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LANDWIRTSCHAFT/1674: Ist der Strukturwandel bei Milchbauern politisch gewollt? (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 398 - April 2016
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Ist der Strukturwandel bei Milchbauern politisch gewollt?

Von Marcus Nürnberger


Eine Mengenreduktion könnte den Preis stabilisieren, doch der DBV will Molkereien stärken und der Landwirtschaftsminister duckt sich weg

Anfang März findet in Hardehausen traditionell die Milchtagung der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft und der Katholischen Landjugendbewegung (KLJB) statt. Auch in diesem, für die Milchbauern besonders dramatischen Jahr, waren über 80 Bäuerinnen und Bauern in die katholische Landvolkshochschule gekommen, um sich über die Situation und die Perspektiven am Milchmarkt zu informieren. In seiner Eröffnungsrede beschrieb Joseph Jacoby, selbst Biomilchbauer und Vorsitzender der Upländer Bauernmolkerei, die dramatische Situation der Milchbauern. Das Bonusprogramm der Molkerei FrieslandCampina, die für anderthalb Monate einen Bonus von zwei Cent zahlte, wenn die Bauern die Milchmenge gleich beließen oder reduzierten, war auch auf dieser Tagung in aller Munde und der Inhalt des Vortrags von Ernst Baerbecker, Milchbauer und Distrikt-Vorsitzender Westfalen & Hessen bei FrieslandCampina.

Das Unternehmen hatte seine begrenzten Verarbeitungskapazitäten als Begründung für sein Mengenreduktionsprogramm angeführt. Damals, Anfang Januar, war Friesland die erste Molkerei, die Menge aktiv vom Markt nahm. Inzwischen haben längst andere Molkereien nachgezogen: Emmi in der Schweiz, die Gmundner Molkerei in Österreich. Aber auch die im konventionellen Bereich für ihre vergleichsweise hohen Auszahlungspreise bekannte Berchtesgadener Molkerei ruft ihre Lieferanten mit in roter Tinte geschriebenen Flugzetteln zu einer freiwilligen Mengenreduzierung auf, damit der Auszahlungspreis nicht abstürzt. Ebenso die in Norddeutschland gelegene Ammerland: Hier versucht man Alternativen zum konventionellen Massenmarkt zu finden, legt ein Weidemilchprogramm auf und will in die Bioproduktion einsteigen. Die verheißt im Moment Großes: Der Biomilchpreis hat sich abgekoppelt vom konventionellen, die Nachfrage übersteigt das Angebot. Längst sind aber auch hier die Großen eingestiegen. Arla aus Dänemark hat sich durch Übernahmen an die zweite Stelle hinter die Biomolkerei Scheitz aus Bayern gekauft und will weiter expandieren. Derzeit, so Rüdiger Brügmann von der bundesweiten Koordinationsstelle Biomilch bei Bioland e.V., befürchte man noch keine Situation wie im konventionellen Markt. Dies könne sich jedoch ändern, wenn in zwei Jahren jetzt neu einsteigende Betriebe umgestellt hätten. Viele Biomolkereien bremsen schon jetzt und nehmen keine neuen Lieferanten mehr auf, auch aus Sorge vor einer hausgemachten Biomilchblase.

Übervolle Märkte

Genau damit aber kämpft der konventionelle Milchbereich. Wenn zu Jahresbeginn auch noch mit Kapazitätsproblemen argumentiert wurde, so gestehen inzwischen doch alle Marktbeteiligten ein, dass zu viel Milch am Markt ist. Auf der Milchtagung formulierte Ottmar Ilchmann, der stellvertretende Bundesvorsitzende, die Forderungen der AbL. Aktuell gehe es darum, schnell Menge vom Markt zu nehmen. Gelingen könne dies mit einer Bonusregelung vergleichbar der von FrieslandCampina. Dabei, so Ilchmann, müsse es sich "um ein sehr befristetes Kriseninstrument und keinesfalls um den ersten Schritt zu einer Molkereiquotenregelung handeln". Daneben gelte es europaweite, staatlich gestützte Kriseninstrumente einzurichten und die Position der Bauern innerhalb der Wertschöpfungskette zu stärken.

Exporte und Strukturwandel

Bauern stärken und Menge reduzieren das klingt bitter in den Ohren der Verbandsfunktionäre. In seiner Resolution zur Unterstützung der europäischen Landwirtschaft in der Agrarkrise stellt der Deutsche Bauernverband (DBV) fest: "Der DBV lehnt unverändert staatliche Eingriffe in die Produktionsmengen bei Milch und Fleisch ab." Vorstellen könne man sich eine "Überprüfung und gegebenenfalls Anhebung der Interventionspreise für Butter und Magermilchpulver". Dies dürfe aber nicht zu Produktionsanreizen führen. Seinen Schwerpunkt legt der DBV freilich nicht auf die Bauern, sondern auf eine Stärkung der Molkereien. Diese sollten gemeinsame Vermarktungsplattformen bilden, um gegenüber dem Handel in eine bessere Verhandlungsposition zu kommen, so DBV-Milchpräsident Udo Folgart. Freilich hat auch der DBV die dramatische Situation auf den Höfen erkannt. "Das Geld fehlt auf den Höfen zur Deckung der laufenden Kosten wie der Entlohnung der Familienarbeitskräfte, für Ersatzinvestitionen und vieles mehr", stellt der Vizepräsident des Landvolks Niedersachsen, Albert Schulte to Brinke, fest. Zu viele seien dagegen "auf Kreditzusagen der Banken angewiesen, um die laufenden Kosten decken und die Höfe durch die Krise bringen zu können".

Neidisch blicken die Verbandsvertreter nach Frankreich. Hier scheint der Handel sich solidarisch mit den Bauern zu erklären. So hat Lidl France erklärt, es werde drei Cent pro Liter Milch in einen Fonds einzahlen, um die heimischen Milchbauern zu stützen. Zuvor hatte sich schon die Kette "Système U" verpflichtet, den Landwirten einen Milchpreis von 34 Cent/kg zu sichern. Und auch das Konkurrenzunternehmen "E.Leclerc" hat sich solidarisch mit den französischen Bauern erklärt und will beim Milchpreis das Niveau von 2015 halten. Offen blieben bislang die genauen Umsetzungsmodalitäten, die Fragen nach dem Weg des Geldes zu den Bauern. Wer das Temperament französischer Bauern kennt, könnte auch auf den Gedanken kommen, die Ketten initiierten ihre Hilfsprogramme, um nicht zur direkten Zielscheibe des bäuerlichen Unmuts zu werden und gleichzeitig einen moralischen Bonus bei der Kundschaft einzufahren.

Was fehlt

Es fehlt die klare Erkenntnis, dass Menge reduziert werden muss. Dies hat inzwischen sogar die neuseeländische Molkerei Fonterra ins europäische Hausaufgabenbuch geschrieben. Der internationale Milchmarkt sei seit 18 Monaten im Ungleichgewicht, so Fonterra-Geschäftsführer Theo Spierings. Die Milchproduktion in der EU sei stärker gestiegen als erwartet und der Absatz zurückgegangen. Er fordert eine Mengenreduzierung. Die neuseeländischen Produzenten würden ihre Milchmenge aktuell um vier Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum reduzieren.

Der deutsche Agrarminister? Viel unterwegs. Von den Bauern des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter durch Rheinland-Pfalz verfolgt, trägt er nichts Konstruktives zur Lösung der Situation bei. Er fordert freiwillige Mengenregulierungen, anstelle sich mit seinem französischen Kollegen Le Foll auf dem Agrarministergipfel für eine von der EU unterstützte Mengenreduzierung einzusetzen. Offenbar begrüßt er die derzeit im Milchvieh-, aber auch im Schweinebereich stattfindenden Strukturbrüche und somit den Niedergang bäuerlicher Betriebe.

Auftritt Till Backhaus, Landwirtschaftsminister in Mecklenburg-Vorpommern: Der will die Risikoverteilung und die Lieferbeziehungen überprüfen und sieht die Branche allein nicht zur Lösung der Probleme in der Lage. Ein klares Bekenntnis zur Stärkung der Rechte der Bauern? Wohl kaum, auch Backhaus sprach sich auf der Agrarministerkonferenz in Fulda gegen eine Anpassung der Menge an die Nachfrage aus und blockierte den Antrag der Grünen-Agrarminister. Am damals mühsam abgerungenen runden Tisch soll jetzt stattdessen über Milchvermarktungsplattformen diskutiert werden.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 398 - April 2016, S. 4
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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(verbilligt auf Antrag 30,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Mai 2016

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