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FRAGEN/045: Brasilien - Tudo Bom?! Oder: Wie geht's weiter? (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 407 - Februar 2017
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Brasilien - Tudo Bom?! Oder: Wie geht's weiter?
Antônio Andrioli, Ko-Präsident der Universidade Federal da Fronteira Sul (UFFS) in Chapeco zu Entwicklungen im Amazonasstaat

Die Fragen stellte Marcus Nürnberger


Unabhängige Bauernstimme: Sie sind ein Kenner der landwirtschaftlichen Situation in Brasilien und beschäftigen sich insbesondere mit den Strukturen und dem Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen. Wie nehmen Sie die aktuelle Situation wahr?

Antônio Andrioli: Nach dem parlamentarischen Putsch im Mai letzten Jahres wurden die korruptesten Politiker zu Bundesministern ernannt. Die erste Tat der neuen Temer-Regierung war die Abschaffung des Ministeriums für Menschenrechte und des Kleinbauernministeriums. Landwirtschaftsminister ist der derzeit größte Sojaproduzent der Welt, Blairo Maggi. Er wurde als "Kettensäger des Jahres" bekannt, nachdem er 2004, damals als Gouverneur von Mato Grosso für 40 % der Entwaldung des Landes sorgte. Als Großgrundbesitzer und Politiker gleichzeitig wirkt er als eine der größten Kräfte der Umweltzerstörung Brasiliens. Maggis Landwirtschaftspolitik ist stark exportorientiert und er plädiert für die Ausweitung der Massentierhaltung und Agrarindustrie zur "Rettung der brasilianischen Wirtschaft". Im Norden Brasiliens aber sind 80 % der Fläche als Wald geschützt. Entsprechend will Maggi die, wie er sagt, "strenge Umweltgesetzgebung" aufweichen.

Welche neuen Entwicklungen gibt es in Brasilien bei der Verwendung gentechnisch veränderten Saatguts?

Die Regierung hat im Oktober 2016 den Import von Genmais aus den USA zugelassen, mit Hilfe der Biosicherheitskommission. In der bin ich noch bis Ende 2017 einer von 27 Wissenschaftlern, die von der Bundesregierung zur Entscheidung über den Anbau und die kommerzielle Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen nominiert wurden. Schon jetzt gibt es dort eigentlich nur noch drei kritische Stimmen. Auch diese wird es nach dem Ende unserer Amtsperiode nicht mehr geben. Bei der letzten Sitzung im Dezember wurde eine Sojapflanze zugelassen, die resistent gegen das Spritzmittel Dicamba von Monsanto ist. Dicamba wird von Monsanto als Alternative bei zunehmenden Resistenzen von Unkräutern gegen Glyphosat angeboten. Dicamba bereitet große Probleme durch Abdrift. Bei Sojapflanzen ist eine Kombination von Resistenzen längst Realität und führt zu einer größeren Abhängigkeit der Farmer und zu steigenden Betriebskosten. Neu ist, dass GV-Zuckerrohr und -Eukalyptus zum Anbau zugelassen werden sollen. Bei Eukalyptus geht es grundlegend um eine Veränderung der Ligninstruktur. Bei dem GV-Zuckerrohr ist eine Schädlingsresistenz durch den Einbau von Bacillus thuringiensis das Ziel.

Welche weiteren Veränderungen erwarten Sie infolge der neuen Regierung?

An den Universitäten werden wir es zunehmend mit Kürzungen zu tun haben. Eine Erweiterung der Studienplätze, wie wir es unter den Regierungen von Lula und Rousseff erlebt haben, ist nicht zu erwarten. Im Dezember wurde ein sehr polemisches Gesetz verabschiedet, wodurch die Investitionen der Bundesregierung in Bildung und Gesundheit für die nächsten 20 Jahre stark gekürzt werden. Daraufhin gab es, ausgehend vom Bundesstaat Paraná, einen bundesweiten Schulstreik, dem sich die Studenten angeschlossen haben. Zu befürchten ist auch ein starker Sozialabbau. Die Universitäten werden sich in eine Richtung zunehmender Privatisierung entwickeln, so wie wir es aus den 1990er Jahren kennen. Für 2017 hat Temer die Änderung der Sozialversicherung (Rente etc.) und den Abbau der Arbeitsrechte angekündigt.

Welche konkreten Auswirkungen wird diese Entwicklung für die Bauern haben?

Mit großer Wahrscheinlichkeit wird zum Beispiel die Rente der Bäuerinnen abgeschafft werden, eine der größten Errungenschaften der brasilianischen Bauernbewegungen der letzten Jahrzehnte. Durch die Abschaffung des Kleinbauernministeriums ist unklar, wie sich die Bauern, die sich ein starkes Direktvermarktungssystem aufgebaut haben oder die ihre Erzeugnisse im Rahmen des Schulverpflegungsprogramms verkaufen, entwickeln. Die Landlosenbewegung wird wieder stärker polizeilich verfolgt. An unserer Universität ist sogar ein Professor, der mit Landlosen arbeitet, in der Vorlesung vorübergehend festgenommen werden. Politische Arbeit wird noch schwieriger werden. Das Ziel der Regierung Temer ist der Abbau der sozialen Förderprogramme. Da die großen Erfolge der Agrarpolitik zugunsten der Kleinbauern sehr stark von diesen sozialen Programmen der Bundesregierung abhängen, ist ein Rückfall zu erwarten, mit den bekannten Folgen der Landflucht, Landkonzentration und Zunahme der Armut in den ländlichen Gebieten. Die politische Spaltung der brasilianischen Gesellschaft hat mit der sozialen Inklusion zu tun. Die historische Elite fühlte sich in ihrem Erfolgstraum durch die vergangenen Regierungen gestört. Es ist uns auch sehr klar, dass die Interessen multinationaler Konzerne dabei eine große Rolle spielten. Denn die Naturressourcen des Landes sind nach wie vor ein sehr begehrter Reichtum Brasiliens, der teilweise noch Indianervölkern und Kleinbauern gehört.

Aber der Regierungswechsel erfolgte doch aufgrund von Korruptionsvorwürfen gegenüber der Präsidentin Dilma Rousseff?

Mit einer Bekämpfung der Korruption hatte der Putsch überhaupt nichts zu tun, denn die Einzige, die bei den vielen Korruptionsskandalen noch nicht mal erwähnt wird, ist die abgesetzte gewählte Präsidentin Dilma Rousseff. So wie bei vielem im Lande wird es sicherlich noch eine Weile dauern, bis die Bevölkerung tatsächlich versteht, worum es eigentlich geht: um den Sturz einer Regierung, die soziale Interessen vertritt, die sich für die Abschaffung sozialer Ungleichheiten und die Durchsetzung von Menschenrechten einsetzte. Im Hintergrund der Aktion ist nicht zu übersehen, dass eine neue Geopolitik in Lateinamerika geplant wurde, denn ähnlich wurden gewählte Präsidenten in Costa Rica und Paraguay vor wenigen Jahren abgesetzt. Auch die politische Entwicklung in Argentinien zeigt in diese Richtung, obwohl es dort durch Wahlen geschah. Es handelt sich um die Durchsetzung der Interessen großer Konzerne und Banken, die weltweit agieren und versuchen, Staaten und Regierungen zu ihren Gunsten zu steuern.

Wieso ist die Bevölkerung so zurückhaltend?

Die großen Medien Brasiliens gehören Politikern und unterhalten das Volk täglich mit Berichten über Tragödien, damit sie das Gefühl haben, den anderen geht es ja noch schlechter und man sollte nicht reagieren. Wer reagiert, wird mit großer Gewalt von der militärischen Polizei verfolgt. Das ist vor kurzem auch unseren Studenten in der Hauptstadt Brasilia passiert, weil sie vor dem Parlament gegen die Kürzungen im Bildungsbereich protestierten. Und auch den Lehrern im Süden Brasiliens, als sie vor dem Palast der Landesregierung in Porto Alegre protestierten, da sie 2016 ohne Weihnachtsgeld blieben. Schlimme Zeiten und traurige Nachrichten, die sich wöchentlich vermehren. Trotzdem haben wir Hoffnung, dass das, was wir in den letzten Jahren aufgebaut haben, auch zum Widerstand motiviert.

Vielen Dank für das Gespräch!

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Quelle: Unabhängige Bauernstimme, Nr. 407 - Februar 2017, S. 18 Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V. Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm Telefon: 02381/490 22 20, Fax: 02381/49 22 21 E-Mail: redaktion@bauernstimme.de Internet: www.bauernstimme.de   Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich) Einzelausgabe: 3,45 Euro Abonnementpreis: 41,40 Euro jährlich (verbilligt auf Antrag 30,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Mai 2017

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