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FRAGEN/021: Interview mit Shefali Sharma - Freihandel statt fairer Handel (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 376 - April 2014
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Freihandel statt fairer Handel
Werden bäuerliche Verbraucher-Interessen beim geplanten Freihandelsabkommen USA/EU untergepflügt?

von Annemarie Volling



Die Diskussion um das geplante Freihandelsabkommen USA/EU (TTIP) schlägt immer höhere Wellen. Wie ist die Debatte um Hormonfleisch, Gentechnik, Klonfleisch und Arbeitsbedingungen? Wie steht es um Sonderklägerechte für Konzerne, Transparenz und demokratische Mitbestimmungsrechte? Um diesen Fragen nachzugehen und zu diskutieren, hat die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) die amerikanische Landwirtschafts- und Freihandelsexpertin Shefali Sharma auf eine Rundreise im April nach Deutschland eingeladen. Hier ein Interview:

Unabhängige Bauernstimme: Frau Shefali Sharma, Sie arbeiten bei IATP, einem Institut für Landwirtschafts- und Handelspolitik in Washington, das seit vielen Jahren zu handelspolitischen Entwicklungen arbeitet. Warum setzen Sie sich für den Kampf gegen das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA ein? Was sind Ihre größten Kritikpunkte?

Shefali Sharma: Wir betrachten das geplante Freihandelsabkommen zwischen der USA und der EU als problematisch, da bei den Verhandlungen unternehmerische Interessen auf beiden Seiten des Atlantiks im Vordergrund stehen. Die Verhandlungen finden unter völliger Geheimhaltung statt und der Öffentlichkeit bleibt der Zugang zu den Verhandlungsdokumenten verwehrt. Die USA und die Europäische Kommission möchten die Standards für viele verschiedene Bereiche "harmonisieren" - Bereiche, die sowohl für die Bürger in Europa als auch für US-Bürger von großer Wichtigkeit sind. So werden gerade gemeinsame Standards für Lebensmittelsicherheitsfragen in Bezug auf die Fleischproduktion und Futtermittel diskutiert. Außerdem sind Standards betroffen, die Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt haben. Solche Themen müssen öffentlich diskutiert werden und wir alle haben ein Recht darauf, genau darüber informiert zu werden, welche Vorschläge von wem unterbreitet werden und warum. Erschwerend kommt hinzu, dass wir wissen, dass sowohl die Europäische Kommission als auch die USA ein großes Interesse an einem Streitschlichtungsmechanismus zwischen Investoren und Staat haben. Dieser Mechanismus würde es privaten Unternehmen ermöglichen, Regierungen zu verklagen, wenn sie den Eindruck hätten, dass ihre Profiterwartungen durch Verordnungen unterschritten werden.

Unabhängige Bauernstimme: Wie wird das Abkommen unter Bauern diskutiert? Worin liegen die Interessen der Agrarindustrie?

Shefali Sharma: Eines der Hauptinteressen europäischer Unternehmen besteht darin, in den Vereinigten Staaten auf nationaler und lokaler Ebene Regierungsverträge abzuschließen. Vertreter der lokalen Regierungen und Bürgerrechtsbewegungen arbeiten daran, die Lebensmittelversorgung durch lokale Bauern zu stärken und wollen zudem sichergehen, dass ihre Bemühungen nicht durch das TTIP unterwandert werden.

Wir wissen außerdem, dass die US-amerikanische Agrarindustrie, einschließlich der Fleisch- und Futtermittelindustrie sowie Fast-Food-Ketten daran interessiert sind, die europäischen Standards aufzuweichen, da diese ihrer Gewinnmaximierung im Wege stehen. Dies spiegelt sich ganz deutlich in ihrer öffentlichen Stellungnahme an die US-Regierung im vergangenen Mai wider. Auch die europäischen Unternehmen der Fleisch- und Futtermittelindustrie haben ein Interesse daran, diese Standards aufzuweichen. Dies betrifft Standards zur Lebensmittelsicherheit sowie zu gentechnisch veränderten Nahrungs- und Futtermitteln. Die Agrarindustrie hat auch Interesse am EU-Markt für Fleisch- und Milchprodukte, an gesteigerten Importen billig produzierter US-Geflügelteile und daran, die unterschiedlichen Einfuhrzölle der EU auf Milchprodukte aufzuheben. Aktuell haben 29 US-Organisationen aus dem Landwirtschafts-, Umwelt- und Tierschutzbereich sowie Verbraucherschutz-Organisationen einen offenen Brief an den Handelsbeauftragten der Vereinigten Staaten verfasst und ihre Besorgnis geäußert, dass die Fleisch- und Futtermittelindustrie auf beiden Seiten des Atlantiks mit dem Freihandelsabkommen schädliche Praktiken der Viehzucht, die schwerwiegende Auswirkungen für andere Gebiete der Welt haben, verbreiten, anstatt die Gelegenheit zu nutzen, die Standards zum Gesundheits- und Umweltschutz zu verschärfen.

Unabhängige Bauernstimme: Gibt es Widerstand in der Zivilgesellschaft?

Shefali Sharma: Ja! Auf beiden Seiten des Atlantiks regt sich der Widerstand und es wurden Kampagnen von Bürgerrechtsgruppen ins Leben gerufen, die das Vorgehen der US-Regierung und der EU Kommission kritisch hinterfragen. Nun ist es an der Zeit, dass die Menschen auf diese Probleme aufmerksam gemacht werden und öffentliche Debatten zum Thema geführt werden.

Unabhängige Bauernstimme: Vielen Dank für das Gespräch


Biografie:
Shefali Sharma arbeitet in den Themengebieten internationaler Handel, Lebensmittel- und Agrarpolitik sowie deren Auswirkungen auf die soziale Gerechtigkeit. Sie veröffentlichte diverse Artikel zum Thema bilaterale Freihandelsabkommen und der WTO. In den vergangenen 18 Jahren war sie für verschiedene Organisationen tätig, einschließlich als erste Projektdirektorin des IATP Trade Information Projects in Genf im Jahr 2000, als Südasien-Koordinatorin für das Bank Information Center sowie als Leiterin der Forschungsgruppe für das Third World Network in Delhi.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 376 - April 2014, S. 17
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft -
Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
Telefon: 02381/49 22 20, Fax: 02381/49 22 21
E-Mail: redaktion@bauernstimme.de
Internet: www.bauernstimme.de
 
Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,30 Euro
Abonnementpreis: 39,60 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 28,40 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juli 2014