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FRAGEN/019: Milchbauer Walter Kessler aus Québec zum Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 373 - Januar 2014
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Mit Ausdauer und einem Ziel erreicht man viel
Milchbauer Walter Kessler aus Québec über das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada

von Sonja Korspeter



Unabhängige Bauernstimme: Welche Auswirkungen hat CETA, das Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada, auf die kanadischen Milchbauern? Ist Ihr System der Angebotssteuerung in Gefahr?

Walter Kessler: Wir werden aufgrund des Abkommens ab 2015 zwei Prozent weniger Quote haben. Aktuell werden jährlich 20.000 Tonnen Käse nach Kanada eingeführt, zukünftig werden es 17.000 Tonnen mehr sein. Doch das ist alles. Unser System wird nicht angetastet. 95 Prozent der Milcherzeuger und etwa 80 Prozent der Verbraucher stehen hinter uns. Da brauchen wir uns keine Sorgen zu machen.

Unabhängige Bauernstimme: Das heißt die Stimmung unter den Milcherzeugern ist gut?

Walter Kessler: Ja, auf jeden Fall. Ich war letzte Woche bei der Delegiertenversammlung der Milchbauern von Québec, dem französisch sprachigen Teil Kanadas. Es gab zwar einige Milchbauern, die fanden, dass die Regierung ihr Versprechen, die Milcherzeuger würden von dem Freihandelsabkommen gar nicht betroffen sein, nicht gehalten hätten. Doch mit zwei Prozent weniger Quote sind die Auswirkungen wirklich sehr gering. Es hätte viel schlimmer kommen können.

Unabhängige Bauernstimme: Gibt es eine Entschädigung für die zwei Prozent weniger Milch?

Walter Kessler: Nein, für uns Milcherzeuger gibt es keinen Ausgleich. Aber in Québec haben wir als Milcherzeugerverband (Producteurs de lait du Québec) bei der Regierung angefragt, eine Kompensation für die Käseverarbeiter einzurichten. Denn die sind schon von den sinkenden Absatzmöglichkeiten betroffen. Die meisten von ihnen verarbeiten weniger als 1.000 Liter Milch am Tag. Da lassen sich sinkende Verkaufszahlen schwerer verkraften.

Unabhängige Bauernstimme: Wie ist der aktuelle Erzeuger-Milchpreis in Kanada?

Walter Kessler: Er beträgt 76 kanadische Cents, das entspricht 52 Eurocents. Doch das sagt nichts aus, denn die Wechselkurse schwanken ja ständig, und sowohl Produktionskosten als auch Lebenshaltungskosten sind in Kanada anders als in den Ländern der EU. Entscheidend ist doch die Preisentwicklung der letzten Jahre. Seit 17 Jahren ist der Milchpreis in Kanada nie rückläufig gewesen. In 2012 ist er konstant geblieben, in 2013 um einen Cent gestiegen. Und das braucht es auch, da unsere Produktionskosten beständig steigen. Doch es ist ein ständiges Verhandeln mit der Milchindustrie. Sie findet aktuell, dass die Milcherzeuger den Absatz von fettfreien Feststoffen, die übrig bleiben, finanziell mittragen sollen. Doch wir verkaufen unsere Milch; was die Milchindustrie dann daraus macht ist ihre Sache. Und es ist ihre Aufgabe zu schauen, wie sie die Vermarktung hinkriegen.

Unabhängige Bauernstimme: Was sind Ihre nächsten Schritte als kanadischer Milcherzeugerverband?

Walter Kessler: Wir haben schon die Freihandelsgespräche der Regierung mit Neuseeland und Australien im Blick. Diese Länder werden weit mehr als die EU darauf pochen, den Handel mit Agrarprodukten zu liberalisieren, da ihr Export vor allem aus solchen besteht. Wir haben unserer Regierung deutlich gemacht, diese zwei Prozent mehr Einfuhr sind in Ordnung, aber dass wir es sicher nicht akzeptieren, wenn jetzt noch einmal fünf Prozent aus Australien und Neuseeland dazu kommen. Das schwierige an diesen internationalen Freihandelsabkommen ist immer, dass sie hinter verschlossenen Türen stattfinden und wir nicht direkt mit am Tisch sitzen.

Unabhängige Bauernstimme: Wie nehmen Sie dann Einfluss auf die Politik?

Walter Kessler: Ein wichtiges Element sind unsere Parlamentarier-Besuche. Wir versuchen jedes Jahr zweimal mit jedem politischen Abgeordneten zu sprechen. Für mindestens eine halbe Stunde suchen wir sie auf und nehmen ordnervoll Informationen über das System der Milchmengen-Steuerung mit. Diese Treffen sind sehr wichtig, denn viele kennen das System nicht richtig und haben dann richtige Aha-Erlebnisse. Und zu diesen Gesprächen gehen nicht unsere Mitarbeiter sondern wir Bauern selber. Jeder zu den Abgeordneten aus seiner Region. Das heißt, die Parlamentarier werden von ihren eigenen Leuten besucht, also den Leuten, die sie auch wählen sollen.

Unabhängige Bauernstimme: Sie waren gestern (5.12.2013) bei einer Versammlung Schweizerischer Milchbauern. Was war Ihr Eindruck?

Walter Kessler: Die Stimmung in der BIG-M-Versammlung war gut. Und ich glaube, dass die Bauern, die anwesend waren, auch für ihre Sache einstehen werden. Doch ich habe in meinen Gesprächen hier in der Schweiz auch Resignation gehört. Und das verstehe ich nicht. Denn man kann immer etwas erreichen. Man muss einfach ein klares Ziel haben und Vertrauen, und all seine Schritte und Entscheidungen auf dieses Ziel hin ausrichten. Und dann geht vielleicht auch wieder eine Tür auf, die vorher fest verschlossen war.

Unabhängige Bauernstimme: Die Bauern hier sollten also mehr Mut haben?

Walter Kessler: Ich will gar keine Ratschläge geben. Das ist sicher nicht meine Aufgabe. Aber unsere Erfahrung in Kanada ist, dass die Einigkeit der Bauern untereinander das entscheidende ist. Man muss der Politik gegenüber gemeinsam auftreten. Ist man zersplittert, dann entwickelt man keine Kraft. Die 38 Produzentenorganisationen in der Schweiz, aber auch die vielen verschiedenen Gruppierungen in den Ländern der EU, sind deshalb aus meiner Sicht ein Problem. Doch geeint kann man viel bewegen. Uns hat man schon vor Jahren gesagt, dass wir unser System nicht werden halten können. Doch wir konnten uns immer entsprechend anpassen und bestehen auch unter der WTO heute weiter. Uns gibt es immer noch. Die kommenden Freihandelsabkommen werden wir ebenso händeln können, wenn wir weiter zusammenhalten.

Unabhängige Bauernstimme: Vielen Dank für das Gespräch!


Betriebsporträt:
Milchviehbetrieb 60 km
südlich von Montréal in Québec
200 ha Land
90 Milchkühe
2 Melkroboter, Boxenlaufstall
85 kg Butterfett-Quote,
ca. 600.000 1 Milch

Hintergrund:
EU-Kommissions-Präsident José Manuel Barroso und der kanadische Premierminister Stephen Harper haben Mitte Oktober eine politische Vereinbarung über die Schlüsselelemente des Wirtschafts- und Handelsabkommens (Comprehensive Economic and Trade Agreement, Ceta) zwischen der EU und Kanada erzielt. Vor der Inkraftsetzung muss das Abkommen auf beiden Seiten politisch noch gebilligt werden, was in der EU das Einverständnis der Mitgliedstaaten und des EU-Parlaments erfordert.
99 Prozent aller Zölle werden völlig eliminiert, zum größten Teil bereits mit Inkraftsetzung des Ceta. Doch es gibt Ausnahmen, die vor allem Agrarprodukte und verarbeitete landwirtschaftliche Produkte betreffen, die für die eine oder andere Seite politisch besonders heikel sind. Die Einfuhr von europäischem Käse nach Kanada sowie der Import von kanadischem Rindfleisch, Schweinefleisch und Mais in die EU werden nur schrittweise über die Gewährung von Zollkontingenten für bestimmte Mengen liberalisiert.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 373 - Januar 2014, S. 7
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,30 Euro
Abonnementpreis: 39,60 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 28,40 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. März 2014