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FRAGEN/053: Matthias Miersch - "Paradigmenwechsel in der Agrarpolitik jetzt einleiten!" (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 417 - Januar 2018
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

"Paradigmenwechsel in der Agrarpolitik jetzt einleiten!"
SPD-Fraktionsvize für Landwirtschaft und Umwelt, Matthias Miersch, zu neuen und alten Herausforderungen

von Claudia Schievelbein


Unabhängige Bauernstimme: Sie machen sich für Kooperationen in Sachthemen auch jenseits einer starren Koalition stark. Könnte der Umbau der Landwirtschaft - der Tierhaltung wie auch des Ackerbaus, Stichwort Glyphosatausstieg - da nicht ein großes, interfraktionelles Projekt sein, mit dem die Politik beweisen kann, dass sie gesellschaftliche Wünsche und Ansprüche demokratisch ernst nimmt und sich nicht von Klientelpolitik treiben lässt?

Matthias Miersch: Viele Anliegen aus dem Bereich Landwirtschaft und Umwelt sind auf Langfristigkeit angelegt. Da ist es sicherlich schwierig, wenn über wechselnde Mehrheiten Entscheidungen herbeigeführt werden, die dann in der nächsten Legislaturperiode wieder revidiert werden. Der Paradigmenwechsel in der Gemeinsamen Agrarpolitik ist in der Tat etwas, das jetzt unbedingt eingeleitet werden muss. Dabei handelt es sich um einen sehr konkreten Punkt. Wir müssen Klimaschutz, Tierwohl, Biodiversität und die Strukturen des ländlichen Raumes besser fördern!

SPD-Bundesumweltministerin Barbara Hendricks mischte sich in die Debatten um die zukünftige Agrarrefonn ein, bei der sie Zahlungen stärker als bisher an öffentliche Leistungen binden möchte. Es gibt aber auch eine starke Fraktion derer, die am liebsten alles so lassen wollen, wie es ist. Was sind für Sie agrarpolitische Leitlinien für die nächste Agrarreform?

Ich bin da generell bei Martin Schulz, der ja auch das Zwei-Säulen-Modell und die einseitige und damit ungerechte Förderung der Landbewirtschaftung in Frage stellt. Wir brauchen eine echte Reform der GAP, die am Prinzip "Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen" ausgerichtet wird. Das "Immer höher, immer weiter" in der Landwirtschaft muss durchbrochen werden. Es gibt berechtigte gesellschaftliche Ansprüche an die Art und Weise, wie bei uns Lebensmittel produziert werden, die in der Agrarförderung Berücksichtigung finden müssen.

Was halten Sie davon, im Zuge der von der EU-Kommission geplanten größeren nationalen Spielräume bei der GAP noch weiter zu regionalisieren und Mittelumverteilungen innerhalb der Bundesländer zu fixieren? Würde man damit nicht der Kappungs- und Degressionsdebatte in den neuen Bundesländern, bei der auch Ihre Parteikollegen dort ablehnend reagieren, die Schärfe nehmen können?

Wir haben in den ostdeutschen Bundesländern eine andere landwirtschaftliche Struktur als im Rest der Republik. Daher habe ich auch Verständnis für die genossenschaftlichen Betriebe, die nun Sorgen haben, dass ihnen durch eine betriebsgrößenabhängige Kappung und Degression das Wasser abgegraben wird. Auch diesen Betrieben muss im Rahmen der Regionalisierung Rechnung getragen werden. Allerdings habe ich auch gerade den Eindruck, dass die EU-Kommission noch nicht mit einer Stimme spricht. Daher muss Deutschland seinen Einfluss geltend machen, damit etwaige Regionalisierungen europaweit für die übergeordneten Ziele wie Klimaschutz, Tierschutz, Artenvielfalt, Erhalt bäuerlicher Familienbetriebe genutzt werden. Nicht umsonst gibt es für zentrale Umweltbereiche europäische Grundlagen mit verpflichtenden hohen Standards, wie beispielsweise die Wasserrahmenrichtlinie oder die Regelung zum Nitrateintrag. Diese müssen zwingend eingehalten werden.

In der Tierhaltung gibt es parteiübergreifende Übereinstimmung dazu, dass sich etwas ändern muss. Basierend auf dem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates zur gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung gab es bei den Jamaika-Sondierern Gemeinsamkeiten hinsichtlich eines staatlichen Tierwohllabels und Umbauprogramms, welches mit erheblichen finanziellen Mitteln - Milliarden - umgesetzt werden sollte. Können Sie da mitgehen?

Aus meiner Sicht geht dieser Punkt in die richtige Richtung. Allerdings muss man auch sehen, dass Papier geduldig ist. Ein Tierwohllabel hatte Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt ja schon vor der Bundestagswahl präsentiert. Leider war dieser Vorschlag ziemlich inhaltsleer. Ein gut gemachtes Label muss den Verbrauchern Transparenz für ihre Kaufentscheidungen und den Landwirten Planungssicherheit bringen. Darüber hinaus müssen die Landwirte gesellschaftlich gewünschte Veränderungen umsetzen und dabei von staatlicher Seite stärker unterstützt werden. An dieser Stelle muss man prüfen, welche Finanzierungen aus den vorhandenen Töpfen auch aus der EU möglich sind. Meiner Meinung nach werden die aktuell vorhandenen Mittel nicht ausreichen, um einen flächendeckenden Umbau in der Tierhaltung umzusetzen. Hier muss der Staat die nötigen Voraussetzungen schaffen.

Was sind weitere Schwerpunkte in der zukünftigen SPD-Agrar und Umweltpolitik aus Ihrer Sicht?

Wir brauchen ein echtes und ehrliches Umdenken. Viel zu lang wurde im Agrar- und Umweltbereich nur auf Sicht gefahren und die notwendigen Reformen stets aufgeschoben oder verwässert. Damit haben wir weder dem Berufsstand noch der Gesellschaft oder dem Umwelt- und Klimaschutz einen Gefallen getan. Daher wird die Hauptaufgabe sein, auf eine wirksame und moderne Gemeinsame Agrarpolitik hinzuwirken, die ganzheitlich die Herausforderung annimmt und als Chance begreift. Wir werden damit den Strukturwandel nicht aufhalten können. Doch unser Anspruch muss sein, dass wir ihn sozial und ökologisch gestalten.

National werden wir uns dafür einsetzen, dass neben sicheren Einkommen sich die Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten in der Land- und Ernährungswirtschaft verbessern. Wir wissen, dass hier viel zu tun ist: Von mitarbeitenden Familienmitgliedem bis hin zu dringend benötigten Saisonarbeitern braucht die Landwirtschaft praxistaugliche Regelungen. Gerade in Anbetracht der demografischen Zeitbombe in der Agrarwirtschaft brauchen wir kreative und sozialdemokratische Antworten auf die Frage, wie wir unsere Kulturlandschaft in Zukunft noch bewirtschaften wollen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 417 - Januar 2018, S. 3
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Februar 2018

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