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FRAGEN/043: Sharon Treat - "Es gibt eine wachsende Bewegung" (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 406 - Januar 2017
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Interview
"Es gibt eine wachsende Bewegung"
Sharon Treat, US-amerikanische Expertin, zu Freihandelsabkommen und Verbraucherrechten

Die Fragen stellte Claudia Schievelbein


Unabhängige Bauernstimme: In Kooperation mit nordamerikanischen und europäischen Partnern, in Deutschland war es die AbL, haben Sie an einer Studie zu den Auswirkungen von Freihandelsabkommen wie CETA und TTIP auf Bauern und Bauernhöfe gearbeitet. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse?

Sharon Treat: Beide Länder, Kanada wie auch die USA, sind dominiert von extrem großen agrarindustriellen Betrieben, besonders im Fleischbereich. Dort sind so genannte Feedlots mit 20.000 Rindern und Tierfabriken mit 5.000 bis 20.000 Schweinen und 100.000 Hühnern üblich und Tierwohlstandards sind meistens nicht vorhanden oder höchstens freiwillig. Wenn nun durch Freihandelsabkommen Zollschranken abgebaut werden und Druck auf die hohen Verbraucher- und Tierhaltungsstandards in Europa ausgeübt wird, kommt es zu einem unfairen Wettbewerb. Die billigen Importe werden auf die Preise drücken, die EU-Bauern für ihre Erzeugnisse erhalten, den europäischen Markt mit billigem nordamerikanischem Fleisch überfluten und kleinere EU-Bauernhöfe zur Aufgabe zwingen.

In Deutschland haben wir eine Bewegung von Bauern und Zivilgesellschaft für eine andere Agrar- und faire Handelspolitik, die im Januar in Berlin gemeinsam demonstriert. Wie ist es bei Ihnen mit solchen Bewegungen?

Es gibt eine wachsende Verbraucherbewegung für regionale, gesunde Lebensmittel und großes Interesse an besserer Kennzeichnung, einer Verringerung des Einsatzes von Pestiziden und Antibiotika, Unterstützung für Bauernmärkte, einer regionalen Schulessensversorgung und der Verbesserung der Tierhaltungsstandards. Landesweit unterstützen beispielsweise über 90 % der Menschen in Umfragen eine Kennzeichnung von Gentechnik auf Produkten. Viele Menschen in den USA begannen sich während des Präsidentschaftswahlkampfes mit dem Thema Freihandel und dessen möglichen negativen Effekten auseinander zu setzen. Dabei lag der Fokus der Bewegung auf den Auswirkungen auf Arbeitsplätze, auch aufgrund der Erfahrungen mit dem nordamerikanischen Abkommen NAFTA. Auch Aufmerksamkeit und Kritik erhält ISDS, also die Möglichkeit, als Unternehmen einen Staat juristisch herausfordern zu können. Aber es gibt wenig öffentliche Aufmerksamkeit dafür, wie Handelsabkommen eine bäuerliche Landwirtschaft und den Verbraucherschutz gefährden können. Wir vom Institute for Agriculture and Trade Policy (IATP) und unsere Partner arbeiten daran, das zu ändern!

Und die Bauern und Bäuerinnen, inwieweit engagieren sie sich?

In einigen Regionen der USA, wo die kleineren Betriebe noch in der Mehrzahl sind, wie in Neuengland, gibt es Bauernorganisationen und auch politische Unterstützung für kleinere Höfe. Im Bundesstaat Maine, wo ich lebe, existiert seit mehr als 25 Jahren die Maine Organic Farmers and Gardeners Association (MOFGA). Sie ist beides, ein Verband für Ökobauern und eine bäuerliche Interessenvertretung: für eine GMO-Kennzeichnung, gegen Wachstumshormone, für eine Politik, welche regionalen Anbau und Vermarktung unterstützt. In anderen Bundesstaaten gibt es ähnliche Organisationen einer gemeinsamen Bauern-Verbraucher-Bewegung. Ich denke allerdings, dass es bislang nicht dieses öffentliche Bewusstsein gibt wie in Deutschland. Aber Akteure auf lokaler oder bundesstaatlicher Ebene machen vermehrt Druck auf die nationale Ebene.

Und wie steht es mit grundsätzlichen Themen: Umweltschutz, Klimawandel, Tierhaltungsstandards?

Die Umweltbewegung ist ziemlich stark in den USA und ist das auch schon seit einigen Jahren. Ich selbst habe Anfang der 1980er Jahre als Anwältin für Umweltschutzangelegenheiten angefangen. Es gibt viele lokale, bundesstaatliche und nationale Organisationen, die sich für den Schutz der Umwelt engagieren und den Klimawandel stoppen wollen. Unabhängig von der Wahl Donald Trumps, der sagt, dass er nicht an den Klimawandel glaube, ist die Mehrheit der Amerikaner und Amerikanerinnen davon überzeugt, dass die Erderwärmung eine Tatsache und damit eine große Herausforderung ist. Verbesserungen in der Haltung der Nutztiere passieren ebenfalls aufgrund öffentlichen Drucks, eher auf bundesstaatlicher oder lokaler Ebene.

Apropos: im Bundesstaat Massachusetts gibt es tatsächlich neue gesetzliche Vorgaben zur Nutztierhaltung, wie kam das zustande?

Im November gab es in Massachusetts parallel zur Präsidentschaftswahl ein direktes Referendum zu Tierhaltungsfragen. Und die Wähler trafen die Entscheidung, dass in Massachusetts keine Sauen und Kälber mehr in Kastenständen und keine Legehennen mehr in Batteriekäfigen gehalten und - und das ist vielleicht sogar die entscheidendere Nachricht - so erzeugte Produkte in Massachusetts nicht mehr verkauft werden dürfen. Initiiert wurde das Referendum von einem Bündnis aus Verbraucher- und Tierschutzgruppen, auch mit Unterstützung durch Bauern und Bäuerinnen. In Massachusetts gibt es kaum agrarindustrielle Betriebe, die an ihrer Tierhaltung etwas ändern müssen, wenn das entsprechende Gesetz 2022 in Kraft tritt. Wie dem auch sei, die Sorge ist nun, dass CETA und TTIP die Durchsetzung so eines Gesetzes verhindern, weil es eben keine nationale Regelung ist.

Vielen Dank für das Gespräch!

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 406 - Januar 2017, S. 4
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Februar 2017

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