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FRAGEN/026: Stepanie Wild zum Konzept der Solidarischen Landwirtschaft (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 383 - Dezember 2014
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Landwirtschaft im Vordergrund

Fragen von Marcus Nürnberger an Stephanie Wild vom Netzwerk solidarische Landwirtschaft


Unabhängige Bauernstimme: Mit dem Konzept der solidarischenLandwirtschaft wurde ein ganz neues Verhältnis zwischen Produzent und Konsument entwickelt. Was ist das Solidarische an dieser Form der Landwirtschaft? Kann man noch von Produzenten und Verbrauchern sprechen?

Stephanie Wild: Grundlegend ist, dass nicht mehr die Erzeugnisse im Vordergrund stehen, sondern die Landwirtschaft als Ganzes. Dies drückt sich darin aus, dass die jährlichen Betriebskosten eines Hofes bzw. einer Gärtnerei von den Mitgliedern getragen werden. Schwankungen von Marktpreisen und Vermarktungsrisiken spielen keine Rolle mehr. Das solidarische Prinzip findet sich auf mehreren Ebenen wieder: Übernahme der realen Erzeugungskosten und die Möglichkeit der einkommensabhängigen Beitragsbemessung (Solidarität untereinander), die Risikoübernahme z.B. bei Ernteausfällen (Solidarität mit den Produzenten), Berücksichtigung der Bedürfnisse von Tieren, Pflanzen und Böden (Solidarität mit der Umwelt und den nächsten Generationen). Die Verbraucher erhalten Einblick und Beteiligungsmöglichkeit an ihrer Lebensmittelversorgung. Sie werden damit zu Mit-Bauern oder Prosumenten und treten aus ihrer reinen Konsumentenrolle heraus.

Derzeit gibt es 66 Höfe und Gruppen, die Solidarische Landwirtschaft machen. In Deutschland hat es diese Art der Landwirtschaft Ende der achtziger Jahre auf den ersten Höfen gegeben. Sicherlich sind die Betriebe und Gruppen in ihren Strukturen unterschiedlich. Was sind die gemeinsamen, die verbindenden Elemente?

Gemeinsam ist allen die Wertschätzung der Leistungen einer überschaubaren, nachhaltigen Form der Landwirtschaft und die daraus resultierende Qualität der Lebensmittel. Zu wissen, woher das eigene Essen kommt, vom wem und wie es produziert wurde, wird heute als Luxus empfunden und als positive Handlungsoption in Anbetracht der global-industriellen Lebensmittelherstellung. Konkret bedeutet dies die verbindliche Beteiligung für mindestens ein Jahr, die Mitorganisation der Verteilung der Erzeugnisse und ein hohes Maß an Kommunikationsbereitschaft auf beiden Seiten. Viele Mitglieder beginnen sich mit "ihrem Hof" zu identifizieren.

Das Besondere der Solawis ist ja, dass nicht für die Produkte bezahlt wird, sondern die Arbeit zu deren Herstellung angemessen entlohnt wird. Am Ende wird die Ernte dann unter allen Mitgliedern aufgeteilt. Ist es nicht für viele Menschen ungewohnt, in solchen ganz neuen Kategorien zu denken, in denen Geld für einen Wert gegeben wird, der materiell überhaupt nicht zu fassen ist?

Tatsache ist doch, dass wir ständig für Dinge Geld bezahlen, deren wirklichen Preis wir nicht erfassen. Kosten industriell hergestellter Lebensmittel werden "externalisiert", also auf die Umwelt und die sozialen Systeme abgewälzt mit den entsprechenden negativen Folgen. Wieso kann denn eine Weihnachtsgans im Discounter 3 Euro das Kilo kosten und beim Bauern reichen eigentlich nicht mal 10 Euro, um kostendeckend zu sein? In der Solidarischen Landwirtschaft werden die realen Kosten, auch die Löhne, transparent gemacht. Nicht mehr Teil eines als falsch empfundenen Systems zu sein, ist für viele eine große Motivation, in neuen Kategorien zu denken und zu handeln.

Vor drei Jahren, 2011, wurde das Netzwerk Solidarische Landwirtschaft gegründet. Welches sind die Ziele und Schwerpunkte der Netzwerkarbeit?

Das Netzwerk versteht sich explizit als Zusammenschluss von landwirtschaftlich tätigen Menschen und Einzelpersonen bzw. Verbrauchern. Beide sehen die Notwendigkeit, bäuerliche Betriebe und Ackerland zu erhalten, damit es unter den ökonomischpolitischen Rahmenbedingungen in Zukunft überhaupt noch möglich sein wird; Ernährungssicherheit und Ernährungssouveränität zu erhalten. Das Netzwerk steht für einen Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft und bietet konkrete Unterstützung bei der Gründung von Solidarhöfen an, die diesen Paradigmenwechsel vorleben wollen.

Betrachtet man die Liste mit Solawis in Gründung, wird schnell deutlich, welchen Zulauf die Bewegung aktuell hat. Welche Hilfestellungen gebt ihr als Netzwerk solchen neuen Initiativen?

Zuerst einmal gibt es eine Plattform, an die man sich mit Fragen wenden kann, sei es als interessierter Hof oder als Einzelpenson. Man findet viele Informationen, eine Liste mit Höfen und Initiativen und verschiedene Materialien auf unserer Webseite und diese wird ständig aktualisiert und erweitert. Das Netzwerk verfügt über einen kleinen Stamm von Beratern, über Arbeitsgruppen zu bestimmten Themen und organisiert den Wissenstransfer u.a mit einem monatlichen Newsletter und und zwei großen Tagungen im Jahr.

Vielen Dank für das Gespräch!

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 383 - Dezember 2014, S. 20
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
Telefon: 02381/49 22 20, Fax: 02381/49 22 21
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(verbilligt auf Antrag 28,40 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. März 2015

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