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FRAGEN/020: Chef des Internationalen Agrarentwicklungsfonds fordert "neue Agrarrevolution" (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 16. April 2014

Landwirtschaft: Mehr Menschen, weniger Ressourcensicherheit - IFAD-Chef Nwanze fordert 'neue Agrarrevolution'

von Silvia Giannelli


Bild: © Juan Manuel Barrero/IPS

IFAD-Präsident Kanayo F. Nwanze
Bild: © Juan Manuel Barrero/IPS

Rom, 16. April 2014 (IPS) - Ende nächsten Jahres läuft die Frist ab, die sich die internationale Gemeinschaft gesetzt hat, um Armut und Hunger mit Hilfe klar umrissener Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) zu beseitigen. Doch noch ist jeder siebte Erdenbürger betroffen, und jeder achte geht mit leerem Magen ins Bett, wie der Internationale Agrarentwicklungsfonds (IFAD) warnt. Nach Ansicht von IFAD-Päsident Kanayo F. Nwanze wird es Zeit für eine "neue Agrarrevolution".

Der IFAD hat mit der UN-Landwirtschaftsorganisation (FAO) und dem Welternährungsprogramm (WFP) fünf Entwicklungsmaxime erarbeitet, die Eingang in die Nachhaltigkeitsziele (SDGs) nach Ablauf der MDGs 2015 finden sollen. Sie waren Anfang April in Rom vorgestellt worden und beinhalten den universellen Nahrungsmittelzugang, die Beseitigung der Unterversorgung in allen ihren Ausprägungen und entschlossene Bemühungen, die Nahrungsmittelproduktionssysteme produktiver, nachhaltiger, resilienter und effizienter zu machen. Darüber hinaus sollen sich die Regierungen dazu verpflichten, die Rolle der kleinbäuerlichen Landwirtschaft zu stärken und die Nahrungsmittelverluste und -verschwendung zu halbieren.

Nwanze erläuterte im Gespräch mit IPS die vielen Herausforderungen und Gefahren, die von ländlicher Armut und Nahrungsmittelunterversorgung sowie einer rasant wachsenden Weltbevölkerung bei gleichzeitiger Erosion der natürlichen Versorgungssysteme ausgehen.

Bild: © Isaiah Esipisu/IPS

Judith Mwikali Musau erzielt mit veredelten Obstbäumen im Osten Kenias gute Erträge
Bild: © Isaiah Esipisu/IPS

IPS: Herr Nwanze, denken Sie nicht, dass es an der Zeit ist, die Strategien zu überdenken, die die MDGs voranbringen sollen?

Kanayo F. Nwanze: Ich denke das nicht nur, ich weiß es. Deshalb treiben wir ja auch die Nachhaltigkeitsziele (SDGs) voran. Die Idee für solche SDGs ist auf der Rio-Konferenz über nachhaltige Entwicklung 2012 aufgekommen. Mit einer neuen Entwicklungsagenda bietet sich mit ihnen die einmalige Gelegenheit, die politischen Strategien, Investitionen und Partnerschaften im Sinne eines nachhaltigen ländlichen Transformationsprozess neu auszurichten.

Beabsichtigt sind neue, inklusivere und nachhaltigere Entwicklungsziele, die für alle Länder gleichermaßen gültig sind. Sobald sie von den Regierungen beschlossen werden, können sie sich an die 2015 ablaufenden MDGs anschließen.

Die Messbarkeit der Umsetzungserfolge wird entscheidend sein, wenn wir das erreichen wollen, was wir uns vorgenommen haben. Wir sprechen deshalb von einer Universalität, die in einem lokalen Zusammenhang stehen muss. Die SDGs wollen für alle Staaten Gültigkeit haben - sowohl für die Entwicklungs- als auch die Industrieländer. Doch bei der Anwendung gilt es die verschiedenen lokalen Realitäten zu berücksichtigen.

IPS: Wie passen die fünf Ziele, die Sie diesen Monat vorgestellt haben, in die Diskussion über die Post-2015-MDGs?

Nwanze: Die vorgeschlagenen Ziele und Indikatoren sind dazu gedacht, den Regierungen ein Instrumentarium an die Hand zu geben, auf das sie zurückgreifen können, wenn sie über Inhalte und Gestalt derjenigen SDGs verhandeln, die mit nachhaltiger Landwirtschaft, Ernährungssicherheit und Ernährungsweisen zu tun haben.

Es handelt sich um fünf Ziele, die von besonderer Bedeutung für den universellen Transformationsprozess sein werden. Sie sind nicht nur ehrgeizig, sondern sollen die universelle Durchführbarkeit unter Berücksichtigung lokaler Besonderheiten sicherstellen. Sie lassen sich in ein konkretes SDG oder in mehrere SDGs einpassen. Jetzt müssen die Regierungen entscheiden, ob und wie sie diese Ziele in die SDGs aufnehmen wollen.

IPS: Warum ist der landwirtschaftliche Aspekt innerhalb der künftigen Entwicklungsziele von so großer Bedeutung?

Nwanze: Auf der einen Seite sehen wir uns mit einem globalen Bevölkerungswachstum konfrontiert. Auf der anderen Seite erleben wir die Erosion der natürlichen Ressourcengrundlage. Das bedeutet, dass mehr Menschen ernährt werden müssen, obwohl Wasser und Agrarland schrumpfen. Zudem wird der Klimawandel die gesamte globale Geographie der Agrar- und Nahrungssysteme verändern.

Es gibt keinen Zweifel daran, dass wir eine neue Agrarrevolution brauchen. Wir müssen den Sektor transformieren, sodass er sein Potenzial zugunsten einer nachhaltigen Entwicklung vollständig entfalten kann.

IPS: Welche Rolle kommt den ländlichen Gebieten bei der Überwindung der Ungleichheit zu?

Nwanze: Die Welt erlebt eine zunehmende Verstädterung. Doch noch immer werden die Menschen, die in den Städten leben, von den Bauern in den ländlichen Gebieten versorgt. Und in diesen ländlichen Regionen leben 76 Prozent aller Armen der Welt.

Wir vom IFAD beobachten, dass die Kluft zwischen Arm und Reich in erster Linie eine Kluft zwischen Land und Stadt ist. Der Landflucht liegt häufig die Ansicht zugrunde, dass das Leben in der Stadt ein Besseres ist. Doch am Ende landen die Menschen in den städtischen Slums. Die Betroffenen verlieren ihren sozialen Zusammenhalt, wie er in den ländlichen Gemeinden üblich ist. Wenn die Landbevölkerung in die Slums kommt, wird sie zu einem Gefahrenherd für soziale Unruhen und Verzweifelung. Man braucht sich doch nur in den Ländern umsehen, in denen der sogenannte Arabische Frühling stattgefunden hat.

IPS: Was gibt es noch für Gründe, die eine Bekämpfung der ländlichen Armut so wichtig macht?

Nwanze: Die ländlichen Gebiete sind die eigentlichen Orte, an denen die Nahrungsmittelproduktion stattfindet. In den Entwicklungsländern stammen 80 oder gar 90 Prozent der Agrarprodukte, von denen sich die jeweiligen Einwohner ernähren, aus den ländlichen Gebieten. Es geht aber nicht nur um Ernährung, sondern auch um Arbeit, um wirtschaftliche Möglichkeiten und soziale Kohäsion.

Wenn wir nicht im Sinne einer landwirtlichen Entwicklung in die ländlichen Gebiete investieren, vernichten wir nicht nur unsere Ernährungssicherheit, sondern auch die Grundpfeiler der nationalen Sicherheit und des globalen Friedens. Wir brauchen doch bloß an die Jahre 2007 und 2008 zu denken, als die Nahrungsmittelpreise in die Höhe schossen und es in 40 Ländern der Welt zu Brotrevolten kam.

Diese Unruhen sind auf das Versäumnis vor 25 bis 30 Jahren zurückzuführen, in die Landwirtschaft zu investieren und den Handel weltweit auszubalancieren. 40 Länder sahen sich mit großen Problemen und Brotrevolten konfrontiert, die zum Sturz der Regierungen in Haiti und Madagaskar führten. Wir haben das alles schon einmal erlebt. Alles wiederholt sich.

IPS: Welche Rolle kommt den Industriestaaten zu, damit diese fünf Ziele erreicht werden?

Nwanze: Allen Ländern kommt eine gleichermaßen wichtige Rolle bei der Umsetzung der SDGs zu - wie immer sie am Ende auch geartet sein mögen. Die Staaten haben erklärt, dass es sich um eine "universelle" Agenda handelt. Sie sieht vor, dass die Verbindlichkeiten der Industriestaaten über die Bereitstellung der öffentlichen Entwicklungshilfe (ODA) hinausgehen.

Wir vom IFAD beobachten, dass unter Entwicklung inzwischen weit mehr verstanden wird als Hilfe. Gemeint sind auch die Fähigkeit zum Selbsterhalt und ein inklusives privatwirtschaftliches Wachstum. So haben sich in Afrika beispielsweise die Einnahmen von 2002 bis 2011 von 141 Milliarden auf 520 Milliarden Dollar gesteigert.

Wir stehen vor einer wahren universellen Herausforderung, die zum einen Eigenverantwortung auf Lokal- und Länderebene und zum anderen eine internationale Zusammenarbeit auf allen Ebenen erforderlich macht. (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/04/agriculture-needs-new-revolution/

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IPS-Tagesdienst vom 16. April 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. April 2014