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LANDWIRTSCHAFT/1755: Digitalisierung - Unwort oder Zukunftsmodell? (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2018

Mit Bioökonomie die Welt retten?
Neue Geschäftsmodelle und alte Strukturen

LANDWIRTSCHAFT 4.0
Digitalisierung - Unwort oder Zukunftsmodell?

von Bernd Voß


Von der App über den Sensor bis zur Hightech-Anwendung bietet die Digitalisierung eine Reihe von Möglichkeiten zur Optimierung landwirtschaftlicher Produktionsprozesse. So vielfältig wie die Betriebe sind, sollten jedoch auch die digitalen Anwendungen sein, die in der Landwirtschaft zum Einsatz kommen werden. Die größte Gefahr liegt in der potenziellen Konzentration von Anbaudaten in der Hand weniger Großkonzerne. Dies könnte nicht zuletzt mit Blick auf die weltweite Ernährungssouveränität weitreichende negative Folgen für Bäuerinnen und Bauern haben. Die Staaten müssen dringend die Hoheit über zentrale Daten zur Welternährung zurückgewinnen und diese von den Konzernen einfordern. Davon abgesehen gilt: Die Digitalisierung der Landwirtschaft ersetzt nicht die nötige Agrarwende.


Die Situation, die Struktur und die Herausforderungen der landwirtschaftlichen Betriebe sind global, aber auch innerhalb von Deutschland sehr verschieden. Daher gibt es auch große Unterschiede im Grad der Digitalisierung. Die Spannbreite reicht von kleinen Insellösungen bis hin zu kompletten Farmmanagementsystemen mit integrierten Algorithmen.

Dabei ist die Landwirtschaft einer der frühesten und in vielen Bereichen weit digitalisierten Wirtschaftsbereiche. Der Einsatz von Informationstechnik (IT) in der Landwirtschaft ist sowohl im Pflanzenbau als auch in der Tierhaltung längst gang und gäbe: Steuerungsprozesse, Automotisierung und Informationsflüsse.

Laut einer Studie des Deutschen Bauernverbandes 'und der Interessenvertretung Bitcom werden digitale Anwendungen im Sinne der Landwirtschaft 4.0 in mehr als der Hälfte aller Betriebe eingesetzt. (1) Am weitesten verbreitet sind Fütterungsautomaten (51 Prozent), High-Tech-Landmaschinen (39 Prozent) und Apps (34 Prozent). Farmmanagementsysteme werden nur von 12 Prozent der befragten Betriebe genutzt. Als Hemmnisse für die Digitalisierung werden an erster Stelle die hohen Investitionskosten genannt (64 Prozent der Betriebe). Die Sorge um IT und Datensicherheit sowie eine unzureichende Internetverbindung stehen mit je rund 40 Prozent an zweiter Stelle. Obgleich 2 Drittel der befragten LandwirtInnen die Digitalisierung als Chance begreifen, wird aus den Ergebnissen der Umfrage deutlich, dass Einsatz und Nutzen stark variieren.


Digitalisierung im Stall und auf dem Feld

Tendenzen der Automatisierung zur Arbeitserleichterung auf Bauernhöfen, wie Fütterungsautomaten und automatische Klimaführungssysteme, gibt es bereits seit Jahrzehnten. Mittlerweile werden in jedem zweiten neuen Kuhstall automatische Melksysteme installiert. Wetter-Apps und GPS-Daten unterstützen die Feldarbeit, und auch satellitengestützte Lenksysteme werden zunehmend eingesetzt. Zusätzlich erlauben Mapping-Systeme und variable Ausbringungstechniken eine Steigerung der Effizienz im Betriebsmitteleinsatz.

Gründe für die teilweise langsame Marktdurchdringung einiger neuer Anwendungsmöglichkeiten sind Investitionskosten und Einarbeitungszeit, sowie der oft schwer einschätzbare individuelle Grenznutzen. Hinzu kommt, dass Bäuerinnen und Bauern noch zu wenig bei der Frage einbezogen werden, was wirklich für den Betrieb gebraucht wird.

Ökologisch wertvolle Entwicklungen - wie Roboter zum Unkraut jäten oder eine Vielfaltslandwirtschaft, bei der Satelliten- und Roboter-gestützt kleine Schläge mit vielfältigen Früchten angebaut werden - werden entwickelt und in Politik und Wissenschaft diskutiert. Es sind aber politische und rechtliche Rahmensetzungen erforderlich, damit diese und andere umweltfreundliche Verfahren überhaupt konkurrenzfähig werden und sich durchsetzen können.


Datenkontrolle auch bei VermarkterInnen und VerarbeiterInnen

Die Unternehmensberatung McKinsey hat ausgerechnet, dass allein die Nutzung von Robotern in Schwellenländern 15 bis 25 Prozent der Arbeitskräfte auf dem Land ersetzen könnte, in den Industrieländern wären es immerhin noch 5 bis 15 Prozent.

Eine Vernetzung, die entlang der Wertschöpfungskette Transparenz, Rückverfolgbarkeit und Auditwesen ermöglicht, hört sich erst einmal gut an. So speichern RFID-Chips sämtliche Daten von Aufzucht über Futteraufnahme und Gewichtsentwicklung bis zum Schlachten beim Schwein. Jedoch stellt sich die Frage, wem die Daten gehören und wer Zugang zu ihnen hat. Dasselbe gilt für Vermarktung und Markterschließung: Ein besonders beunruhigendes Bespiel ist die Übernahme von Whole Foods, der größten ökologischen Supermarktkette der USA, durch Amazon für 13,7 Milliarden US-Dollar. Strategisches Ziel der Übernahme ist der Zugang zu Millionen von Kunden- sowie Produzentendaten.

Auf Basis dieser Daten hofft der Konzern, die Kaufentscheidungen seiner KundInnen noch besser vorhersagen und lenken zu können. Diese können zur Steuerung der Anbauplanung der zuliefernden Produzenten genutzt werden. In der Folge verlieren auch hier die Bäuerinnen und Bauern die Souveränität über ihre Anbauentscheidungen. Sie werden ein völlig austauschbares Glied in einer digitalen Wertschöpfungskette.


Macht und Manipulation

Ein weiterer beunruhigender Aspekt der Digitalisierung ist aus Welternährungs- und bäuerlicher Perspektive die Dematerialisierung der genetischen Ressourcen. Mithilfe der Digitalisierung unter anderem der Genome, des in den internationalen Saatgutbanken eingelagerten Saatguts, können genetische Informationen gehandelt werden, ohne Samen oder Pflanzmaterial physisch auszutauschen. Mithilfe neuer Gentechnikmethoden, wie CRISPR/Cas zum künstlichen Eingriff in die DNA, können einzelne Sequenzen herausgeschnitten und neu eingesetzt werden. So können bei den Pflanzen einzelne Eigenschaften nun noch einfacher identifiziert, patentiert und gehandelt werden.

Der Markt für die Digitalisierung in der Landwirtschaft weist mit einem weltweiten Wachstum von 12 Prozent eine ausgesprochene Dynamik auf. Er wird auf 240 Milliarden US-Dollar geschätzt. 3,2 Milliarden US-Dollar wurden 2016 in den Markt der digitalen Agrartechnologie investiert.

Weltweit agierende Unternehmen unterschiedlicher Branchen haben bereits die Chance der Digitalisierung erkannt und möchten sich auf dem Markt einflussreich in Stellung bringen.(2) Nach der Übernahme des kanadischen Geodienstleisters Zoner (mit dessen Software können Satellitenbilder landwirtschaftlicher Flächen aus den letzten 30 Jahren analysiert werden) und der Firma Proplant bietet Bayer Digital Farming ein umfangreiches Programm zur Datenauswertung und Pflanzenschutzberatung an. Die technische Umsetzung erfolgt in Zusammenarbeit mit dem Landmaschinenhersteller Claas.

Als 2015 bekannt wurde, dass John Deere die Monsanto-Tochter Precision Planting LLC übernehmen wollte, hat das US-Justizministerium diese Übernahmepläne 2016 gestoppt. Der Grund: 86 Prozent des Marktes für "high speed precision planting" (hohe Einzelkornausaat-Geschwindigkeit) lägen im Falle einer Fusion in nur einer Hand. Im September 2017 hat der weltweit tätige Landmaschinenhersteller und Händler AGCO (Marken wie Fendt, MF, Valtra) die Präzisionslandwirtschaftssparte von Monsanto übernommen.(3)

Die Strategie hinter den Zusammenschlüssen der Saatgut-, Agrochemie- und Technikunternehmen ist, das Produktportfolio zu verbreitern und sich eine möglichst starke weltweite Monopolstellung zu erarbeiten.


Unter Kontrolle? Bäuerin und Bauer 4.0

Der zentrale betriebliche Erfolgsfaktor in der gesamten Geschichte der Landwirtschaft ist die Beobachtungsgabe und lokale Entscheidungsfähigkeit der Bäuerinnen und Bauern. Wissen aus Studien lässt sich nicht immer eins zu eins auf die individuellen Rahmenbedingungen eines Betriebes oder einer Region übertragen. Bäuerliches Erfahrungswissen ist daher unverzichtbare Basis der nachhaltigen Sicherung der Ernährung.

Natürlich erleichtern Internet und digitale Akten vieles. Aber soll der Algorithmus auch für die perfekte Überwachung sorgen? Sobald einmal der vorgeschriebene Abstand nicht eingehalten wurde, gibt es Sanktionen durch gesetztes Ordnungsrecht?

Endlich findet seit einigen Monaten auch in den landwirtschaftlichen Verbänden die längst überfällige Diskussion über Datenhoheit statt. Ein erster Schritt ist die gemeinsame Branchenempfehlung von Bauernverband, Maschinenring, Bundesverband der Lohnunternehmen und VDMA zur Datenhoheit des Landwirts. (4)

Eins darf bei der ganzen Debatte nicht vergessen werden: Mit der Digitalisierung und der Präzisionslandwirtschaft werden nicht die grundsätzlichen Fehlentwicklungen in der Agrarpolitik und ihre Auswirkungen auf die Umwelt korrigiert, geschweige denn aufgehoben. Anders ausgedrückt: Die Digitalisierung ersetzt nicht die Agrarwende. (5)


Anmerkungen:

(1) Bernhard Rohleder/Bernhard Krüsken (2016): Digitalisierung in der Landwirtschaft.
www.bitkom.org/Presse/Anhaenge-an-PIs/2016/November/Bitkom-Pressekonferenz-Digitalisierung-in-der-Landwirtschaft-02-11-2016-Praesentation.pdf.

(2) ATKearney (2016): Agriculture is fertile ground for digitization.
https://www.atkearney.de/ documents/856314/9452388/Agriculture+Is+Fertile+Ground+for+Digitization.pdf/063ac53c-9448-4247-be72-9e4d76cfde09.

(3) https://news.agcocorp.com/news/agcocloses-on-precision-planting-acquisition.

(4) Gemeinsame Branchenempfehlung (2018): Datenhoheit des Landwirts.
http://media.repro-mayr.de/77/712577.pdf.

(5) Stig Tanzmann/Bernd Voß (2018): Digitalisierung in der Landwirtschaft", in: Kritischer Agrarbericht.
http://www.kritischer-agrarbericht.de/fileadmin/Daten-KAB/KAB-2018/KAB_2018_112_118_Tanzmann_Voss.pdf.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NGOs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 1/2018, Seite 26-27
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juni 2018

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