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FRAGEN/047: Solidarische Landwirtschaft - "Mit dem anfangen, was da ist" (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 410 - Mai 2017
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

"Mit dem anfangen, was da ist
Bäuerlicher Berater informiert über erste, wichtige Schritte für Solidarische Landwirtschaft

von Christine Weißenberg


Klaus Strüber ist Berater im Netzwerk Solidarische Landwirtschaft (Solawi). Von 2007 bis 2015 hat er den Hof Hollergraben in Schleswig-Holstein als siebte Solawi in Deutschland mit 60 bis 70 Ernteanteilen für Gemüse und Brot betrieben. Mittlerweile wird der Hof von drei JunglandwirtInnen geführt. Strüber berät Höfe, Gemüsegärtnereien und Gruppen von Menschen, die diese Wirtschaftsform lokal etablieren wollen.

Unabhängige Bauernstimme: Gibt es Voraussetzungen, die ein Hof erfüllen muss, damit daraus eine Solawi entstehen kann?

Klaus Strüber: Möglich ist alles, aber die Beteiligten müssen offen klären, was sie wollen. Die Betriebsleiter sollten sich im Klaren sein, dass sie in einer Solawi deutlich mehr mit Menschen zu tun haben werden - mit den Mitgliedern der Solawi, mit Mitarbeitern, vielleicht über Kooperationen mit Verarbeitern oder anderen Betrieben. Andererseits darf auch nicht überbewertet werden, was die Menschen vom Hof erwarten: Den meisten geht es vor allem um das Wissen, wo die Produkte herkommen, weil das im Laden trotz verschiedenster Siegel nicht mehr genau nachvollziehbar ist. Darüber hinaus gibt es meist eine kleine Kerngruppe an Menschen, die mehr wollen, sich einbringen und wertvolle Arbeit z. B. in der Koordination oder für Hoffeste leisten. Teilweise übernimmt aus diesem Kreis auch jemand die organisatorische und kommunikative Schnittstelle zwischen den Landwirten und den Solawi-Mitgliedern.

Was sind sinnvollerweise die ersten Schritte für einen Hof auf dem Weg zu einer Solawi?

Heute sollte man unbedingt den Kontakt zum Arbeitskreis Beratung des Netzwerkes Solawi suchen. Bei einem ersten, kostenlosen Telefonat geht es dann um die Menschen, ihre Vorstellungen und die betrieblichen Gegebenheiten. Als nächstes verschafft man sich vor Ort zusammen einen genauen Betriebsüberblick, um das Potential des Hofes je nach Standort und Situation abzuschätzen. Ein paar Zahlen, z. B. vom letzten Jahresabschluss, sind da hilfreich. Mittlerweile kann ich so innerhalb von einem halben Tag überschlagen, wie eine Solawi vor Ort aussehen könnte. Wie viele Menschen versorgt werden können, hängt davon ab, welche Erzeugnisse möglich sind - je nach Flächenausstattung, Gebäuden, möglicherweise Ställen und eventuell vorhandenen Mitarbeitern. Als unverzichtbar hat sich mit dem geringsten Flächenverbrauch Gemüse erwiesen.

Wenn sich die Menschen eines Hofes entscheiden, eine Solawi zu gründen, dann müssen sie Leute finden und für verbindliche Zusagen zur Solawi gewinnen. Dafür sind Infoveranstaltungen zusammen mit einem Netzwerkberater wichtig. Man geht miteinander in direkte Kommunikation, es können Fragen gestellt und Missverständnisse geklärt werden das ist der Moment, in dem viele das nötige Vertrauen in die Idee bekommen und sagen: "Jetzt kann es losgehen, ich bin dabei."

Wir als Berater helfen, aus dem, was an Möglichkeiten und Vorstellungen da ist, die Strukturen der neuen Solawi zu entwickeln. Daraus kristallisiert sich die passende rechtliche Unternehmensform - vom Einzelunternehmer bis hin zur eingetragenen Genossenschaft.

Wie gestaltet sich die Angebotspalette bei den Solawis?

Bisher gibt es einen Überhang an Gemüse, denn das ist mit wenig Kapital, auf kleiner Fläche, mit geringer Mechanisierung und auch ganz ohne Gebäude einfach umsetzbar. Weniger vertreten, aber sehr gefragt, sind die typisch landwirtschaftlichen Produkte: Milch, Fleisch, Eier oder Brot. Besondere Hygienebestimmungen erschweren die Angebotserweiterung um Verarbeitungsprodukte z. B. von Milch. Am besten ist es, das Konzept der Solawi ganz klein zu erproben. Aus eigener Kraft heraus, mit dem, was auf dem Hof vorhanden ist, anfangen, neue Produkte erzeugen, vielleicht Verarbeitungsschritte testen - und die Sache dann organisch entwickeln.

Die Leute zahlen Monatsbeiträge, um die Produktion von landwirtschaftlichen Erzeugnissen zu ermöglichen, von denen sie dann einen Anteil abbekommen. Ist es schwierig zu berechnen, wie viel Geld für den Betrieb nötig ist und was ein Anteil für die Mitglieder kostet?

Eigentlich gar nicht. Aber für die Landwirte stellt das Konzept die sonst übliche Betriebswirtschaft auf den Kopf: Die Deckungsbeitragsrechnung geht von einem irgendwie am Markt gegebenen Preis für die Produkte aus und rechnet dann zurück, ob sich das bei den anfallenden Kosten lohnt. Bei einer Solawi wird geschaut, wie viele Menschen mit verschiedenen Erzeugnissen versorgt werden können - und wie viel Geld dafür nötig ist. Bäuerinnen und Bauern fällt es sehr schwer, dafür alle Kosten inklusive Lohn anzusetzen. Die Verbraucher verstehen diese Art der Rechnung sofort; ihnen fehlt hingegen der Blick für sinnvolle landwirtschaftliche Abläufe. Da muss man zusammenkommen und klären, was machbar ist. Sehr wichtig ist dafür eine genaue Budgetplanung und ein transparenter Umgang mit den Zahlen.

Wie verbindlich ist die Verbindung der Menschen mit der Solawi? Schließlich muss der Hof sich auf diese Wirtschaftsform einstellen und eventuell einiges umstellen.

Fast alle Solawis haben eine Mitgliedschaft von einem Jahr, entsprechend einem Wirtschaftsjahr in der Landwirtschaft. Eine Fluktuation ist da. Deshalb ist es wichtig, den Ausstieg von vornherein vertraglich zu regeln. Die Hauptgründe sind meist, dass Leute wegziehen oder ihren Job verlieren. Da kann man als Hof nichts machen. Ebenso wenig in den Fällen, wo Leute sagen: "Ich schaffe es nicht, die Produkte regelmäßig zu verkochen" oder: "Die Solawi ist eine tolle Sache, aber ich bin der einzige in der Familie, der Freude daran hat." Gedanken über das Konzept der Solawi sollte man sich machen, wenn Rückmeldungen kommen, dass das Angebot nicht gefällt, die Mengen nicht stimmen oder der Weg zu weit ist.

Ein Hof ist nicht nur Betrieb, sondern auch Familienvermögen - wer entscheidet über nötige Investitionen und wem gehören Neuanschaffungen von z. B. Maschinen, Gewächshaus oder Bewässerungstechnik?

Ein Familienbetrieb kann die Entscheidungshoheit über Investitionen behalten. Die meisten werden erleichtert sein, damit nichts zu tun zu haben. Was die Leute aber interessiert, ist, wie sich das auf den Preis der Ernteanteile auswirkt. Da ist eine Modellierung notwendig, wie sich die Ausgaben durch die Abschreibungen verändern. Und wie ist der Umgang, wenn etwas wieder verkauft wird - wird es dem Guthaben der Solawi zugeschrieben und reinvestiert oder ausgezahlt? Das muss offen und fair kommuniziert werden - und diese Kultur muss sich entwickeln.

Vielen Dank für das Gespräch!


SOLAWI

In der Solidarischen Landwirtschaft, kurz Solawi genannt, tragen mehrere private Haushalte die Kosten eines landwirtschaftlichen Betriebs, wofür sie im Gegenzug dessen Ernteertrag erhalten. Die Landwirtschaft und nicht das einzelne Lebensmittel wird finanziert. Durch die Gründung des Netzwerks Solidarische Landwirtschaft hat sich der Begriff in Deutschland durchgesetzt. Andere Bezeichnungen sind Wirtschaftsgemeinschaft oder das englische Community Supported Agriculture (CSA), was übersetzt etwa gemeinschaftsgetragene Landwirtschaft bedeutet.

Mehr Informationen und Kontakt zum Beratungskreis unter:
www.solidarische-landwirtschaft.de oder direkt bei Klaus Strüber: info@hof-hollergraben.de, Tel. 04528-764

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 410 - Mai 2017, S. 10
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
Telefon: 02381/490 22 20, Fax: 02381/49 22 21
E-Mail: redaktion@bauernstimme.de
Internet: www.bauernstimme.de
 
Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,45 Euro
Abonnementpreis: 41,40 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 30,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juli 2017

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