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LANDWIRTSCHAFT/1463: "Masse statt Klasse" - Fleischkonsum und seine Folgen (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2011


"Masse statt Klasse"
Fleischkonsum und seine Folgen

Von Carolin Callenius


Der weltweite Fleischkonsum nimmt weiterhin zu. Besonders in den Entwicklungs- und Schwellenländern ist ein starkes Wachstum zu verzeichnen. Für diesen hohen Fleischverbrauch braucht es große Mengen an Futtermitteln, die überwiegend in den Ländern des Südens produziert werden. Die Folgen könnten verheerender nicht sein: Zerstörung von Wäldern und Umwelt, Land- und Wasserknappheit und erhöhte Nahrungsmittelpreise. Die EU-Agrar- und Handelspolitik hat diese Entwicklung aktiv mit gefördert. Statt eine nachhaltige Tierproduktion zu fördern, hat sie auf "Masse statt Klasse" gesetzt. Die GAP-Reform könnte hier jetzt umsteuern.


Seelenruhig fliegt die kleine Cessna einige hundert Meter über die weiten Flächen des Gran Chaco. Plötzlich erscheinen lodernde Flammen am Horizont, welche bei näherem Hinsehen bereits eine große verbrannte Mondlandschaft hinterlassen haben. In dem kleinen Flugzeug sitzen eine Mitarbeiterin von "Brot für die Welt", ein Fotograf und die Koordinatorin der Partnerorganisation Asociana. Diese Nichtregierungsorganisation setzt sich für die traditionellen Rechte der Wichi-Indianer ein und kämpft mit ihnen gegen ihre Vertreibung. Ziel des Flugs ist es, den jüngsten Landraub zu dokumentieren.

Denn das illegale Brandroden ist kaum zu stoppen. Der Gran Chaco ist einer der artenreichsten Lebensräume dieser Erde. Im Länderdreieck von Bolivien, Paraguay und Argentinien umspannt es ein Gebiet, das ungefähr fünf Mal so groß ist wie Deutschland. Um den Hunger der westlichen Industrieländer nach Fleisch und Diesel zu decken, sind auf den ehemaligen Waldflächen Monokulturen entstanden. Der größte Anteil dieser Fläche entfällt dabei auf Soja.

Der Sojaanbau in Argentinien ist ein neuzeitliches Phänomen. Vor dreißig Jahren beschränkte sich der Anbau noch auf rund zwei Millionen Hektar, während er im Jahr 2006/07 das achtfache: 16 Millionen Hektar betrug. Das ist die Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzfläche Argentiniens(1). Ein Großteil des Sojas wird nach Europa exportiert. Ungefähr zwei Drittel des in Deutschland verbrauchten Sojas kommt aus Argentinien und Brasilien(2).


Futtermittelanbau zerstört Regenwälder

Dass unsere Kühe heute am argentinischen "La Plata" weiden und der Sojaanbau wertvolle Ökogebiete zerstört, steht in jedem Schulbuch. Dem Weltklimarat zufolge ist bereits ein Fünftel des Amazonasregenwaldes zerstört, überwiegend aufgrund der Tierhaltung. Das Muster des Raubbaus ist meist dasselbe: zuerst wird das wertvolle Holz geplündert, dann werden Weiden für die Rinderhaltung angelegt, oder es lassen sich Kleinbauernfamilien nieder. Anschließend wird auf den abgeholzten Flächen und auf dem Weideland Soja angebaut. Der Gewinnung von neuem Weideland folgt oft die Abholzung in anderen Gebieten.

Nicht selten hat der fortschreitende industrielle Ackerbau Landverteilungskonflikte zwischen großen Plantagenbetreibern, nicht selten große Multinationale Konzerne, und der ländlichen und indigenen Bevölkerung zur Folge. Im Jahr 2007 wurden nach Schätzungen durch die Ausbreitung der Sojaproduktion in Brasilien 300.000 Menschen in Rio Grande do Sul sowie 2,5 Millionen in Paraná von ihrem Land vertrieben. In Argentinien verloren etwa 150.000 Familien ihren Lebensraum, in Paraguay 90.000 Familien(3). Der Zugang zu Land ist existenziell für die ländliche Bevölkerung und Grundlage ihrer Ernährungssicherung. In keinem Fall darf ein Volk seiner Existenzmittel beraubt werden, so ist das Menschenrecht im UN-Menschenrechtsabkommen über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte festgehalten.


Import von Lebensgrundlagen nach Europa

De facto aber importiert Europa mit den Futtermitteln eine große Menge dieser Existenzgrundlage. Virtuelles Land zum Beispiel. Das ist Land, das benötigt wird, um die Produkte anzubauen, die die EU importiert. Insgesamt ist die EU Nettoimporteur von fast 35 Millionen Hektar - ein Großteil davon geht auf die Rechnung der Futtermittel(4). Mit der Tierhaltung und der Fleischerzeugung verbrauchen wir aber auch eine große Menge Wasser. Ein Kilogramm Rindfleisch braucht in der Erzeugung 16.000 Liter Wasser. Auf das Konto der Tierhaltung gehen über acht Prozent des globalen menschlichen Wasserverbrauchs, vor allem für die Bewässerung von Flächen für den Futtermittelanbau. Die Tierhaltung ist gleichzeitig auch einer der größten Quellen der Wasserverschmutzung: mit einem erheblichen Beitrag zur Eutrophierung (Überdüngung), zu "toten" Zonen in Küstengebieten und zur Zerstörung von Korallenriffen. Das sind Kosten, die sich nicht in den Marktpreisen widerspiegeln, sondern für die Allgemeinheit anfallen, oder der nächsten Generation aufgebürdet werden.


Fleischkonsum wächst weltweit

Die Probleme wachsen in dem Ausmaß, wie auch der Fleischkonsum wächst. Der weltweite Verbrauch von Fleisch ist von 1961 bis heute von 71 Mio. auf 284 Mio. Tonnen gestiegen. Bis 2050 soll er sich nochmals verdoppeln. Zwar stagniert in den Industriestaaten der Fleischkonsum. Doch das Niveau ist hoch. In Deutschland liegt der jährliche Pro-Kopf-Verzehr bei 88,5 Kilogramm Fleisch. Einen starken Zuwachs gibt es hingegen in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Dabei hatte sich der Konsum in den Schwellenländern bereits zwischen 1980 und 2002 von 14 kg auf 28 kg/ Person und Jahr verdoppelt. Eine wachsende Mittelschicht kann sich den Fleischkonsum leisten, der für sie zum guten Leben dazugehört.


Teller oder Trog?

Wenn eine kaufkräftige Mittelschicht immer mehr Produkte wie Fleisch verzehren will, müssen die Ärmsten den Gürtel noch enger schnallen. Denn die tierische Veredlung findet unter großen Energieverlusten stattfindet. Die Umwandlungsrate von pflanzlichen in tierische Kalorien pro Kilogramm schwankt zwischen 2:1 bei Geflügel, 4:1 bei Schweinen und 7:1 bei Rindern. Dies ist insbesondere dann kritisch, wenn es sich nicht um Grünland handelt, sondern um Getreide und Hülsenfrüchte, die auch der menschlichen Ernährung dienen könnten.

Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen stellte fest, dass, wenn wir den Fleischkonsum in den reichen Ländern reduzieren und ihn weltweit bis 2050 auf einem Pro-Kopf-Verbrauch auf dem Niveau von 2000 festschreiben - also auf jährliche 37,4 kg/Kopf - dann könnten ungefähr 400 Millionen Tonnen Getreide für die menschliche Ernährung freigesetzt werden. Das ist genug, um zusätzlich 1,2 Milliarden Menschen mit ausreichend Kalorien zu versorgen.(5)

Die steigende Nachfrage nach höherwertigen Nahrungsmitteln führt nicht nur zu steigenden Preisen für Fleisch- und Milchprodukte, sondern lässt ebenfalls die Preise für Futtermittel und Getreide steigen(6). So sind im Januar 2011 die Nahrungsmittelpreise auf einem Höchststand wie 2008(7). Eine Reihe von Faktoren ist dafür verantwortlich, darunter zunehmend auch die Konkurrenz um Landnutzung für den Anbau von Futtermitteln oder Agrartreibstoffen. Innerhalb der nächsten zehn Jahre erwarten OECD und FAO einen Anstieg der Preise für Getreide zwischen 15 und 40 Prozent und für Pflanzenöl um mehr als 40 Prozent gegenüber dem durchschnittlichen Preisniveau, das zwischen 1997 und 2006 erreicht wurde(8).

Dies bedeutet eine weitere Verknappung der Nahrungsmittelverfügbarkeit, unter der besonders die Ärmsten stark leiden. Während in den nördlichen Industrieländern nur 10-15 Prozent des Einkommens für Nahrungsmittel ausgegeben werden, und steigende Futtermittelpreise kaum auf den Fleischkonsum durchschlagen, ist bei den Ärmsten, die 50-80 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben, direkt die Ernährungssicherheit in Gefahr.


Für eine Politik der Nachhaltigkeit

Bisher hat die EU Agrarpolitik die tierhaltende Agrarindustrie unterstützt, statt nachhaltige Wege zu beschreiten. Damit hat sich der Strukturwandel in der Landwirtschaft hin zu immer größeren Höfen fortgesetzt. Während bäuerliche Tierhalter mit kleinen Beständen nur geringe Fördermittel erhalten und dem Wettbewerbsdruck immer weniger gewachsen sind, wurden die Großbetriebe, die ihre Bestände weiter ausdehnten und die Effizienz von Haltung und Fütterung ausbauten, gefördert. So geht das Gros der EU-Agrarmittel an Großbetriebe wie beispielsweise satte drei Millionen Euro an Deutschlands größten Rinderzüchter Osterhuber Agrar, oder an Doux, den größten Produzenten und Verarbeiter von Geflügelfleisch in Europa. Billig zu produzieren war auch sehr im Interesse der Exportorientierung der EU-Agrarhandelspolitik.

Die Tierhaltung in Europa (besonders die Schweine- und Geflügelproduktion) stützt sich auf die proteinreichen Futtermittelimporte. Nur 35 Prozent der eiweißreichen Futtermittel stammen aus Europa selbst, der Rest wird importiert. Grund dafür ist, dass diese Importe weitgehend zollfrei eingeführt werden dürfen, so festgelegt im GATT- und Blair-House-Abkommen(9) Dieser Wettbewerbsnachteil muss korrigiert und die bisherige Eigenerzeugung von europäischem Eiweißfutters, wie z.B. Ackerbohnen, Ackererbsen oder Lupinen gefördert werden. Verschiedene Instrumente könnten hier dienlich sein, vom Außenschutz, der gezielten Förderung des Eiweißpflanzenanbaus bis hin zur Forschung.

Im weiteren Kontext hat die Europäische Union mit der anstehenden Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik die Chance, die Weichen auf mehr Nachhaltigkeit umzustellen. Eine Fruchtfolge mit einem höheren Leguminosenanteil ist hier ebenso von Bedeutung wie die Anpassung der Tierhaltung an die lokalen Gegebenheiten. Es braucht eine konsequente Bindung der Tierhaltung an die Fläche, sowie Bestandsobergrenzen. Die Rahmenbedingungen dafür müssen so gestaltet werden, dass soziale und ökologische Leistungen der Tierhaltung gefördert werden, und eine weitere Intensivierung verhindert wird.


Weniger - anders - besser

Billigfleisch wird auf Kosten der Umwelt und der Ernährungssicherung von Menschen in Entwicklungsländern produziert. Immer mehr Verbraucher und Verbraucherinnen wissen das, und der Anteil jener, die grundsätzlich ethisch verantwortlich konsumieren wollen, wächst. Beim Fleischkonsum heißt das zunächst, den eigenen Verbrauch zu reduzieren. Die Einführung eines oder mehrerer fleischfreier Tage pro Woche ist auch besser für die Gesundheit. Wer weniger Fleisch isst, kann sich dann ein besseres - meist teureres - Stück Fleisch aus artgerechter Tierhaltung leisten. Dabei wird mit hohem Grundfutteranteil und einheimischen Futtermitteln gemästet, und die Produkte schmecken auch meist besser.


Die Autorin ist bei Brot für die Welt in der Abteilung Politik und Kampagnen zuständig für die Kampagne für Ernährungssicherheit "niemand isst für sich allein".


Anmerkungen:

(1) Proplanta (2008): Knappes Sojaschrot bleibt teuer

(2) Schuler C. (2007): Für Fleisch nicht die Bohne! Futter Agrotreibstoff - Flächenkonkurrenz im Doppelpack. Studie zum Sojaanbau für die Erzeugung von Fleisch und Milch und für den Agrokraftstoffeinsatz in Deutschland 2007. Erstellt im Auftrag des BUND

(3) Grain (2009): Twelve years of GM soya in Argentina a disaster for people and the environment

(4) Sören Steger (2005): Der Flächenrucksack des europäischen Außenhandels mit Agrarprodukten, Wuppertal Institut

(5) UNEP Hg.(2009) The environmental food crisis: the environment's role in averting future

(6) FAO (2006): Lifestock's long shadow. Environmental issues and options.

(7) FAO (2011): FAO Food Price Index.

(8) OECD-FAO (2010): Agricultural Outlook 2010-2019

(9) APRODEV (2010): CAP Lobby brief Nr. 4 EU imports of soy for animal feed


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V. Diese Publikation wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) offiziell gefördert. Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung des BMZ wieder.

Der Rundbrief des Forums Umwelt & Entwicklung, erscheint vierteljährlich, zu beziehen gegen eine Spende für das Forum.


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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2011, S. 3-4
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juni 2011