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FRAGEN/038: Michael Wimmer - Brandenburger wollen eine Agrarwende, zweiter Schritt (UBS)


unabhängige bauernstimme, Nr. 396 - Februar 2016
Eine Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Brandenburger wollen eine Agrarwende: zweiter Schritt

Von Marcus Nürnberger


Das Volksbegehren gegen Massentierhaltung in Brandenburg hat es geschafft. 80.000 Stimmen wären nötig gewesen, fast 104.000 Stimmen haben die Initiatoren im vergangenen halben Jahr gesammelt. Vorausgegangen war dem Volksbegehren eine Volksinitiative. Die Forderungen waren eindeutig: unter anderem ein Verbot von kupierten Schwänzen und Schnäbeln, die ausschließliche Förderung artgerechter Tierhaltung sowie die Einsetzung eines Landestierschutzbeauftragten und ein Mitsprache- und Klagerecht für Tierschutzverbände. Der Landtag positionierte sich eindeutig dagegen und ließ die Initiatoren abblitzen. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke, selbst Agraringenieur, befand, dass die Debatte um Massentierhaltung schädlich und ein "Irrweg" sei. Brandenburgs Landwirtschaftsminister Jörg Vogelsänger (SPD) befand: "Brandenburg braucht keine Agrarwende." Das allerdings scheint die Bevölkerung ganz anders zu sehen.


Unabhängige Bauernstimme: Herr Wimmer, Sie sind einer der Initiatoren des jetzt erfolgreichen Volksbegehrens und Sprecher des Aktionsbündnisses Agrarwende Berlin-Brandenburg. Haben Sie zu Beginn damit gerechnet, dass Sie die notwendigen 80.000 Unterschriften bekommen?

Michael Wimmer: Wir haben es gehofft, sind aber mit dem Wissen reingegangen, dass es in Brandenburg extrem schwer ist, ein Volksbegehren zu gewinnen. Die Hürden sind einfach sehr hoch. Denn im Gegensatz zu anderen Bundesländern muss man in Brandenburg die Unterschrift auf dem Amt leisten!


Unabhängige Bauernstimme: Wie haben Sie es geschafft, die Menschen zu mobilisieren?

Michael Wimmer: Schon bei der Volksinitiative haben wir gesehen, dass das Thema Tierwohl die Bürgerschaft umtreibt und Anlass für eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit der Landwirtschaft ist. Wie kaum ein anderes transportiert es die Systemfehler und Auswüchse in der Landwirtschaft. Hinzu kam, dass unsere Forderungen bewusst realistisch und umsetzungsfähig gehalten waren.


Unabhängige Bauernstimme: Hatten Sie nicht großen Widerspruch vom Bauernverband?

Michael Wimmer: Der Bauernverband hat sich immer dagegen verwehrt, dass wir mit dem Begriff der Massentierhaltung die Bauernschaft als Ganzes und den einzelnen Landwirt diffamieren würden. Dabei haben wir stets betont - und die Medien haben das auch verstanden -, dass es uns gerade nicht um den einzelnen Landwirt, der ja Gefangener des Systems ist, sondern um eine Änderung des gesamten Systems geht.


Unabhängige Bauernstimme: Was sind die nächsten Schritte?

Michael Wimmer: Dieser Ausgang markiert eine Zeitenwende, zumal das Ergebnis alle überrascht hat und auch von den Brandenburger Medien geradezu euphorisch gefeiert wurde. Jetzt muss man unsere Anliegen und Forderungen ernst nehmen. Ich persönlich hoffe sehr, dass das verstanden wird und wir jetzt ernsthaft, ehrlich und fair miteinander umgehen und grundsätzlich über die Probleme der Landwirtschaft in Brandenburg und mögliche Lösungsansätze sprechen können. Es geht ja nicht nur um den Kampfbegriff Massentierhaltung. Es geht auch um mögliche Lösungsansätze, mehr Tierwohl auch finanziert zu bekommen. Daher würde ich z. B. auch gerne über eine staatliche Kennzeichnungspflicht der Haltungsform, Bestandsobergrenzen, die Umwidmung von der ersten in die zweite Säule reden.


Unabhängige Bauernstimme: Wie schätzen Sie die Situation ein?

Michael Wimmer: Ich glaube, wir haben jetzt ein kurzes Zeitfenster, um auf beiden Seiten abzurüsten und mit den Beteiligten, Bauern, Behörden, dem Bauernverband usw., eine tragfähige Basis für eine echte und konstruktive Zusammenarbeit zu schaffen. Das wäre nicht nur in Brandenburg der erste wirkliche Dialog seit der Wiedervereinigung vor 25 Jahren. Die Chance ist gerade jetzt so groß, weil den Vertretern einer intensiven Landwirtschaft auch ihr Paradigma der mengenexpansiven Weltmarkteroberung zwischen den Fingern zerrinnt. Bei der Politik gehe ich davon aus, dass die bisher bremsende SPD den ersten Brandenburger Volksentscheid als zwangsläufig nächsten Schritt vermeiden will. Das gewonnene Volksbegehren hat uns und der zukünftigen Agrarpolitik in Brandenburg eine große Chance eröffnet. Jetzt gilt es sie zu nutzen.


Unabhängige Bauernstimme: Vielen Dank für das Gespräch!

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Quelle:
unabhängige bauernstimme, Nr. 396 - Februar 2016, S. 12
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft -
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(verbilligt auf Antrag 28,40 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. März 2016

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