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FRAGEN/028: Aufgebackene heiße Luft (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 388 - Mai 2015
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Aufgebackene heiße Luft
Bei Backwaren verdrängen industrielle Strukturen handwerkliche Betriebe, ohne dass der Verbraucher es wirklich merkt

Gespräch von Marcus Nürnberger mit Bäckermeisterin Anke Kähler


Lidl wirbt mit frisch gebackenen Brötchen. Die kommen aus dem Automaten, waren tiefgefroren und industriell gefertigt. Das Bäckerhandwerk wehrt sich. Frisch gebacken geht anders!


Unabhängige Bauernstimme: Um die "Qualitätsoffensive" des Discounters Lidl ist in den letzten Wochen eine heftige Debatte entbrannt. Wie steht ihr als unabhängiger Berufsverband im Backhandwerk dazu?

Anke Kähler: Vor kurzem habe ich am Rande einer Tagung mit einem Wissenschaftler und Getreideexperten ein Gespräch über die Verwendung technischer Enzyme bei der Herstellung von Backwaren geführt. Diese werden von uns aus verschiedenen Gründen kritisch beurteilt. Die Bäcker, die ihr Handwerk beherrschen, brauchen diese technischen, meist mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen produzierten Alleskönner nicht, um gute Brote herzustellen. Zu meinem Erstaunen erklärte mir mein Gesprächspartner, der diesen Hilfsstoffen positiv gegenüber steht, dass er persönlich Brötchen vorziehe, die frei von diesen Hilfsstoffen sind. Für ihn sei der höhere Preis ja kein Problem, aber man bräuchte eben billige Lebensmittel für die, die sie sich nicht leisten können.

Ist damit gemeint, wir können es uns nicht leisten, dass unser "täglich Brot" handwerklich hergestellt wird?

Diese Sichtweise ist verbreitet. Zeit, Wissen und Know-how und damit auch Arbeitsplätze im Handwerk werden "ersetzt" durch industrielle, effiziente "Lösungen". Entweder direkt durch die Konkurrenz von scheinbar billigen Produkten aus der Fertigung in Großbäckereien und der Nahrungsmittelindustrie oder indirekt durch die Industrialisierung der Prozesse im "Handwerk" selbst. Durch den Einsatz industrieller Vorprodukte (komplexe Backmittel, Vormischungen, Teiglinge oder sog. funktionelle Mehle) hat ein Großteil der Betriebe des Backhandwerks fachliche Kompetenz, Individualität, Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit eingebüßt.

Sie sehen in einer effizienten, technologisch ausgereiften industriellen Produktion also eine Gefahr?

Bis zu einem bestimmten Punkt ist der Einsatz von Technik sinnvoll. Wenn es darum geht, alle Menschen ausreichend - und nachhaltig! - zu versorgen. Die Grenze ist dort erreicht, wo Technik unsere natürlichen Lebensgrundlagen - Natur, Boden, Wasser, Biodiversität, etc. gefährdet und die Prinzipien von Selbstbestimmung und Demokratie verletzt. Ein wesentliches Charakteristikum industrieller Verfahrenstechnik ist die Anpassung der Rohstoffe an die Herstellungsprozesse. Hier liegen die Gefahren.

Das ist sehr abstrakt, können Sie das an einem Beispiel erklären?

An den geltenden Qualitätskriterien für den Handel mit Weizen und der aktuellen Debatte um die Reduzierung der Stickstoffdüngung. Insbesondere die Backwarenhersteller durch deren industrielle Verfahrenstechnik Teige in hohem Maße mechanischen und/oder chemisch-physikalischen Belastungen ausgesetzt werden verlangen Mehle mit hohen Proteinwerten. Um die verlangten Weizenqualitäten zu ernten, wird konventionell mit einer N-Grundversorgung und "optimierter" N-Spätdüngung der Proteingehalt gesteigert. Die dadurch verursachte Nitratbelastung unserer Gewässer und Kostensteigerungen für die Aufbereitung des Trinkwassers sind bekannt. Allerdings steht der Rohprotein- bzw. Feuchtklebergehalt als gültiges Kriterium für den Handel mit Weizen in der Kritik, denn der Zusammenhang zwischen dem Proteingehalt und dem Backvolumen stimmt nicht in dem Maße überein, wie bisher angenommen.

Wie stellen Sie sich eine Lösung vor?

Zuerst einmal müsste die Wettbewerbsverzerrung, u. a. durch versteckte Subventionen für Unternehmen, die in dieser Weise produzieren, aufhören. So zahlen beispielsweise Großbetriebe, die u. a. vorgefertigte Backwaren für den Lebensmitteleinzelhandel und den Discount herstellen, eine reduzierte EEG-Umlage. Die Begründung lautet, man dürfe die internationale Wettbewerbsfähigkeit dieser Unternehmen nicht aufs Spiel setzen. Proteinstarke Mehle werden gebraucht, um damit "billige", großvolumige, geschmacklose Backshop-Brötchen zu produzieren. Diese treten in Konkurrenz mit Brötchen von Handwerkern, die regional und nachhaltig angebautes Getreide mit höherem Personaleinsatz schonend verarbeiten. "Wir" können uns teure Lebensmittel nicht leisten? Ein Irrglaube! Mit dem Konsum von aufgeblasenen Luxusprodukten sägen wir ganz klar an dem Ast, auf dem wir alle sitzen. Die Politik setzt mit ihrer Effizienz-und-Wachstums-Ideologie fortlaufend die falschen Signale!

^Die Lösung liegt im Handwerk? Was verstehen Sie unter handwerklicher Verarbeitung?

Bei wirklich handwerklicher Verarbeitung werden die Herstellungsverfahren - auf der Basis des Zusammenspiels von Wissen, Erfahrung und handwerklichen Fertigkeiten - an die Rohstoffqualität angepasst. Dieser Dreiklang bildet die Grundlage für unsere Souveränität als LebensmittelhandwerkerInnen. Nach meinem Selbstverständnis als Bäckermeisterin gehört dazu, dass in die Gebäcke nichts reinkommt, was da nicht reingehört.

Bäcker, die ihr Handwerk verstehen, sind also in der Lage, mit proteinschwächerem Getreide gute Brote und Backwaren herzustellen?

Mit einer angepassten Herstellungstechnik können wir uns auf diese Rohstoffe einstellen. Qualitätsschwankungen, die insbesondere dann auftreten, wenn wir mit wechselnden Qualitätsprofilen regionaler Rohware klarkommen müssen, lassen sich jedoch in kleineren Betrieben kommunizieren. Brot mit höherem, also angemessenem Preis lässt sich dann gut verkaufen, wenn der Bäcker nachvollziehbar darstellen kann, was die Qualität seiner Brote ausmacht! Kunden z. B. auf den Acker, in die Mühle oder in die Backstube mitzunehmen bedeutet allerdings mehr Arbeit. Uns wäre geholfen, wenn wir bei dieser "Bildungsarbeit" Unterstützung durch die Politik erhalten würden. Das Thema 'Ernährung' gehört endlich wieder in die Kindergärten und Schulen! Wissen und Erfahrung bilden die Grundlage für die Wertschätzung unserer Lebensmittel und damit auch für deren Erzeuger und Hersteller.

Welche Rolle spielen Mühlen bei der Belieferung mit regionaler Rohware?

Für Bäcker, die auf regionale, nachhaltig erzeugte Rohstoffe Wert legen, ist die Existenz von regionalen, kleineren, dafür aber flexiblen Mühlen von großer Bedeutung.

Ein Schlusswort zur Organisation "Die Bäcker"?

Wir wollen gutes, gesundes Brot für alle backen - nicht nur für die, die es sich leisten können. Es ist Zeit umzudenken und gemeinsam umzulenken. Wir brauchen neue, lokale/regionale und nachhaltige Versorgungssysteme. Dazu gehören auch viele neue kleine Bäckereien in den Orten, in denen es keine Arbeitsplätze und keine lebendige Gemeinsamkeit mehr gibt. Neue Wege werden bereits markiert - von Initiativen wie der Solidarischen Landwirtschaft, Food Assembly, den biologischen Pflanzenzüchtern, der Transition-Town-Bewegung, dem Terra-Madre-Netzwerk und der Initiative 10.000 Gärten für Afrika u.v.m. Wir müssen unsere Geschicke gemeinsam in die Hände nehmen.

Vielen Danke für das Gespräch


Bäckermeisterin Anke Kähler, ist Vorstandsvorsitzende im Verein Die Bäcker

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 388 - Mai 2015, S. 3
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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(verbilligt auf Antrag 28,40 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juli 2015

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