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FRAGEN/041: Litauen - "Eine faire Aufteilung der Erlöse muss kontrolliert werden" (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 400 - Juni 2016
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

"Eine faire Aufteilung der Erlöse muss kontrolliert werden"
Der Präsident des litauischen Milcherzeugerverbands LPGA, Jonas Vilionis, über Preisanteile und Marktmacht

Das Interview führte Christine Weißenberg


Unabhängige Bauernstimme: Herr Vilionis, wie ist die Situation am Milchmarkt in Litauen?

Jonas Vilionis: Wir haben sehr ungünstige Bedingungen als Milcherzeuger. Wir bekommen aktuell acht, für größere Mengen gestaffelt bis zu 15 Cent pro Liter. Vor Auslaufen der Milchquote hatten wir durchschnittliche Auszahlungspreise zwischen 27 und 30 Cent bis zu 35 Cent. Der errechnete Selbstkostenpreis liegt bei 34 Cent bzw. 32 für mittlere und große Betriebe. Letztes Jahr haben die litauischen Milcherzeuger insgesamt 75 Mio. Euro "Verluste gemacht, in 2016 sind es bisher schon 40 Mio. Euro.

Was zählt in Litauen als kleiner, mittlerer oder großer Milchviehbetrieb?

Kleine Betriebe haben ein oder zwei Kühe, mittlere bis 20 Kühe und als groß gelten alle mit mehr als 20 Kühen. Insgesamt gibt es rund 53.000 Milchviehbetriebe, davon etwa 1.500 kleine, 49.000 mittlere und 2.500 große.

Und wie ist die Wertschöpfungskette organisiert?

Wir haben ein oligopolistisches System. Es gibt in Litauen fünf private Milchverarbeiter. Die haben einen harten Konkurrenzkampf gegen die lettischen und estnischen Unternehmen gewonnen. Jetzt wird die Milch auch von dort zu uns gefahren. 60 Prozent der hergestellten Produkte gehen in den Export. Und es gibt nach einem ähnlichen Verdrängungswettbewerb fünf litauische Handelsunternehmen, die Supermärkte in allen drei Ländern betreiben. Aktuell interessiert sich Lidl für unseren Markt. Wenn dieses Unternehmen einsteigt, wird der Preiskampf nochmal befeuert.

Mit welchen Aktivitäten reagieren die Milchbäuerinnen und -bauern auf den Milchpreisverfall?

Als Verband sind wir mit der LPGA seit einem Jahr Mitglied im European Milkboard (EMB), um uns europaweit zu vernetzen. Hier in Litauen gab es Demonstrationen in der Hauptstadt Vilnius, bei denen mit Traktoren einige Straßen blockiert wurden. Den ganzen April über hatten wir ein Protestzelt vor dem Landwirtschaftsministerium, in dem jeden Tag, 24 Stunden lang, abwechselnd Vertreter aus den Regionen vor Ort waren. Vieles ist Öffentlichkeitsarbeit, Interviews, Fernsehbeiträge. Zuletzt haben sich Anfang Mai mehrere Milchliefergenossenschaften an einem dreitägigen Boykott der Handelsketten beteiligt, den Verbraucher wegen der extrem gestiegenen Lebensmittelpreise organisiert hatten. Da wurde u. a. vor dem Landwirtschaftsministerium kostenlos Milch verteilt und darauf hingewiesen, dass die Milcherzeuger nur 21 Prozent des Ladenpreises für Milch bekommen.

Was sind Ihre politischen Forderungen?

Wir stehen ständig in Kontakt mit der Regierung und fordern Regulierungsinstrumente für den Milchmarkt. Und dass sie sich bei ihren Verhandlungen mit Verarbeitern und Handel zur Höhe der Lebensmittelpreise für eine Stärkung der Position der Milcherzeuger einsetzen. Z015 trat ein Gesetz für faire Handelspraktiken in der Milchwertschöpfungskette in Kraft, das diese Abstimmungen möglich macht. Für Mai und Juni hat die Regierung nun bekannt gegeben, dass die Ladenpreise um 14 Prozent reduziert werden. Aber die Mehrwertsteuer ist hoch und die Verarbeiter- und Handelsunternehmen wollen ihre Margen nicht verlieren. Reduziert wird also auf Kosten der Milcherzeuger. Das Gesetz sieht eigentlich vor, die faire Aufteilung der Produkterlöse zu kontrollieren. Da erwarten wir Lösungen, sonst werden wir auch auf Bezirks- und Kreisebene Treckerblockaden beginnen.

Welche Reaktionen gibt es auf die Aktionen und auf die dramatische Lage der Milchviehhalter?

Es gibt einige, die meinen, Betriebe mit ein bis zehn Kühen sollten überhaupt verschwinden. Das halten wir nicht für die richtige Politik, dann leeren sich die Dörfer. Wir haben jetzt schon 4.000 Orte, die nur noch dem Namen nach existieren.

Gibt es Möglichkeiten für die litauischen Milcherzeuger, eine eigenständige Marktposition zu beziehen?

Es gibt einige Liefergenossenschaften, in denen sich Milchviehbetriebe zusammengeschlossen haben. Sie bündeln meist etwa 200 Tonnen Milch pro Tag, haben aber keine eigene Verarbeitungsmöglichkeit. Und die Molkereien zahlen diesen Gruppen niedrigere Preise als den Einzellieferanten. Sie wollen die Bäuerinnen und Bauern auseinander bringen. Zur Zeit baut nun eine größere Genossenschaft eine Fabrik, die noch in diesem Jahr in Betrieb gehen wird und 800 Tonnen Milch pro Tag zu Proteinkonzentrat verarbeiten kann. Wir erhoffen uns dadurch eine Konkurrenz. Wir müssen die Menge beherrschen und regeln können.

Vielen Dank für das Gespräch!

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 400 - Juni 2016, S. 14
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juni 2016

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