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FRAGEN/025: Der kanadische Farmer Terry Boehm über Inlandsmärkte und Handelsabkommen (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 383 - Dezember 2014
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

"Wir arbeiten unabhängig von internationalen Milchpreisen"
Der kanadische Farmer Terry Boehm im Gespräch über Inlandsmärkte und Auswirkungen internationaler Handelsabkommen

Von Christine Weißenberg


Unabhängige Bauernstimme: Sie sind Bauer und engagieren sich in der National Farmers Union (NFU) politisch gegen das geplante Kanada-EU-Freihandelsabkommen (CETA). Was für einen Betrieb haben Sie und wie ist die Marktsituation?

Terry Boehm: Ich bin Ackerbauer und wirtschafte in Westkanada, in der Provinz Saskatchewan. Meine Farm ist 4.000 Acre groß - das entspricht etwa 2.000 Hektar - und ich baue Weizen, Gerste, Roggen, gvo-freien Raps, Lein, gelben Senf, Erbsen und Linsen an. Mein Vater, der 81 Jahre alt ist, und meine Mutter helfen auf dem Betrieb. Die Regierung hat vor kurzem das Kanadische Weizen Board zerstört, eine von Farmern geleitete Vermarktungsorganisation, so dass nun zunehmend multinationale Getreidehandelsunternehmen den Markt beherrschen. Mein Betrieb liegt 1.600 Kilometer vom nächsten Hafen, und der Transport per Güterzug ist sehr wichtig, da wir den Großteil unseres Getreides exportieren. Diese Transporte sind einer unserer größten Kostenfaktoren und werden von nur zwei Eisenbahnunternehmen dominiert. Die aktuelle Regierung hat die Absicht, alle institutionellen Vereinbarungen abzuschaffen, die bisher das Marktmachtgefälle zwischen Bauern und diesen großen Unternehmen ausgeglichen haben. Die Preise für unser Getreide sind im Moment sehr niedrig.

Im Milchbereich wird das kanadische System zur Mengenregulierung interessiert von Bauernorganisationen in Europa beobachtet, die sich für eine Mengensteuerung entsprechend der innereuropäischen Nachfrage einsetzen. Können Sie das System kurz beschreiben?

Das kanadische Angebotsmanagementsystem für Milch basiert auf einem regulierten Markt rein für den Inlandsbedarf. Wir haben hohe Zollbarrieren, um Angebote aus dem Ausland abzuhalten. Jede Provinz hat ein Milchboard, das Quoten festlegt und mit den Verarbeitern verhandelt. Regelmäßig werden die durchschnittlichen Erzeugerkosten kalkuliert und eine darüber hinausgehende Gewinnspanne errechnet. Auf diese Weise haben die Bauern ein stabiles Einkommen ohne staatliche Zuschüsse. Die Verarbeiter verfügen über ein stabiles Angebot qualitativ hochwertiger Milch und sind ziemlich zufrieden mit dem System. Die Konsumenten zahlen, verglichen mit Handelspreisen in den USA, im Durchschnitt einen nur leicht höheren Preis. Unter Bauern kann die teurer werdende Milchquote gehandelt werden. Einige Provinzen reservieren einen Teil der Quotenverkäufe für Neueinsteiger. Die Milchboards der einzelnen Provinzen kooperieren miteinander, um kurzzeitige Lieferschwierigkeiten in dem einen oder anderen Gebiet auszugleichen. Wir exportieren keine Milchprodukte und arbeiten unabhängig von internationalen Milchpreisen.

Wo liegt der Milchpreis in Kanada aktuell?

Der durchschnittliche Preis für Rohmilch liegt bei 75 Cent Kanadische Dollar (etwa 53 Eurocent). Ein Anteil von 20 Prozent des Preises richtet sich nach den Preisen in den USA, so dass ein Mischpreis herauskommt.

In den Statements zu CETA sagt die NFU, dass im Agrarbereich insbesondere der Milchsektor betroffen sei und Marktanteile an europäische Ware verlieren wird. Welche Auswirkungen sehen Sie auf die Bauern zukommen?

Der Milchpreis wird letztlich beeinflusst durch die Ausnahmen von unseren Zollbarrieren, wie sie die Regierung im Rahmen von internationalen Handelsabkommen wie CETA verhandelt. So ist z.B. nun eine Einfuhrerlaubnis von Käse und anderen verarbeiteten Milchprodukten vorgesehen, die einer Menge von neun Prozent unseres kanadischen Angebots entspricht. Das ist besorgniserregend, weil es zur Aushöhlung eines sehr erfolgreichen Systems führt.

Befürchten Sie durch CETA auch politischen Druck auf die Milchmengenregulierung?

Viele Politiker und Bürger verstehen nicht, wie das System funktioniert und sind empfänglich für grob vereinfachende, dagegen sprechende Argumente. Ich glaube, dass CETA dazu beitragen wird, den Druck auf das System zu verstärken, weil es international immer wieder von denen angegriffen wird, die sich Zugang zum kanadischen Markt verschaffen wollen. In jeder Verhandlung über Handelsabkommen wird das Angebotsmanagement angegangen. Die EU verhielt sich in diesem Punkt sehr aggressiv.

Wie schätzen Sie die Befürchtungen deutscher Landwirte ein, dass durch CETA und das ähnliche, mit den USA geplante Abkommen TTIP Türen für gentechnisch veränderte Organismen (GVO) geöffnet werden?

Ich glaube, dass jedes Handelsabkommen eigentlich eine Grundsatzerklärung ist, die große multinationale Unternehmen befürwortet. Einige der einflussreichsten davon sind Saatgut, Chemie- und Pharmafirmen, die erheblich in GVO investiert haben. Bayer, Monsanto, Dow und Syngenta nutzen diese Verhandlungen, um ihre Interessen an jeder Ecke voranzubringen. Sie haben in der EU und in Kanada erfolgreich Lobbyismus betrieben. In der Folge wächst der Druck GVO zu billigen kontinuierlich an. Ich denke, dass Gesetze auf europäischer Seite notwendig sind, um den Einzug von GVO zu stoppen. Im Moment glaube ich nicht, dass kanadische gv-Agrargüter drastisch auf den europäischen Markt drängen werden. Denn da unsere Transportkosten so hoch sind, werden wir nicht besonders konkurrenzfähig sein mit den europäischen Bauern, die die gleichen Kulturen gentechnikfrei anbauen.

Welches sind Ihre größten Bedenken für kanadische Bauern CETA betreffend? In den Statements zu CETA steht mehrfach, dass die Souveränität Kanadas gefährdet wird - was meinen Sie damit?

Mit CETA ist es den Regierungen und staatlichen Einrichtungen, wie Schulen, Universitäten und Krankenhäusern, nicht möglich vorrangig lokale Waren und Dienstleistungen zu nutzen. Außerdem macht mir das verstärkte Pochen auf geistige Eigentumsrechte, wie die Privilegien und Patente von Pflanzenzüchtern, Sorgen. Bei CETA sind für die Durchsetzung dieser Rechte sehr scharfe Instrumente vorgesehen. Mutmaßliche Verletzer von geistigen Eigentumsrechten wären der vorsorglichen Sicherstellung ihres Eigentums, dem Einfrieren der Bankkonten und der Weitergabe ihrer Finanzdaten ausgesetzt, bevor die Einzelheiten des Falls vor Gericht verhandelt würden. Die Bauern werden den Ansprüchen der Unternehmen folgen, aus Angst Bankrott zu gehen. Ich glaube, dass die Bauern und alle Bürger viel stärkeren schwankenden ökonomischen Umständen ausgesetzt sein werden. Letztlich höhlen diese Abkommen unsere Demokratien aus, indem sie beschränken, was wir tun oder lassen können, und den Umgang mit Streitpunkten geheimen Prozesskammern überlassen. Das betrifft unsere gesamte Souveränität.

Vielen Dank für das Gespräch!

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Die National Farmers Union (NFU)

Die NFU ist eine kanadische Bauernorganisation, direkt bestehend aus Einzelmitgliedern. Positionen werden auf lokaler und regionaler Ebene entwickelt, dann auf dem nationalen Kongress diskutiert und angenommen, wenn die Delegiertenversammlung zustimmt. Nach Auffassung der NFU sollten kleine und mittelgroße Familienbetriebe die Hauptlebensmittelproduzenten Kanadas sein. Gegründet wurde die NFU 1969 durch einen Zusammenschluss mehrerer kleiner, auf Provinzebene arbeitender Bauernorganisationen. Die NFU ist Gründungsmitglied von Via Campesina und war u.a. an der Einführung der kanadischen Systeme zum Angebotsmanagement von Milch, Geflügelfleisch und Eiern beteiligt. Von 2010 bis 2013 war Terry Boehm Präsident der Organisation.

Die meisten anderen kanadischen Bauernorganisationen nehmen sich nach Einschätzung von Terry Boehm nicht die Zeit, um zu verstehen, was wirklich in CETA enthalten ist und übernehmen blind die Regierungsmeinung, dass dieses Abkommen gut ist und Zugänge zum riesigen europäischen Markt verschafft.

Kooperationen der NFU bestehen mit anderen Organisationen, die zu Via Campesina gehören, und in Europa z.B. mit Friends of the Earth International, ATTAC und GRAIN. ln Kanada läuft u.a. eine enge Zusammenarbeit mit dem Council of Canadians und dem kanadischen Zentrum für Politikalternativen.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 383 - Dezember 2014, S. 14
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft -
Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
Telefon: 02381/49 22 20, Fax: 02381/49 22 21
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Abonnementpreis: 39,60 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 28,40 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Februar 2015

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