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LANDWIRTSCHAFT/1742: Ackern mit dem Kopf (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 416 - Dezember 2017
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Ackern mit dem Kopf
Probleme auf dem Feld fordern die Bauern und Bäuerinnen, bieten aber auch Chancen

von Claudia Schievelbein


Es stellt sieh nicht mehr die Frage ob, sondern was sich wie schnell ändern muss - auch im Ackerbau. Nachdem die landwirtschaftliche Tierhaltung schon seit Jahren von der Gesellschaft und damit auch von erheblichen Teilen der Bäuerinnen und Bauern selbst kritisch betrachtet wird, ist in der jüngsten Zeit auch der Ackerbau zum einen negativ in den Fokus geraten, zum anderen ist er auch selbst an Grenzen gestoßen, die ein Umdenken erfordern. Erträge, die immer weiter stiegen, stagnieren nun, auch zum Teil längst überwunden geglaubte Krankheiten und Schädlinge treten (wieder) auf, sind teilweise resistent gegen die bislang immer einfache Lösung mit der Spritze. Neue chemische Mittel kommen kaum nach, nicht nur weil die EU so viel strenger zulässt, sondern auch, weil Unternehmen kaum Interesse mehr an der aufwendigen Entwicklung neuer Produkte zeigen, die unter Umständen durch Resistenzentwicklung schon bald wieder überholt sind.

Dann ist da die Debatte um Glyphosat im Hinblick auf die menschliche Gesundheit wie auch unter dem Aspekt, dass das Mittel nicht nur essentieller Bestandteil bodenschonender Direktsaatsysteme, sondern eben auch billiger Hilfsstoff für eine einfache, durchrationalisierte Ackerbauindustrie ist. Und es ist ein Totalherbizid: Wie der Name schon sagt, beseitigt es sämtliche unerwünschte Begleitflora neben den Kulturpflanzen, was nicht nur nachweislich zum Artenschwund bei Pflanzen, sondern auch bei von diesen Pflanzen lebenden Tieren beiträgt. Gleichzeitig mehren sich - inzwischen auch bei uns - Unkrautarten, die resistent gegen Glyphosat sind. Da ist die Debatte um die Neonikotinoide, eine weitere Pestizidwirkstoffgruppe, die in die Kritik geriet, weil sie nicht nur gegen Schadinsekten wirkt, sondern, wen wundert's, auch gegen erwünschte - Bienen u. a. Bestäuber. Das Insektensterben, über das nun nach den Langzeituntersuchungen von Hobbynaturschützern neu debattiert wird, ist nicht wirklich diskutierbar, ohne einen Zusammenhang zur Landwirtschaft, zu intensivem Ackerbau herzustellen, auch wenn es der Bauernverband gerne anders hätte. Jeden, der diesen Zusammenhang herstellt, als unwissenschaftlichen Populisten abzutun, schadet der Sache und dem Ansehen der Bäuerinnen und Bauern. Es gibt aber auch Bewegung innerhalb der Landwirtschaft, die Debatte und die Verantwortung aufzunehmen, zum Beispiel auf der Herbsttagung der Agrarsozialen Gesellschaft (ASG) in Göttingen. Dort zeigten zwei Wissenschaftler - Bärbel Gerowitt aus Rostock und Teja Tscharntke aus Göttingen - einmal mehr die vielfältigen Zusammenhänge zwischen intensivem, an Fruchtarten und Randstrukturen armem, ertragsmaximierendem Ackerbau und einem Rückgang von Insekten, ihren ökosystemaren Gegnern und Freunden, ihren Fressern, den Vögeln, ihrer Bestäubungsleistung, aber auch einem Rückgang von Pflanzenarten, deren Fressern, Vögeln und anderen Wildtieren auf. Vertreter aus Landes- und Bundespolitik machten deutlich, dass die momentan praktizierte Förderung nicht wirklich zielgerichtet Biodiversität in der agrarischen Fläche voranbringt.


Wir müssen es tun

Es ist also an den Bauern und Bäuerinnen, einen Ausgleich zu finden zwischen Produktionsanforderungen und dem Schutz unserer biologischen Ressourcen, zum Wohl der Allgemeinheit, aber auch zum Schutz ihrer Wirtschaftsgrundlagen. So solle es sein, wünscht sich Heike Moldenhauer vom BUND auf der ASG-Tagung, dass Bauern und Bäuerinnen bejubelt würden von der städtischen Bevölkerung für ihr Tun, das gäbe es jedes Jahr in Berlin auf der "Wir haben es satt"-Demo. Einer, der sich auch schon gedanklich auf den Weg gemacht hat, war in Göttingen DLG-Präsidiumsmitglied und Gutsverwalter Heinrich von der Decken aus Schleswig-Holstein. Dort auf den Gunststandorten direkt an der Ostsee, nimmt er nach Jahren steigender Erträge, einer Intensivstnutzung der Äcker nur mit Raps und Weizen nun die Grenzen des Wachstums wahr. Stagnierende oder sogar sinkende Erträge, Krankheitsdruck und resistente Unkräuter gepaart mit der gesellschaftlichen Debatte um Pestizide auf einem Gut mit viel "Publikumsverkehr" breitet er bereitwillig aus. Und dann? Gehe es nicht auch darum, eine Art neuen "alten" Berufsethos für die Ackerbauern zu etablieren, fragt der nachfolgende Referent auf dem Podium der ASG, Clemens Dirscherl, Ratsbeauftragter der evangelischen Kirche für agrarsoziale Fragen. Er hat es ein Stück weit leichter als alle Referenten vor ihm, kann als "Und zuletzt der Kirchenmann!" ganz spirituell und philosophisch an die Sache rangehen, trifft aber mit seinem Ehrenkodex für den guten Ackerbau offenbar einen Nerv bei den Anwesenden. Es brauche eine Reformation auf dem Acker, vielleicht aber viel mehr noch in den Köpfen der Ackerbauern.


Freiheitsgrade

Auch die AbL in Niedersachsen kam auf ihrer Herbsttagung zu den Entwicklungen im Ackerbau relativ schnell bei den Köpfen der Bauern und Bäuerinnen an, in denen sich etwas ändern sollte, um am Ende nicht Vor unlösbaren Problemen auf dem Acker zu stehen. In der Ausbildung werde nur noch "zum Kaufmann" ausgebildet, beklagte Franz-Joachim Bienstein, AbL-Ackerbauer aus Mecklenburg-Vorpommern. Er betonte auch das wirtschaftliche Risiko einseitiger Fruchtfolgen und forderte eine Abkehr vom Schielen auf Höchsterträge. Zu träge und zu gleichgültig oder gefangen in einer hohen Spezialisierung, die kaum mehr Bewegung zulasse, so formulierten es immer wieder Anwesende, seien viele Bauern und Bäuerinnen. Jan Wittenberg, Bio-Ackerbauer und im AbL-Bundesvorstand, reklamierte den Verlust an individuellen Freiheitsgraden mit dem Verlust der Vielfalt in der Fruchtfolge und damit auch in der Arbeitserledigung im Betrieb. Er forderte Mut und Selbstbewusstsein, eigene Wege zu gehen und damit nicht nur einen Mehrwert für Umwelt und Biodiversität zu erreichen, sondern auch für die eigenen Produkte. Wie das von einer anderen Agrarpolitik flankiert werden kann, umrissen Wittenberg und AbL-Bundesvorständlerin Elisabeth Fresen, indem sie das Punktemodell der AbL für die EU-Agrarreform nach 2020 vorstellten. Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen muss auch den Ackerbauern und -bäuerinnen ausreichend Anreize bieten, das eigene System immer weiter nachhaltig zu entwickeln. Mit einem Boden, dessen Lebewesen möglichst wenig von Pestiziden oder schweren Maschinen geschädigt werden und der eine natürliche Ertragsfähigkeit behält, statt nur noch "Produktionsfaktor Substrat" zu sein. Mit einer Vielfalt auf dem Acker und an den Ackerrändern, die Lebensraum für viele Arten sind, nicht nur Aufwuchsort für eine große Ernte. Viele Bauern und Bäuerinnen wissen um die Zusammenhänge, sie müssen sich trauen, sie weiter zu denken in eine wirtschaftliche Balance und die dann auch umsetzen.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 416 - Dezember 2017, S. 11
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,45 Euro
Abonnementpreis: 41,40 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 30,- Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Januar 2018

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