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FRAGEN/004: Horst Seehofer zur zukünftigen Landwirtschaft im Freistaat Bayern (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 335 - Juli/August 2010,
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauer

"Ich bin kein Befürworter einer industriellen Landwirtschaft"

Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer beschreibt seine Sicht einer zukünftigen Landwirtschaft im Freistaat, begründet die Notwendigkeit von Agrarförderung und fordert Brüssel auf, die Zulassung gentechnisch veränderter Pflanzen zu überarbeiten

Interview von Marcus Nürnberger


UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Der Landwirtschaft kommt in Bayern eine besondere Rolle zu. Sie ist, mehr als in anderen Bundesländern, mit der Gesellschaft und Landeskultur verbunden. Welche Bedeutung messen Sie der Landwirtschaft in Bayern zu?

HORST SEEHOFER: Bayern ist das Agrarland Nummer Eins in Deutschland. Jeder dritte deutsche Bauernhof steht auf bayerischem Boden. Unsere bäuerlichen Familienbetriebe sind in der Mitte der Gesellschaft fest verankert, in den ländlichen Regionen Bayerns sind sie nach wie vor ökonomisches Rückgrat. Bayerns Landwirtschaft steht für eine hochwertige Versorgung mit gesunden Lebensmitteln, den Erhalt der natürlichen Ressourcen, Heimat, Tradition, nachhaltiges, generationenübergreifendes Wirtschaften. Ohne die landschaftspflegende Tätigkeit der Bauern ginge ein wichtiges Stück Attraktivität unseres Landes verloren. All das hat für uns einen enormen Wert. Und wir wollen, dass dies auch künftig so bleibt. Dafür arbeiten wir in München, Berlin und Brüssel.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Die von Ihnen eingesetzte Zukunftskommission hat viele unterschiedliche Gruppierungen an dem Prozess beteiligt. Nicht immer kam man zu einer einstimmigen Bewertung der Situation. Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) hat gefordert, dass sich die bayerische Landwirtschaft auf ihre regionalen Besonderheiten konzentrieren sollte, anstatt Masse für einen anonymen Markt zu produzieren. Wie stehen Sie zu dieser Forderung?

HORST SEEHOFER: Bayern produziert gerade nicht Masse, wir stehen für Klasse. Das schätzen die Verbraucher im In- und Ausland. Das verschafft unseren Bauern und den mittelständischen Lebensmittelunternehmen einen Wettbewerbsvorteil. Unsere Marktorientierung setzt deshalb auch auf weiß-blaue Schmankerl-Kompetenz, also auf einzigartige vielfältige Spezialitäten und innovative Premium-Produkte. Denken Sie nur an unsere hochwertigen Milchprodukte, an die Sortenvielfalt beim Brot, die Wurstspezialitäten, unseren Hopfen und unsere Biere, den Frankenwein. Unsere Lebensmittel vermitteln ein positives bayerisches Lebensgefühl, bayerische Landschaft, Authentizität. Unsere Bauern und die mittelständischen Lebensmittelunternehmen wären schlecht beraten, diesen erfolgreichen Weg bei Verbrauchern und Feinschmeckern nicht weiter zu gehen. Mit einer Exportoffensive begleitet die Staatsregierung seit 2005 unsere Agrar- und Ernährungsbranche bei der Erschließung von Wachstumsmärkten z.B. in Osteuropa oder im Nahen Osten. Das sorgt für zusätzlichen Schub. Das Geld, das wir dafür in die Hand nehmen, ist eine sehr gute Investition. Denn Bayern produziert weit mehr Milch und Käse, als die heimischen Verbraucher verzehren. Allein 2008 gingen Lebensmittel für 7,5 Mrd. über die Grenzen des Freistaats, ein Rekord. Ich bin zuversichtlich, dass wir bei der Pflege unserer Lebensmittelmärkte im In- und Ausland künftig sogar noch besser werden können. Auch die Zukunftskommission hat gerade hier Entwicklungspotenziale für mehr qualitatives Wachstum aufgezeigt, die wir unbedingt nutzen wollen und müssen.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Derzeit wird über die Gemeinschaftliche Agrarpolitik (GAP) nach 2013 diskutiert. Die Verbändeplattform hat in ihrem Positionspapier gefordert, dass alle Mittel in Zukunft einer Qualifizierung nach sozialen und ökologischen Kriterien unterliegen sollen. Wäre dies nicht eine Möglichkeit, von der auch die Landwirtschaft in Bayern mit ihren sehr unterschiedlichen, teilweise ökologisch sensiblen Naturräumen profitieren würde?

HORST SEEHOFER: Im Grundsatz passiert dies bereits jetzt. Das System von 'cross compliance' bindet die Direktzahlungen an verbraucherschutzrechtliche, ökologische und tierschutzrechtliche Vorgaben. Darüber hinaus haben wir in Bayern in besonderem Maße von Programmen der 2. Säule der GAP Gebrauch gemacht, die Anreize für die Erfüllung besonders hoher Standards im Umwelt- und Tierschutz sowie die Erhaltung der Landwirtschaft in benachteiligten Gebieten darstellen. Bayern zählt mit seinem Programm zur Spitzengruppe in Europa. Deshalb geht es mir in erster Linie auch darum" diese anerkannt hohen Leistungen so weit wie möglich zu erhalten. Die Landwirtschaft hat in der EU-Agrarpolitik gegenwärtig erhebliche Herausforderungen zu bewältigen. Ich kann nur davor warnen, ohne Not jetzt erneut grundlegende Reformen vorzunehmen, wo die beschlossenen noch nicht einmal EU-weit zu Ende gebracht sind.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Herr Seehofer, Sie haben mehrfach kritisiert, dass 80 % der EU Direktzahlungen an nur 20 % der Betriebe gehen. Das war schon zu der Zeit so, als Sie Bundeslandwirtschaftsminister waren und der Health Check 2008 anstand. Wie wollen Sie diese Wettbewerbsverzerrung zu Lasten bäuerlicher Betriebe abbauen?

HORST SEEHOFER: Ein solches Ungleichgewicht ist für Bayern nicht zu akzeptieren. Ich bin kein Befürworter und Förderer einer industriellen Landwirtschaft und deren Großstrukturen. Unsere Landwirtschaft gehört in Bauernhand, und das soll so bleiben. Dafür werde ich mich bei den anstehenden Verhandlungen zur Zukunft der Agrarpolitik mit aller Kraft weiter einsetzen.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Würden Sie es begrüßen, wenn der EU-Agrarkommissar Ciolos in seine Vorschläge die Degression der Zahlungen und die Anbindung der Zahlungen an den Faktor Arbeit aufnehmen würde?

HORST SEEHOFER: Wenn Sie mit Degression das Auslaufen der Direktzahlungen über die Jahre meinen, dann ist das eine Position der politischen Gegner. Und die teile ich in keiner Weise. Ich trete für einen möglichst weitgehenden Erhalt der EU-Mittel für die Gemeinsame Agrarpolitik ein. Was eine Neuverteilung der Mittel unter den EU-Mitgliedstaaten angeht, so kann es auch ab 2013 keine EU-weit gleichen Zahlungen je Hektar Fläche geben. Das würde den unterschiedlichen Kosten- und Kaufkraftniveaus in den EU-Mitgliedstaaten nicht gerecht und birgt große Gefahren für unsere Landwirtschaft. Das müssen wir unbedingt verhindern.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Kommen wir zur Gentechnik. Die EU-Kommission will die Zulassung neuer Gentechnik-Pflanzen beschleunigen und, lockt die Agrarministerinnen und Agrarminister damit, dass die Mitgliedstaaten im Gegenzug den Anbau zugelassener Sorten auf ihrem Gebiet einschränken können sollen. Sehen Sie Ihre Kritik an dem Zulassungsverfahren damit aufgenommen? Arbeitet die Bayerische Staatsregierung an einem zumindest bayernweiten Anbau-Verbot von Gentechnik-Pflanzen?

HORST SEEHOFER: Das Zulassungsverfahren für gentechnisch veränderte Pflanzen muss insgesamt transparenter gestaltet und auf eine klare wissenschaftliche Basis gestellt werden. Das ist auch Beschlusslage des Bayerischen Landtags. Es kann darüber hinaus auch nicht sein, dass Brüssel darüber bestimmt, was in Bayern angebaut wird. Darüber wollen wir selbst entscheiden. Diese Position haben wir jüngst mit Kabinettsbeschluss vom 11. Mai 2010 nochmals bekräftigt. Die EU-Kommission wird darin aufgefordert, den Mitgliedstaaten die Entscheidungsfreiheit für den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen zu überlassen. Den Mitgliedstaaten muss dann die Möglichkeit offenstehen, diese Entscheidung auf die Regionen zu übertragen. Unsere Position findet mittlerweile auch in Brüssel breite Unterstützung. Die Kommission wird dazu im Juli einen Vorschlag vorlegen.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Vielen Dank für das Interview


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 335 - Juli/August 2010, S. 5
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. August 2010