein wenig anders." Was auf biologischen Betrieben aber auch anders sei, so Bienstein, sei das Ertragsniveau. Im konventionellen Ackerbau würden die einzelnen Arbeitsschritte meistens auf einen maximalen Ertrag hin ausgerichtet. Das erzeugt natürlich Kosten für Dünger und Spritzmittel. Wenn die Maximalerträge dann wie in diesem Jahr ausbleiben, sind die Ausgaben nicht mehr gedeckt. Auch in Bezug auf die Feuchtigkeit sei ein niedrigeres Ertragsniveau in diesem Jahr im Vorteil. Bestände mit vier Tonnen pro Hektar fanden vielleicht noch genug Wasser. Für zehn Tonnen reichte es aber nicht mehr.


Erfurt

In der Nähe von Erfurt liegt der Sonnenhof Gerster. "Es geht noch", sagt Claudia Gerster. "Auch wenn es ganz schön trocken aussieht, war die Getreideernte bis auf die Sommerungen gut." Für ihre Milchkühe wünscht sie sich mehr Grün. Für die nächsten zwei Wochen geht es aber noch. Die trockenheitsangepasste Luzerne ist das einzige, was derzeit noch grün ist. Der Hof profitiert von einer relativ guten Flächenausstattung und nicht zu hohem Tierbesatz. Auch wenn sie selbst nicht betroffen sind, beobachten Gersters die Mais- und Rübenfelder in der Region. Der Mais ist klein und ohne Kolben. Für die Rüben bräuchte es dringend Wasser, damit sie nicht vertrocknen. Eigentlich war für dieses Jahr eine Reduktion der Kuhzahl geplant. Allerdings sind aktuell die Preise so schlecht, dass Gersters diesen Schritt noch ein wenig aufgeschoben haben.


Rothenburg

Auf der Facebookseite vom Bioland-Hof Schilling bei Rothenburg an der Tauber kann man sich ein Video vom Weideaustrieb im März vergangenen Jahres ansehen. Vergnügte Kühe, die sich freuen, aufs Grün zu kommen. Aktuell allerdings ist davon nicht mehr viel zu sehen, berichtet Jürgen Schilling. Als Mitglied und Lieferant der Dorfkäserei Geifertshofen wird nur Heumilch produziert. Dieses Jahr hat die gegenüber dem Silo etwas spätere Heumahd den zweiten Aufwuchs zum Teil in die Trockenperiode geschoben, sodass der zweite Schnitt wegfiel. Die Kühe haben auch diesen spärlichen Aufwuchs inzwischen abgeweidet und bekommen schon seit einem guten Monat Heu zugefüttert. Auch die Luzerne, die durch ihre langen Wurzeln besser mit der Trockenheit zurechtkommt, ist inzwischen abgehütet. Im Umkreis von zehn bis 15 km versucht der Milchbauer Futter zu bekommen. "In so einem Jahr fährt man dann auch mal 15 km, um Stoppelklee zu mähen und gibt sich mit einem Ladewagen pro Hektar zufrieden", fasst Schilling die Situation zusammen. Aber auch die Kühe, so könnte man meinen, tun das ihre. Von einem Nachbarn, der Luzernesaatgutvermehrung macht, hat Schilling das Luzernestroh gekauft. "Eigentlich kein tolles Futter, aber in diesem Jahr fressen sie eigentlich alles", stellt Schilling anerkennend fest. Heumilch schließt Silagefütterung auf dem Hof aus. Das garantiert zwar einen besseren Milchpreis, schränkt aber in Extremjahren auch die Flexibilität ein. Schnell noch ein paar Hektar Getreide zu Ganzpflanzensilage (GPS) machen, wenn das Futter knapp zu werden droht, geht dann nicht, stellt Schilling fest.


Alpenvorland

Hier scheint alles gut gewesen zu sein. "Man sieht es schon am Grünland. Die Wiesen haben weniger Ertrag und beim Getreide sei es ein bisschen weniger gewesen", fast Josef Schmid seine Eindrücke aus Niederbayern zusammen. Auch Elisabeth Waizenegger aus dem Allgäu berichtet zwar von weniger Niederschlag und drei bis vier statt fünf Schnitten, aber eben nicht von Trockenheit und Dürre. An den Alpen kam es immer wieder zu teils sogar unwetterartigen Niederschlägen. Vielleicht auch dies Teil der Extremwettersituation.


Westerwald

Im Rhein-Sieg-Kreis auf dem Haferhof ist nichts grün. "Mitte Juni", so Bernd Schmitz, "hatten meine Kühe das letzte Mal satt zu fressen. Danach gab es Kleegras und jetzt füttere ich das Winterfutter." Die Nachzucht muss sich mit dem spät gemähten Naturschutzheu und ein wenig Hafer zufriedengeben. Mit 650 mm ist Regen hier schon in normalen Jahren der begrenzende Faktor. Die Suche nach Futtermitteln ist nicht einfach. Mancher Bio-Kollege braucht angebotenes Futter wegen der immer weiter anhaltenden Dürre doch selbst. Schmitz hat eine Ausnahmegenehmigung beantragt, damit er für seinen Biobetrieb auch konventionelles Futter zukaufen darf. Konventionelles Luzerneheu scheint für ihn ein guter Kompromiss: "Das ist immerhin eine Leguminose und die wurde auch nicht so extrem gedüngt." Zurückblickend stellt Schmitz fest, dass die vergangenen vier Jahre immer von viermonatigen Trockenperioden geprägt waren. "Mal eher im Frühsommer, mal im Spätsommer", so Schmitz. Neben dem Futterzukauf ist die Bestandsreduktion die einzige Möglichkeit, aktuell zu reagieren. Langfristig müsste man neue Futtermittel erschließen. "Wenn es so trocken bleibt, stellt sich aber auch die Frage, ob man Grünland als Steppe bewirtschaften kann", sagt Schmitz provokativ. Gemeinsam mit den Anforderungen der JGS-Anlagenverordnung, derentwegen er eine neue Siloplatte bauen muss, könnten die Auswirkungen der Dürre im kommenden oder übernächsten Jahr existenzbedrohend werden.


Bielefeld

"Tut die Politik ihre Pflicht, um eine totale Klimakatastrophe zu verhindern?", fragt Ulf Allhoff-Cramer vom Bergwiesenhof in Ostwestfalen. Jetzt sofort müsse man anfangen, alles zu tun, um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. "Es ist schlimm, wie und dass uns unser gutes Klima enteignet wird", so Allhoff-Cramer. Eigentlich sind die Mutterkühe hier auf dem Bergwiesenhof sieben Monate auf der Weide. Das viele Kleegras dient dann als Winterfutter. Aber in diesem Jahr wird es knapp werden, denn auch Zukauffutter ist nur schwer zu bekommen. Und in Zukunft? Mehr Futter vorhalten, Bewässerungen bauen. "In jedem Fall war dieser Sommer ein deutlicher Warnschuss. Drei bis fünf Grad Erderwärmung, das darf einfach nicht passieren. Dafür müssen wir uns alle einsetzen!", appelliert Allhof-Cramer mit Blick auf die Pariser Klimaziele.


Rhauderfehn

Im ostfriesischen Rhauderfehn hat es scheinbar immer im richtigen Moment geregnet. Zumindest gilt dies für die Flächen von Ottmar Ilchmann. Dass der Milchbauer bisher wenig Sorgen bezüglich der Futterversorgung im Winter hat, liegt aber auch an seinem günstigen Tierbesatz. In der Vergangenheit hat Ilchmann immer noch Heu in kleinen Packen an Pferdehalter verkauft. Diese Einnahmequelle fällt dieses Jahr weg, weil das Heu für die Kühe gebraucht wird. Trotzdem denkt er intensiv darüber nach, wie man die Biogasanlagenbetreiber dafür gewinnen kann, ihren Mais und anderes Gärsubstrat als Futtermittel zur Verfügung zu stellen. "Es ist auch eine ethische Frage, ob wir Tiere zum Schlachten bringen, damit die Biogasanlagen weiter laufen können", so Ilchmann. Andererseits haben Biogasanlagen mit Wärmekonzept auch feste Verpflichtungen den Wärmekunden gegenüber. Ganz klar spricht er sich für faire Abläufe und gegen pauschale Entscheidungen der Politik aus. Es ist eher ein Appell an die Kollegen mit Biogasanlagen, die meist auch noch finanzkräftiger sind und damit durchaus in der Lage, die Futterknappheit noch zu verschärfen. Unverständnis äußert Ilchmann für die Preispolitik der Molkereien. Die Hitze und die Futterknappheit haben, so ist er sich sicher, zu einem Rückgang der Milchmenge bei den Molkereien geführt. "Auf dem Spotmarkt zahlt man schon 38 Cent/kg Milch, da könnten die Molkereien durchaus mit dem Handel die Kontrakte nachverhandeln", fordert Ilchmann.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 424 - September 2018, S. 12 - 13
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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(verbilligt auf Antrag 32,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Oktober 2018

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