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FRAGEN/017: Was tun, wenn die Milch überläuft? (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 364 - März 2013
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Was tun, wenn die Milch überläuft?
Bernd Voß, Bundesvorsitzender der AbL, im Gespräch zu Milchpolitik und Mengenregulierung

von Christine Weißenberg



Unabhängige Bauernstimme: In einer neuen Studie wurden für Herbst 2012 Milcherzeugungskosten von 43 bis 51 Cent pro Liter Milch je nach Region ermittelt (die Bauernstimme 02-2013 berichtete). Demgegenüber stand für den gleichen Zeitraum ein durchschnittlicher Milchauszahlungs preis der Molkereien von 32 Cent. Wie überleben das die Betriebe überhaupt?

Bernd Voß: Schlussendlich, indem sie für einen viel geringeren Stundenlohn arbeiten, als er in der Studie angesetzt ist. In Familienbetrieben arbeiten meist alle verfügbaren Personen verschiedener Generationen mit. Und teilweise spielen eben auch kostengünstige Arbeitskräfte aus z.B. Osteuropa eine Rolle. Außerdem ist vieles schon abgeschrieben, und es wird nicht re-investiert, sondern von der Substanz gelebt. Das wird in den kommenden Jahren als Problem für die Betriebe erheblich deutlicher werden, wenn z.B. Anpassungen der Düngemittelverordnung in der Umsetzung Investitionen nötig machen - Stichworte Gülle, Jauche, Sickersaft. Es braucht eben auskömmliche Preise, um Standards erfüllen zu können.

Unabhängige Bauernstimme: Diese Forderung steht ja schon lange im Raum, aber wie kann sie erreicht werden? Geht es.da voran?

Bernd Voß: Durchaus - da ist Bewegung drin: Der Agrarausschuss des Europäischen Parlaments hat kürzlich eine neue Marktregel in die Vorschläge der EU-Agrarreform aufgenommen. Bei schweren Ungleichgewichten auf dem Milchmarkt will man eine Prämie an Betriebe auszahlen, die mindestens drei Monate lang mindestens fünf Prozent weniger Milch als im entsprechenden Vorjahreszeitraum abliefern. Als zweiter Teil dieser Maßnahme sollen Betriebe, die im gleichen Zeitraum ihre Produktion um über fünf Prozent ausgedehnt haben, eine Abgabe zahlen. Das ist grundsätzlich ein kluges und flexibles Instrument zur Anpassung des Milchangebots an die jeweilige Nachfrage des Marktes. Anders als für die Milchindustrie macht es für die Bauern keinen Sinn, Milch-Überschüsse zu erzeugen, weil die immer zu einem Verfall der Erzeugerpreise führen.

Unabhängige Bauernstimme: Wann wurde dieser belohnte Lieferverzicht denn zum Einsatz kommen?

Bernd Voß: Die genaue Ausgestaltung soll der EU Kommission überlassen sein. Sie soll dabei jedoch die Entwicklung der Produktionskosten, insbesondere der Betriebsmittelkosten, mit einbeziehen. Hier ist die Debatte eröffnet, wie früh die Maßnahme greifen und welches Preisniveau sie sichern soll.

Ein ganz anderes Instrument, das nach wie vor enthalten ist und immer erst bei einem absoluten Harakiri-Preis von um die 20 Cent pro Liter Milch greift, ist die Intervention. Das ist eine Maßnahme, die letztlich nur der Milchindustrie und überhaupt nicht nachhaltig den Bäuerinnen und Bauern dient. Der Vorstoß der Parlamentarier zeigt aber, dass die Debatte um Instrumente für eine Anpassung der Milchmenge an den Markt bei Weitem nicht zu Ende ist. Da sehe ich eine gute Chance, dass europaweite Beschlüsse in diesem Sinne zustande kommen. Denn so wie das Milchpaket der EU bisher ausgestaltet ist, reicht es nicht aus für die Milchbauern.

Unabhängige Bauernstimme: Welche weiteren Vorschläge und Handlungsmöglichkeiten liegen denn auf dem Tisch?

Bernd Voß: Eine alte Forderung ist ja die Einrichtung einer öffentlichen Monitoringstelle, die europaweit laufend Kosten und Preise des Sektors verfolgt, damit man auch weiss, was man tut und z.B. mit der gerade beschriebenen Prämie zur Überschuss-Vermeidung rechtzeitig eingreifen kann.

Dann geht es nach wie vor um die Bündelung von Milchmengen. Da müsste sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene ein erheblich höherer Bündelungsgrad als derzeit zugebilligt möglich sein. Die andere Seite ist, dass die Bauern dieses Instrument natürlich auch aufgreifen und sich organisieren müssen. Hier sieht der bisherige Agrarreformvorschlag für die Programme der ländlichen Entwicklung (ELER) einen sehr hohen Kofinanzierungsanteil der EU von 80 Prozent für die Unterstützung von Erzeugergemeinschaften und Informationsnetzwerken vor. Ob diese Maßnahme in Deutschland angeboten wird, hängt von den Ländern und ihren Prioritäten und Finanzmitteln ab. Es entspräche den Zielsetzungen der EU, wenn die MilcherzeugerInnen in die Lage versetzt werden, selbstorganisiert die Mengenregulierung in die Hand zu nehmen. Ansonsten werden die Molkereien bis 2015 zum Auslaufen der Milchquote eigene Liefermodelle entwickeln und versuchen, die Mengen in ihrem Sinne zu steuern.

Unabhängige Bauernstimme: Das hat teilweise schon begonnen, in Österreich schlägt z.B. die "Berglandmilch" die Beibehaltung der Quoten samt Strafabgaben bei Überlieferung vor. Das ist eine Form der Mengensteuerung.

Bernd Voß: Ja, aber festgelegt von der Abnehmerseite, die sich bisher nur in Ausnahmefällen als Marktpartner auf Augenhöhe mit den Milcherzeugern hervorgetan hat. Das Interesse bezieht sich dort auf verlässlich verfügbare und möglichst günstige Rohstoffe. Die Lieferanten sollen durch solche Molkereiquoten an die Molkerei gebunden werden. Dagegen kommen die Milcherzeuger nur an, wenn sie sich zu starken unabhängigen Erzeugergemeinschaften zusammenschließen und auskömmliche Milchpreise für die Betriebe durchsetzen.

Unabhängige Bauernstimme: Wie könnte denn eine für die Betriebe wirksame Regelung aussehen?

Bernd Voß: Der AbL-Bundesvorstand hat in den vergangenen Jahren immer wieder auf die verzerrende Preisgestaltung der Molkereien hingewiesen und sie aufgefordert, diese interne Preisstaffelung mit Zuschlägen für große Erzeugungsmengen umzudrehen. Denn diese Praxis wird nicht nur von den kleineren und mittleren Betrieben direkt bezahlt, sondern wirkt zudem als Anreiz für stark wachsende Betriebe und führt damit zu einem Überangebot an Milch. Dieses kann in der Folge nicht kostendeckend abgesetzt werden und führt zu Tiefstpreisen in der Auszahlung für alle Milchviehbetriebe. Stattdessen sollte eine stabile, hohe Grundmengenvergütung erwogen werden - beispielsweise für die ersten 50.000 bis 100.000 Liter Milch mindestens 40 Cent. Das richtet sich nicht an die Politik, sondern an die Molkereiunternehmen. Die sind an dieser Stelle auch in die Pflicht zu nehmen, wo sie ansonsten viel davon reden, wie wichtig der Erhalt der Betriebe in der Fläche sei, und sich im Marketing mit Bildern von bäuerlichen Höfen schmücken.

Unabhängige Bauernstimme: Vielen Dank für das Gespräch.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 364 - März 2013, S. 12
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Mai 2013