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FRAGEN/048: Alternative Vermarktungsmodelle sind chancenlos (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 411 - Juni 2017
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Alternative Vermarktungsmodelle sind chancenlos
Ernst Halbmayr, ehemaliger Geschäftsführer der Freien Milch zu den Erfahrungen aus neun Jahren Milchhandel

Das Interview führte Marcus Nürnberger


Unabhängige Bauernstimme: Herr Halbmayr, Sie haben sehr turbulente Zeiten hinter sich. 2008 ist die Freie Milch Austria, damals mit Ihnen als Geschäftsführer, gestartet und wollte den Milchbauern einen alternativen Vermarktungsweg ohne Abhängigkeit von den Molkereien und vom Raiffeisenverband ermöglichen. Wo stehen Sie jetzt, nachdem das Projekt im März dieses Jahres beendet werden musste?

Ernst Halbmayr: Wir arbeiten unsere Geschichte auf. Das ist aber nicht historisch zu sehen. Vielmehr möchten wir verstehen, was in den vergangenen Jahren passiert ist, um darauf reagieren zu können und gegebenenfalls auch noch juristisch aktiv zu werden.

Was genau erwarten Sie?

Wir haben das Gefühl, dass es unter den Molkereien Absprachen gab, keine Milch von uns zu kaufen. Allerdings wissen wir aufgrund von Bemerkungen einzelner Milchfahrer, dass unsere Milch, die wir über einen Milchhändler in Bayern quasi anonymisiert haben, teilweise direkt zu österreichischen Molkereien ging. Wenn die Molkereien an einem möglichst hohen Preis für die Bauern interessiert gewesen wären, hätten sie die Milch direkt bei uns gekauft.

In den Medien und vor allem von den drei großen Molkereien in Österreich wird als Erklärung für das Scheitern der Freien Milch immer wieder die stark gewachsene Milchmenge nach dem Wegfall der Quote angeführt. War das wirklich der entscheidende Faktor?

Sicherlich haben auch wir die Auswirkungen der Milchschwemme gespürt. Allerdings waren die Molkereien immer an den Bauern als Milchlieferanten interessiert. Als unsere Auszahlungspreise 2012 um 7 Cent gegenüber dem Vormonat abrutschten, waren die Molkereien direkt bereit, die Bauern aufzunehmen, allerdings zu sehr viel schlechteren Konditionen als die übrigen Genossenschaftsmitglieder.

Viel entscheidender als der Milchpreis war aber, dass damals ganz bewusst verbreitet werden ist, die Freie Milch stünde vor dem Konkurs. Das hat unserer Glaubwürdigkeit als verlässlichem Partner der Milchbauern sehr geschadet, auch wenn zwei Jahre später vom Gericht bestätigt wurde, dass die Berichterstattung nicht korrekt war.

Schon im September 2016 hat die Alpenmilch Logistik GmbH als Nachfolger der "Freien Milch" ihren Lieferanten mitgeteilt, dass sie Ende März ihre Abholung einstellt. Trotzdem ist es einer Gruppe von 37 Betrieben nicht gelungen, zum Stichtag eine neue Molkerei zu finden. Teilweise mussten die Bauern ihre Milch in der Güllegrube entsorgen. Sollte hier ein Exempel statuiert werden?

Auf alle Fälle haben wir den Eindruck, dass man an dieser kleinen Gruppe, zuletzt waren noch 19 Betriebe ohne Vertrag, deutlich machen wollte, was passiert, wenn man sich gegen die Molkereibranche in Österreich auflehnt. Nur weil es uns als IG-Milch gelungen ist, öffentlich Druck aufzubauen, haben die Molkereien am Ende eingelenkt. Allerdings haben die Betriebe sehr viel schlechtere Konditionen als die Mitglieder der Genossenschaft. Bei der Berglandmilch, die die letzten 19 Betriebe aufgenommen hat, bekamen die Bauern nur einen Vertrag für ein Jahr. Speziell eingeführt wurde eine "Schüttgebühr" von 4,5 Cent zu Lasten des Landwirts, damit seine Milch überhaupt geholt wird.

Das hört sich sehr nach einer willkürlichen Maßregelung an. Wieso hört man von den betroffenen Betrieben so wenig?

Durch die abgeschlossenen Verträge sind die Bauern zu absolutem Stillschweigen verpflichtet. Wenn sie Kritik an der Molkerei üben und die Molkerei sich geschädigt fühlt, ist sie berechtigt, zum Ende des Monats zu kündigen.

In Österreich gibt es, anders als in Deutschland, nahezu keine Privatmolkereien. Zehn Genossenschaftsmolkereien teilen sich 95 Prozent des Marktes. Welche Möglichkeiten hätte es gegeben, wenn die Molkereien nicht eingelenkt und die Betriebe aufgenommen hätten?

Wir hatten schon Gespräche mit den Bauern und unserem Anwalt geführt und hätten versucht, eine einstweilige Verfügung auf Kontrahierungszwang zu erreichen. Die Molkereien, in diesem Fall die Berglandmilch, wären in der Folge aufgrund ihrer Markt dominierenden Stellung gezwungen gewesen, die Betriebe aufzunehmen.

Sie kämpfen seit vielen Jahren für gerechtere Lieferbedingungen am Milchmarkt. Welche Schlüsse ziehen Sie aus den aktuellen Entwicklungen?

Unter den derzeitigen Rahmenbedingungen in Österreich sind alternative Vermarktungsmodelle chancenlos. Besonders die Konzentration auf nur mehr zehn Molkereien lässt den Bauern nahezu keine Wahl und stärkt die Macht der Molkereien. Alle Versuche, eine Mengensteuerung einzuführen, wurden boykottiert. Für die Molkereien ist es auch nicht wünschenswert, dass die Lieferanten in ihrer Position gestärkt werden. Was ich aber auch erlebt habe, ist, dass auch unter den Bauern, wahrscheinlich aufgrund der vielen Arbeit und falsch verstandener Tradition, die Forderung nach höheren Preisen oder einer machtvolleren Position nicht gestellt, ja teilweise schon bekämpft wird.

Was können Sie Ihren Kollegen in Deutschland mit auf den Weg geben?

Auch in Deutschland konzentrieren sich die Molkereien immer stärker. Das DMK hat hier schon lange eine bedenkliche Größe erreicht. Ich habe gehört, dass 1,7 Mio. Liter gekündigt wurden. Den Betrieben kann ich nur raten, ihre Macht nicht zu überschätzen. Wir mussten schmerzlich erfahren wie gut das Netzwerk zwischen Raiffeisenverband und Molkereien funktioniert. Das Bundeskartellamt hat in seinem Bericht diese starke Konzentration und die Abhängigkeit des einzelnen Bauern ja auch schon beschrieben. Nur über Kündigung und Selbstorganisation werden wir die Strukturen nicht ändern. Hier brauchen wir auch andere Vorgaben und die Unterstützung durch die Politik.

Vielen Dank für das Gespräch!


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Bei einer kreativen Aktion österreichischer Bäuerinnen zeigten lebensgroße, vom Cartoonisten Gerhard Haderer gestaltete Kühe die Not der Milchviehbetriebe mit Niedrigpreisen ohne Alternative.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 411 - Juni 2017, S. 6
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. August 2017

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