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FRAGEN/027: Hofzertifizierung durch lokale Netzwerke in Frankreich (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 386 - März 2015
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Hofzertifizierung durch lokale Netzwerke in Frankreich

Ein Gespräch mit Sophie Vialla und Geoffroy Raout über eine bislang weitgehend unbekannte Zertifizierungsidee

von Rebecca Simon


Unabhängige Bauernstimme: Sie beteiligen sich in Frankreich bei Nature & Progrès (N&P), einer Organisation, die Erzeuger von Lebensmitteln und Konsumenten durch ein Partzipatives Garantiesystem (PGS) eng verknüpft. Auf welche Weise können Sie sich als Konsumenten einbringen?

Sophie Vialla und Geoffroy Raout: N&P ist in Regionalgruppen organisiert. In unserer Gruppe in Gard (Departement in Südfrankreich) haben wir verschiedene Aktivitäten: Verbraucher und Verbraucherinnen sind aufgerufen, an Hofbesuchen teilzunehmen; darüber hinaus machen wir bei Veranstaltungen (z. B. am Tag des Baums) Infostände mit der Zeitschrift "Nature et Progrès" und Büchern. Von Zeit zu Zeit organisieren wir auch pädagogische Mitmachangebote zu Themen wie Bodenleben oder Bienen.

Welche Vorteile sehen die Bauern und Bäuerinnen im PGS im Vergleich zu einer EU-konformen Zertifizierung wie dem französischen Bio-Siegel AB"?

N&P ist finanziell günstiger, was damit zu tun hat, dass es sich nicht um einen Vermarktungsdienst handelt. PGS ermöglicht gegenseitige Unterstützung und Vernetzung. Es geht weniger darum, Normen vorzugehen, sondern mehr darum, sich an die regionalen Besonderheiten anzupassen.

Welchen Prozess muss man durchlaufen, um N&P-Hof zu werden?

Man muss einen Antrag an den N&P-Verband stellen, der an die lokale gemischte Genehmigungs- und Kontrollkommission (COMAC) übermittelt wird. Voraussetzung für eine Aufnahme ist, dass die Bewerberin/der Bewerber die N&P-Richtlinien und die Charta respektiert, in der es insbesondere um gemeinsame Werte geht. Wenn die COMAC ein positives Urteil fällt, wird der Hof als N&P-Mitglied anerkannt.

Was sind die Aufgaben der COMACs?

Diese Kommissionen organisieren die Besuche auf den Höfen und bei den handwerklichen Verarbeitern: Sie organisieren die Planung des Besuchs, an dem mindestens ein Erzeuger und ein Konsument teilnehmen muss. Nach einem Besuch kommt die Besuchsgruppe nochmal zusammen, um gemeinsam zu beraten. Sie studieren die Besuchsberichte, überprüfen, ob das Regelwerk von N&P respektiert wird und übermitteln eine Stellungnahme an die Bundes-COMAC, um die "mention", die Auszeichnung, für den Betrieb zu bekommen.

Ist die Bundes-COMAC die zentrale Struktur von N&P?

Ja. Sie ist die Instanz, die für die Vergabe der "mention" verantwortlich ist. Sie besteht aus Vertretern der lokalen COMACs. Sie kümmert sich um Beschwerdeanträge und achtet darauf, dass die Stellungnahmen der COMACs aufeinander abgestimmt sind.

Wie entscheidet ihr, welche Personen aus den COMAC-Gruppen die Höfe besuchen?

Die Höfe werden jedes Jahr von verschiedenen Leuten besucht - das erlaubt einen neuen Blick und einen neuen Austausch. Anhand der Aufzeichnungen vom vorangegangenen Jahr sieht man, was die anderen angemerkt haben und ob die Verbesserungsvorschläge umgesetzt wurden (falls es welche gab). Aus praktischen Gründen haben wir uns entschieden, dass man unabhängig von der eigenen Erzeugungsrichtung jeden Hof besuchen kann. Sonst würden sich immer die Gleichen besuchen.

Wie laufen die Hofbesuche ab?

Es finden vor allem Gespräche über die fachliche Praxis, über Wissen und offene Fragen statt. Der Besuch unterteilt sich in zwei Abschnitte. Es gibt den administrativen Teil mit der Überprüfung der Flurstücke, den Rechnungen, Wasseranalysen bei bestimmten Betrieben (in der Nähe von Verschmutzungsgebieten, bei Bäckereien ...) und anderen administrativen Dokumenten. Der andere Teil ist für den Besuch der Felder, der Werkstätten usw. Es wurden Checklisten erstellt, die an die Überprüfung der wichtigsten Punkte in Bezug auf die jeweilige Erzeugung erinnern. Wenn technische Fragen nicht beantwortet werden können, werden diese an die COMAC gerichtet, wo es kompetente Leute dafür gibt. Wenn es einen lokalen Konflikt über die Vergabe der "mention" gibt, entscheidet das Bundes-COMAC.

Ist N&P für alle Arten von Höfen interessant?

N&P ist eher an bäuerliche Systeme angepasst, die auf Vielfalt setzen, in der Landwirtschaft ebenso wie in der handwerklichen Verarbeitung.

Gibt es eine Zusammenarbeit zwischen N&P und den Bioverbänden in Frankreich auf lokaler oder nationaler Ebene?

N&P hat zwar einen Sitz bei IFOAM Frankreich, wo auch die offiziellen Bioverbände organisiert sind, und unsere Mitglieder sind oft auch in einem Bioverband, aber auf der strukturellen Ebene gibt es wenig Zusammenarbeit. Mit dem Berufsverband der Heilkräuterproduzenten sind wir hingegen enger verbunden. In Lozère (Departement in Südfrankreich) teilen wir uns sogar eine COMAC.

Welche Impulse für gesellschaftliche Veränderung kann N&P in Frankreich geben?

Wir sind mit neuen sozialen Ansätzen im Umgang miteinander, also flache oder gar keine Hierachien, viel Partizipation des Einzelnen, genauso fest verbunden wie mit der biologischen und bäuerlichen Landwirtschaft. Derzeit sind wir wenig in nationalen Fachgremien präsent und dafür mehr auf dem praktischen Feld, im Erfahrungsaustausch und der Verbreitung der Idee aktiv. Aber vielleicht ist es vermessen, von einem Einfluss auf gesellschaftliche Veränderungen in Frankreich zu sprechen - wir schaffen Bewegung auf lokaler Ebene.

Vielen Dank für das Gespräch!


Das Interview führte Rebecca Simon in Galizien

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Partizipative Garantiesysteme (PGS)

Bei PGS handelt es sich um eine Form der Qualitätssicherung und Gruppenzertifizierung insbesondere für lokale Märkte für Lebensmittel. Basis ist die aktive Teilhabe aller Interessenvertreter auf Grundlage von Vertrauen, sozialen Netzwerken und Wissensaustausch. Gemeinsam werden Leitlinien für die Produktion entwickelt und die Umsetzung durch Hofbesuche überprüft. PGS wird in Ländern der Südhalbkugel häufiger praktiziert als in Europa, jedoch meistens im Zusammenhang mit ökologischer Landwirtschaft bzw. agrarökologischen Methoden. Solche Systeme stellen eine Alternative zu Drittparteienzertifizierungssystemen mit externen Kontrollstellen dar - und könnten z. B. bei Konzepten wie der solidarischen Landwirtschaft genutzt werden. Für die EU-Öko-Zertifizierung sind PGS nicht zulässig. Eine Ausnahme bilden hier so genannte interne Kontrollsysteme für Importe aus Drittstaaten, bei denen eine unabhängige Kontrollstelle die Eigenkontrolle einer Gruppe zahlreicher Kleinbauern entsprechend klar definierter Regeln und Strukturen und mit Hilfe von Stichproben überprüft. Eine der Pionier-Initiativen der 70er Jahre mit PGS ist die französische Organisation "Nature & Progrès" (Natur und Fortschritt), die 2014 ihr fünfzigjähriges Jubiläum feierte. Bei N&P sind 740 Erzeuger, 169 handwerkliche Verarbeiter und 795 Konsumenten Mitglied. An den Hof- bzw. Betriebsbesuchen nehmen auch Vermarkter teil. Mitgliedsbetriebe können ihre Produkte mit einem eigenen Logo, der "mention", auszeichnen.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 386 - März 2015, S. 7
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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Internet: www.bauernstimme.de
 
Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,30 Euro
Abonnementpreis: 39,60 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 28,40 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juni 2015

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