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FRAGEN/012: Neuer Lateinamerika-Chef der FAO Raúl Benítez im Interview (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. Juli 2012

Lateinamerika: 'Mit kleinbäuerlicher Landwirtschaft gegen den Hunger' - Neuer Lateinamerika-Chef der FAO im Interview

von Marianela Jarroud


Raúl Benítez - Bild: © Marianela Jarroud/IPS

Raúl Benítez
Bild: © Marianela Jarroud/IPS

Santiago de Chile, 9. Juli (IPS) - "Ein Ende des Hungers ist keine Utopie, sondern sehr gut möglich", sagt Raúl Benítez, der neue Lateinamerika-Chef der Welternährungsorganisation FAO im IPS-Gespräch. Er sieht in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft den Ausweg aus der Ernährungskrise, besondere Unterstützung benötigten dabei Indigene und Frauen.

Darüber hinaus erklärte Benítez, der Markt dürfe nicht allein die Preise für Nahrungsmittel bestimmen. Der Staat müsse regulierend eingreifen, um beispielsweise Preisverzerrungen zu korrigieren.

IPS: Was muss getan werden, damit sich die Inflation der Nahrungsmittelpreise nicht negativ auf die Volkswirtschaften der lateinamerikanischen und karibischen Staaten auswirkt?

Raúl Benítez: Der Preis für die meisten Lebensmittel ist in den vergangenen Monaten glücklicherweise wieder gesunken. Wenn man sich die Produktionsketten anschaut, kann man allerdings feststellen, dass niedrigere Preise für Primärprodukte nicht gleich niedrigere Preise in den Regalen der Supermärkte und Einzelhändler bedeuten. Umgekehrt ist es genauso. Das müssen wir verbessern: Der Produzent sollte bessere Preise erzielen, der Konsument aber weniger zahlen müssen.

IPS: Sollte ausschließlich der Markt die Nahrungsmittelpreise regeln?

Benítez: Definitiv nicht. Der Markt ist ein Werkzeug der Wirtschaft. Ich denke schon, dass es nützlich ist, sich auf dieses mächtige Werkzeug zu stützen. Allerdings kann der Markt nicht alle unsere Probleme lösen. Das heißt, dass der Staat unbedingt eingreifen muss, um Unregelmäßigkeiten wie Preisverzerrungen auszugleichen.

Es ist falsch zu sagen: entweder Staat oder Markt. Meiner Ansicht nach ist eine Ökonomie des Marktes sehr wohl kompatibel mit einem starken Staat, der die Asymmetrien beseitigt, die der Markt erzeugt.

IPS: Inwiefern wirkt sich der Klimawandel auf die Nahrungsmittelsicherheit aus?

Benítez: Wir müssen uns darüber bewusst sein, dass wir eine grünere Landwirtschaft brauchen - das heißt, wir müssen sehr vorsichtig sein, was die Produktion angeht.

Wichtig sind Themen wie die Direktsaat [bei der direkt nach der Ernte in den unbearbeiteten Boden ausgesät wird - die Reste der letzten Ernte verbleiben als Mulch auf dem Feld; Anmerkung der Redaktion], aber auch Biomasse zur Stromerzeugung. Wir müssen auch darauf achten, weniger Wasser zu verschwenden. Es gibt bereits eine Reihe von Initiativen in der Region, um Wasser intelligenter zu nutzen - neue Technologien werden eingesetzt und alte aufgerüstet.

IPS: Was sagen Sie zum Ausgang des UN-Gipfels zur nachhaltigen Entwicklung Rio+20?

Benítez: Für mich war der Gipfel eine gute Sache, vor allem, weil er eine Agenda verfolgt hat, die vor 20 Jahren beschlossen und seitdem weiterentwickelt worden ist. Es ist wichtig, diese Themen auf der politischen Agenda zu halten, damit wir nicht vergessen, dass wir alle in einem Boot sitzen und uns die Umweltprobleme gleichermaßen betreffen.

Auch sehe ich es als gutes Vorzeichen, dass die FAO zum ersten Mal zum G-20-Gipfel Mitte Juni eingeladen worden ist. Die Deklaration, die dort verabschiedet wurde, war für die Ernährungssicherheit auf jeden Fall wichtig - ein Meilenstein in der Geschichte dieser Gipfeltreffen.

IPS: Wie steht die FAO zu genetisch veränderten Lebensmitteln?

Benítez: Wir respektieren in erster Linie die Positionen der verschiedenen Länder. In einigen wurde die Produktion erheblich gesteigert.

IPS: Die FAO hat das Jahr 2013 zum Jahr der Quinoa-Pflanze ausgerufen. Was wollen Sie mit dieser Kampagne erreichen?

Benítez: Quinoa gibt es in Lateinamerika bereits seit mehr als 1.000 Jahren, allerdings haben wir die Kulturpflanze in den vergangenen Jahrzehnten weitestgehend ignoriert. Sie hat aber viele gute Fähigkeiten und Eigenschaften.

Mit der Unterstützung des gesamten UN-Apparats wollen wir die Produktion wieder in Gang bringen, sodass möglichst viele Menschen Quinoa anpflanzen und verzehren können. Die Blätter und Samen sind reich an Nährstoffen und weisen eine besonders hohe Protein- und Mineraldichte auf.

IPS: Was halten Sie von der Initiative 'Lateinamerika ohne Hunger'?

Benítez: Das ist eine wichtige Initiative, die uns als Region zu etwas Besonderem macht. Und nicht nur die Regierungen sind daran beteiligt, sondern auch die Parlamente.

Es hat auch schon große Fortschritte gegeben. Klar müssen wir noch mehr im Kampf gegen den Hunger unternehmen. Aber es ist möglich, den Hunger auszurotten. Allerdings ist es wichtig, das Thema ständig auf der politischen Agenda zu halten.

IPS: Für viele Menschen ist die Ausrottung des Hungers eine Utopie. Welche Formel würden Sie aufstellen, um dieses Ziel zu erreichen?

Benítez: Die Hungerbekämpfung ist keine Utopie, sondern ein erreichbares Ziel. Das heißt nicht, dass es leicht werden wird. Auf jeden Fall brauchen wir die Unterstützung von allen Menschen.

Wir produzieren viel mehr Lebensmittel als wir benötigen, um alle Menschen auf der Erde zu ernähren. Wir verlieren alleine 30 Prozent durch Verschwendung. Die Frage bleibt: Wie verteilen wir die Nahrungsmittel besser, damit nicht ein Teil der Menschen in Lateinamerika und anderswo auf der Welt hungern muss? (Ende/IPS/jt/2012)


Links:

http://www.fao.org/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=101124

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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juli 2012