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FRAGEN/029: Tierwohl - "Es braucht sichtbare, lebende Beispiele für Änderungen" (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 388 - Mai 2015
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

"Es braucht sichtbare, lebende Beispiele für Änderungen"

Christine Weißenberg im Gespräch mit der Nutztierwissenschaftlerin Professor Dr. Ute Knierim über das Tierwohlgutachten des Wissenschaftlichen Beirats


Unabhängige Bauernstimme: Sie sind Mitglied des vom Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) berufenen wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, der Ende März sein Gutachten "Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung" vorgelegt hat. Welche Reaktionen nehmen Sie wahr und wie die Diskussion?

Prof. Dr. Ute Knierim: Die Reaktionen reichen von Begeisterung bis zu vollständiger Ablehnung. In der derzeitigen Atmosphäre scheint das Gutachten mit den kritischen Aussagen zum Tierwohl zum Teil als eine zusätzliche Zumutung empfunden zu werden. Gesprächsbedarf ist von allen möglichen Seiten angemeldet worden. Darin sehe ich die größte Wirkung des Gutachtens: in diesem Diskussionsprozess einen weiteren Impuls zu geben, sich damit auseinander zu setzen und die Debatte sachorientierter zu führen. Es ist ein Thema, das viele Emotionen hervorruft und verschiedenste Ebenen hat. Da geht es bei den Landwirten nicht nur um ihren Lebenserwerb, sondern um etwas, womit sie sich zu einem großen Teil identifizieren, und um Anerkennung oder Nicht-Anerkennung. Wir versuchen auseinander zu nehmen, wie es zu dieser Situation kommen konnte, die wir wahrnehmen und als Klemme empfinden: Da klafft ein Abstand zwischen dem, was die Landwirte tun und für richtig halten, und den Erwartungen, die auf verschiedenen Ebenen in den Medien und von gesellschaftlichen Gruppen angesprochen werden. Eine fachliche Diskussion, bei der gezielt Kompromisslinien gesucht und nicht nur Abwehrgefechte geführt werden, hat es nach unserer Wahrnehmung bisher nur ansatzweise gegeben.

Als Wissenschaftler können wir die Situation analysieren und aufzeigen, welche Faktoren dazu führen, dass es den Tieren besser oder schlechter geht. Die Einigung, was für vertretbar gehalten wird, erfordert aber einen gesellschaftlichen Verständigungsprozess, weil dies von Werturteilen und Abwägungen verschiedener Interessens- und Zielkonflikte beeinflusst wird und letztlich eine politische Entscheidung ist. Mit den Leitlinien haben wir Eckpunkte aufgezeigt, die von Bedeutung sind, einerseits aus der Sicht des Tieres und andererseits aus der Sicht verschiedener gesellschaftlicher Gruppen. Und wir haben auf Zielkonflikte hingewiesen.

Die große Frage ist, wie kann sich mehr Tierwohl ganz praktisch auf den Höfen durchsetzen?

Ein zentraler Diskussionspunkt ist zum Beispiel das Schwanzkürzen und die Frage, ob die konventionelle Schweinehaltung in der Lage ist, damit aufzuhören und wenn ja, bis zu welchem Zeitpunkt. Bisher war die vorherrschende Meinung, das geht auf absehbare Zeit nicht. Bei Gesprächen mit Betrieben, die sich auf den Weg gemacht haben, wird klar, wenn man anfängt, sich im Detail damit zu beschäftigen, dann ist es nicht unmöglich, aber es bedarf sehr großer Anstrengungen. Und wir stehen gerade auch in der Schweinehaltung vor dem Problem, dass die Ställe kaum Modifikationsmöglichkeiten bieten und nicht gut mit anderen Konzepten funktionieren. Ideen, wie z. B. mehrere Funktionsbereiche, sind zum Teil gar nicht umsetzbar, weil das gesamte Lüftungs- und Entsorgungssystem auf eine unstrukturierte Fläche eingestellt ist. Da ist Bauen mit mehr Flexibilität, was Möglichkeiten Entwicklung in verschiedene Richtungen offen lässt, ein sehr guter Ansatz. Deswegen ist die Zieldebatte wichtig, denn bei den Ställen, die jetzt neu gebaut werden, muss man diese Dinge berücksichtigen und nicht anschließend da stehen und sagen: "Jetzt habe ich investiert und was soll ich jetzt machen?"

Die neuen Anforderungen sind von den Landwirten nicht einfach so zu bewältigen, sie brauchen da Unterstützung. Sie müssen sowohl ökonomisch als auch vom Know-how her in die Lage versetzt werden, Veränderungen vorzunehmen und dabei nicht unterzugehen. Das kann nur mit einer intelligenten und gut koordinierten Mischung von verschiedenen Maßnahmen funktionieren - auch, um nicht den Strukturwandel zu verschärfen.

Wer ist da angesprochen und wie kann eine langfristige Verbindlichkeit entstehen, damit Landwirte sich auf Veränderungen einlassen können?

Angesprochen ist nicht nur die Politik zur Regelung, Förderung und Koordinierung. Es ist die Verantwortung der Verbraucher, die eingeforderte Qualität auch zu kaufen. Damit die Unterschiede erkennbar sind, müssen sie im Handel wiederum mit Motivation entsprechend beworben werden. Die Langfristigkeit ist ein großes Problem: Die Planungen in der Landwirtschaft mit Investitionszeiträumen von 20 bis 30 Jahren passen weder mit kurzfristigen Vorgaben des Handels oder der Verarbeiter noch mit den politischen Zeitdimensionen zusammen: Bei Programmen zu Tierschutzprämien oder Kompensationszahlungen liegen wir in Bereichen von maximal fünf Jahren. Deswegen muss das in einen gesamtgesellschaftlichen Prozess eingebunden sein. Politisch könnte eine Enquetekommission im Bundestag zu einem stärker parteiübergreifenden Konsens führen. Es braucht eine Macht des Faktischen, wie sie z. B. bei der Förderung des Ökolandbaus zu erkennen ist, so dass nicht plötzlich alles zurückgedreht werden kann.

Im Gutachten wird die Betriebsgrößendiskussion angesprochen und als nicht zielführend für die Debatte bezeichnet. Dennoch werden strukturelle Effekte deutlich, weil kleinere Betriebe meist andere Wege gehen müssen als größere. Braucht es nicht zumindest eine Differenzierung von Unterstützungsmaßnahmen?

Dem würde ich zustimmen. Wenn man aus strukturpolitischen Gründen die Familienbetriebe erhalten will, dann muss man sie auch entsprechend differenziert unterstützen. Wir wissen, auch aus eigenen Untersuchungen, dass Kosten für Tierschutzmaßnahmen in kleineren Betrieben pro Tier meist stärker zu Buche schlagen als in größeren. Rein aus Tierschutzsicht kommt es im Endeffekt auf das Ergebnis an. Wenn wir uns über eine bestimmte Zielgröße verständigen, dann muss man überlegen, wie die zu erreichen ist, und weder im Kleinen noch im Großen mit einem Strukturargument begründen, dass es nicht geht.

Was ist für Sie der wichtigste nächste Schritt?

Aus meiner Sicht ist ein wichtiger Baustein, die Tierschutzkennzeichnung auf festere Beine zu stellen. Dafür gibt es zwei Adressaten: die Politik und den Handel. Über ein staatlich fundiertes Label könnte Vertrauen geschaffen werden, indem das Ganze rechtlich abgesichert und entsprechend unterstützt wird. Im Handel geht es um die Koexistenz verschiedener Ansätze. Man sollte diese nicht gegeneinander ausspielen. Die Brancheninitiative Tierwohl hat vor allem Dynamik in die Diskussion unter den Landwirten gebracht, sich ernsthaft damit zu beschäftigen, was kann ich z. B. als Beschäftigung für die Schweine bieten. Es braucht eine Entscheidung des Handels, nicht nur zu sagen, die Initiative ist gut, das unterstützen wir - auch noch viel mehr als wir es jetzt tun, weil das Geld nicht ausreicht - sondern andererseits befördern wir genauso den Tierschutzlabelansatz. Da geht es nicht nur darum, dass die Käufer eine Wahl haben, sondern vor allem, dass lebende Beispiele entstehen, weil sich in der Landwirtschaft Änderungen am leichtesten über den Schneeballeffekt ausbreiten. Neuland, Bio oder Tierschutzlabel - je mehr es insgesamt werden, die sich offen mit dem Thema beschäftigen, umso größer ist die Chance, dass andere Betriebe sich das abgucken und kreative, neue, individuell passende Lösungen entwickelt werden.

Vielen Dank für das Gespräch!

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 388 - Mai 2015, S. 12 - 13
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juli 2015

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