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FORSCHUNG/778: Genomische Selektion wird Tierzucht nachhaltig verändern (idw)


Leibniz-Institut für Nutzierbiologie (FBN) - 30.07.2010

Genomische Selektion wird Tierzucht nachhaltig verändern

1. 400 Agrarwissenschaftler diskutieren in Leipzig neueste Forschungsergebnisse auf dem Weltkongress für angewandte Genetik in der Tierzucht


Die Tierzuchtforschung muss sich heute mit globalen Herausforderungen wie das Bevölkerungswachstum, der Erhalt der Artenvielfalt, die Ernährungssicherheit und den Klimawandel auseinandersetzen. Auf dem 9. Weltkongress für angewandte Genetik in der Tierproduktion (WCGALP) werden die neuesten Forschungsergebnisse aus der Tierzuchtforschung vorgestellt. Der alle vier Jahre stattfindende Kongress wird zum ersten Mal in Deutschland abgehalten. Rund 1.400 Wissenschaftler werden vom 1. bis 6. August 2010 in Leipzig erwartet. "Der Fokus der Forschung wird in den kommenden Jahren noch stärker auf der Nachhaltigkeit liegen. Diese Forschungsergebnisse kommen schließlich auch den Verbrauchern zu gute", sagt Tagungspräsident Professor Dr. Ernst Kalm. "Dass der Kongress in Deutschland stattfindet, unterstreicht auch die internationale Bedeutung der deutschen Agrarwissenschaften." Zuletzt trafen sich die Wissenschaftler in Frankreich (2002) und Brasilien (2006).


Deutsche Wissenschaftler international führend

Die Verwendung von genetischen Informationen von Nutztieren hat die Tierzucht in den letzten 20 Jahren nachhaltig verändert. Ein wichtiges Thema auf dem Kongress wird das Verfahren der genomischen Selektion sein. "Mit der genomischen Selektion bricht eine neue Ära in der Tierzucht an" sagt Ernst Kalm. Der Wissenschaftler von der Christian-Albrechts-Universität Kiel gehört zu den Pionieren der Genomanalyse beim Rind in Deutschland. Damals hätten Wenige an die Tragweite des Ansatzes geglaubt, so Kalm. Heute nimmt die deutsche Agrarwissenschaft bei der Forschung zur genomischen Selektion international einen Spitzenplatz ein. Bei der genomischen Selektion muss nicht das gesamte Genom entschlüsselt werden. Die benötigten Informationen stellen so genannte Marker bereit, die über das gesamte Genom verteilt sind und die für die Zucht benötigten Gene am besten beschreiben. Mit den Informationen über das Genom lassen sich damit Zuchtwert und Leistungsmerkmale eines Tieres wesentlich schneller bestimmen als früher. Bislang war die Auswahl von Zuchttieren sehr langwierig und teuer. Zum Vergleich: Der Zuchtwert bei einem Bullen konnte mit den bisherigen Methoden erst nach rund acht Jahren festgestellt werden. Heute kann schon für das Kalb der genomische Zuchtwert ermittelt werden und viel früher die Selektion einsetzen. Das Generationsintervall verkürzt sich damit deutlich.


Steigende Nachfrage nach Fleisch zwingt zum Handeln

Im Jahr 2050 werden rund neun Milliarden Menschen auf der Erde leben. Die Nachfrage nach Lebensmitteln wird steigen und insbesondere der Konsum von Fleischprodukten - vor allem in China, Indien und Afrika. Zugleich verändern sich mit wachsenden Einkommen die Ernährungsgewohnheiten. "Wenn sich nicht die Essgewohnheiten ändern oder die Leistungsfähigkeit der Tiere steigt, wird sich die Zahl der Nutztiere weltweit dramatisch erhöhen", warnt Professor Joachim von Braun vom Zentrum für Entwicklungsforschung an der Universität Bonn. Die Forschung müsse daher die Belastungen für die Ökosysteme weiter verringern. Bis zum Jahr 2050 rechnet die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) mit einer Verdoppelung der jährlichen Fleischproduktion auf rund 460 Millionen Tonnen. Fast die Hälfte der Getreideernte weltweit wird heute als Futtermittel verwendet. Wissenschaftler arbeiten daher intensiv an neuen Züchtungsstrategien für leistungsfähigere Nutztiere, die den Verbrauch natürlicher Ressourcen verringern würden. Bei der Entwicklung dieser neuen Zuchtansätze spielen Informationen über das Erbmaterial der Tiere eine entscheidende Rolle.


Erhalt der Biodiversität ist entscheidend

Nach Angaben des Fachbeirats Tiergenetische Ressourcen sind in Deutschland von den 63 heimischen Rassen, die dem Tierzuchtrecht unterliegen, 52 Rassen (der Arten Pferd, Rind, Schwein, Schaf und Ziegen) gefährdet. Laut FAO sind weltweit 7.616 Tierrassen erfasst oder gemeldet. Davon sind ca. 1.500 Rassen, etwa 20 Prozent als gefährdet eingestuft. In den letzten sechs Jahren ist im Durchschnitt eine Rasse pro Monat ausgestorben. Eine breite Basis tiergenetischer Ressourcen ist von entscheidender Bedeutung für die Anpassungsfähigkeit und Weiterentwicklung unserer landwirtschaftlichen Produktionssysteme. Der Klimawandel und das Auftreten neuer und ansteckender Tierkrankheiten unterstreichen die Notwendigkeit, diese Anpassungsfähigkeit zu bewahren. Vor diesem Hintergrund wird die Tierzuchtforschung in den kommenden Jahren eine wichtige Rolle spielen, um die globalen Ernährungs- und Ressourcenprobleme zu lösen. "Der Kongress wird daher wichtige Impulse für die Forschung und Umsetzung in die Tierzuchtpraxis geben", so Professor Kalm.

Informationen im Internet:
www.wcgalp2010org

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution180


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Leibniz-Institut für Nutzierbiologie (FBN), Norbert K. Borowy, 30.07.2010
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. August 2010