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FRAGEN/040: Terry Boehm - US-Konzerne übernehmen Märkte (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 400 - Juni 2016
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

US-Konzerne übernehmen Märkte
Ein kanadischer Getreideanbauer über Freihandelsabkommen und CETA

Interview von Berit Thomsen mit Terry Boehm


Die Menschen in Kanada haben seit mehr als 20 Jahren Erfahrungen mit dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA) zwischen Kanada, den USA und Mexiko. NAFTA ähnelt dem geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (CETA), das vor der Ratifizierung steht. Was NAFTA gebracht hat und CETA bringen könnte, berichtet Getreideanbauer Terry Boehm. Er bewirtschaftet in der vierten Generation einen Familienbetrieb mit 1.900 Hektar in der kanadischen Provinz Saskatchewan und baut Weizen, Gerste, Raps, Roggen, Bohnen, Linsen, Leinsamen und Senf an. Boehm ist in der kanadischen Mitgliedsorganisation bei Via Campesina, der National Farmers Union (NFU) aktiv, welcher er viele Jahre als Präsident vorstand.


Unabhängige Bauernstimme: Berichten Sie uns von Ihren Erfahrungen mit dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen?

Terry Boehm: Durch NAFTA haben wir in Kanada im Industriesektor Verluste zu verzeichnen. Kanadische Unternehmen wurden von US-amerikanischen aufgekauft, Arbeiter mussten zunächst sinkende Löhne hinnehmen und schließlich sind Arbeitsplätze in US-amerikanische und mexikanische Niedriglohngebiete abgewandert. Im Agrarsektor brachen die kooperativen Vermarktungsstrukturen zusammen. In Westkanada hatten wir mit dem "Kanadischen Weizen-Board" die größte Getreidekooperative, die für die Erzeuger mit Unternehmen weltweit verhandelte. Mit NAFTA und auch der Welthandelsorganisation (WTO) konnte seitens den USA so ein starker Druck auf das Wheat Board ausgeübt werden, dass es schließlich machtlos wurde und wir unsere Erzeugerbündelung verloren haben. Den Markt haben dann US-Konzerne übernommen. Unsere kooperativen Molkereien haben aufgegeben und der Fleischsektor wird nunmehr von zwei Schlachtunternehmen beherrscht. Außerdem gibt es einen ständigen Druck, dass unsere Standards an die der USA angeglichen werden, was im Resultat immer in eine Aufweichung mündet.

Was ist mit der gentechnikfreien Landwirtschaft?

Es ist sehr schwierig, in Kanada gentechnikfreie Märkte zu erhalten. Das liegt vornehmlich daran, dass hier bereits weitläufig vor allem gentechnisch veränderter Raps angebaut wird und eine getrennte Erfassung nicht etabliert wurde. Biobauern mussten allesamt die Rapserzeugung aufgeben - außer in sehr abgelegenen Gebieten. Vor einigen Jahren wurde eine gentechnisch veränderte Leinsorte zum Anbau zugelassen, aber aus Rücksicht auf die Exportmärkte nie kommerziell angebaut. Ich war einer der Hauptgegner und habe mich an Feldbefreiungen beteiligt. 2001 wurde die Sortenzulassung wieder zurückgenommen. Trotz allem gab es Kontaminationen und der europäische Markt, eines unsere Hauptabsatzgebiete, schloss sich für uns. Es hat Jahre gedauert, die Leinsamenerzeugung wieder sauber zu bekommen und verlorene Märkte in Teilen zurückzugewinnen. Jetzt sind wir konfrontiert mit der gentechnisch veränderten Luzerne, die in Teilen von Kanada zum Anbau zugelassen ist. Auch hier gibt es massiven Widerstand auch mit Unterstützung durch die Bevölkerung.

Mit CETA soll der europäische Käseexport künftig verdoppelt werden, das bedeutet mengenmäßig fast acht Prozent des kanadischen Käsemarktes. Was erwarten Sie?

CETA ist einer von vielen Angriffen auf das System der Mengensteuerung in Kanada, das für Milch, Geflügel und Eier angewendet wird. Zwar hat die kanadische Regierung bisher die Mengensteuerung geschützt, aber immer einige Zollsenkungen zugestanden, die sehr kritisch für das Funktionieren solcher Marktkonzepte sind. Von dem geplanten höheren Marktzugang für europäische Käseexporte werden vor allem Verarbeitung und Vermarktung gefährdet, die hauptsächlich in lokalen, regionalen Strukturen stattfinden. Wir haben eine Milchkommission in jeder Provinz, die die Quoten kontrolliert und die Preise mit den Verarbeitern aushandelt.

Wie schätzen Sie die Bewegung gegen CETA und andere Freihandelsabkommen ein?

Es gibt in Kanada viele Menschen, die kritisch sind. Schon als NAFTA verhandelt wurde, gab es viel Kritik, aber die jeweilige Regierung blieb davon noch unbeeindruckt. So verhielt es sich auch mit allen anderen Abkommen. Während der NAFTA-Text damals noch öffentlich war und diskutiert werden konnte, werden nun alle Handelsabkommen unter Verschluss gehalten. Das schürt die Kritik gegen diese Abkommen. Die Bewegung in Deutschland und Europa gegen CETA und TTIP wird hier wahrgenommen und diskutiert. Es sind die Aktionen in Europa, die uns Hoffnung geben, dass wir CETA verhindern können. Die europäische Gentechnikregulierung beispielsweise hat hier bei uns einen realen Einfluss und war hilfreich, um den Anbau von GV-Leinsamen zu verhindern, um nur ein Beispiel zu nennen. Diese Handelsabkommen schützen die Interessen international agierender Konzerne vor der Politik und dem öffentlichen Interesse.

Vielen Dank für das Gespräch!


Berit Thomsen, AbL, Internationale Agrarpolitik

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 400 - Juni 2016, S. 5
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juni 2016

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