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FRAGEN/010: Wie die ostdeutsche Landwirtschaft zu einem Erfolgsmodell wurde (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 132/Juni 2011
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Effizienz auf großen Flächen

Wie die ostdeutsche Landwirtschaft zu einem Erfolgsmodell wurde


Der amerikanische Soziologe Joachim Singelmann hat den Wandlungsprozess in Ostdeutschland seit der deutschen Wiedervereinigung untersucht. Singelmann ist gebürtiger Hamburger, aber lebt schon lange in den USA. Ein Ergebnis seiner langjährigen Forschungen: In der Frauenerwerbsarbeit und der Landwirtschaft ist der Osten besser aufgestellt als der Westen. Kerstin Schneider sprach mit dem WZB-Gast über die positive Entwicklung der ostdeutschen Landwirtschaft nach der Wende.


FRAGE: Von 1990 bis 2009 haben Sie die Folgen der Wiedervereinigung im thüringischen Landkreis Eisenberg untersucht. Wie sind Sie zu diesem Thema gekommen?

JOACHIM SINGELMANN: Nicht viele Generationen werden Zeitzeugen eines Systemwandels. Das wollte ich nutzen. Ich bin 1990 nach Ostdeutschland gefahren und habe dort herausgefunden, dass sich zwar viele Wissenschaftler mit der DDR beschäftigten und Umfragen machten, es aber keine lokal vertiefende Langzeitstudie gab. Das war dann mein Forschungsansatz, mit dem ich einen Beitrag zur Erkenntnis des Transformationsprozesses nach der Wende leisten wollte.

FRAGE: Ein Thema Ihrer Untersuchung war der Weg der ostdeutschen Landwirtschaft von der Plan- zur Marktwirtschaft. Sie ist im Laufe der Jahre zum Erfolgsmodell geworden. Warum?

JOACHIM SINGELMANN: Das Erfolgsmodell beruht auf der Agrarstruktur, die man in Ostdeutschland heute findet. Sie ist das Resultat der Flächennutzung aus DDR-Zeiten. Es gab in der DDR landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPGs) mit relativ großen Flächen. Die Größenordnung dieser Flächen hat sich nach der Vereinigung nicht sehr verändert.

FRAGE: Wie groß müssen denn die Flächen sein, um wirtschaftlich arbeiten zu können?

JOACHIM SINGELMANN: Es werden Flächen von etwa 2.000 Hektar gebraucht. Das sind weitaus größere Gebiete als in Westdeutschland.

FRAGE: Warum hat sich der Osten nicht der westdeutschen Agrarstruktur angepasst?

JOACHIM SINGELMANN: Trotz der Versuche der damaligen Kohl-Regierung, nach der Wende Familienhöfe durch bessere Bedingungen und Kreditversprechen zu fördern, wollten wenige Leute "Wiedereinrichter" werden und das Land selbst bewirtschaften, über dessen Nutzung sie nach der Wende wieder frei entscheiden konnten. Und nur wenige wollten neu als Bauern anfangen. Viele Menschen haben ihr Land gleich nach der Wiedervereinigung bzw. mit der Anwendung des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes von 1991 wieder an die ehemaligen LPGs verpachtet.

FRAGE: Welche ökonomischen Modelle sind nach der Wende in der ostdeutschen Landwirtschaft entstanden?

JOACHIM SINGELMANN: Es gibt vor allem Agrargenossenschaften, aber auch GmbHs, Aktiengesellschaften und einige Wiedereinrichter.

FRAGE: Welche der Organisationsformen sind am erfolgreichsten?

JOACHIM SINGELMANN: Unter den zehn Betrieben, die ich untersucht habe, lässt sich keine Beziehung zwischen Typus und Erfolg feststellen. Es hängt mehr davon ab, wie gut die Manager dieser Agrarbetriebe sind.

FRAGE: Zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung waren die Bedingungen der DDR-Landwirtschaft besser als die der DDR-Industrie. Warum?

JOACHIM SINGELMANN: In der Landwirtschaft wurden die Entscheidungen lokal gefällt. Es gab kein Stück Land, über das in Berlin zentral entschieden wurde. Denn die Zwangskollektivierung der DDR-Landwirtschaft bedeutete nie, dass die Menschen ganz enteignet wurden. Auch zu DDR-Zeiten war klar, wem das Land gehörte. Was enteignet wurde, war die Nutzung des Landes.

FRAGE: Die LPGs hatten nach der Wende Kapital und konnten - anders als die meisten Industriebetriebe - überleben. Wie kam es dazu?

JOACHIM SINGELMANN: Die LPGs konnten schon in der DDR Rücklagen bilden, während die volkseigenen Betriebe in der Industrie am Ende des Jahres ihren Profit abliefern mussten. Diese finanziellen Reserven halfen den LPGs nach der Wende. Denn zwischen der Wende und der Anwendung des Anpassungsgesetzes, als nicht klar war, was aus den LPGs wird, hätte keine Bank den Agrarbetrieben Kredite gegeben. Die Betriebe tauschten ihre finanziellen Reserven dann zur Währungsunion in Deutsche Mark um, womit sie Saat kaufen und ein wenig investieren konnten. Mit ihrem eigenen Kapital haben sie die Zeit überbrückt, bis klar war, ob sie als Agrarbetrieb überleben würden und welche Rechtsform ihr neuer Betrieb führen würde.

FRAGE: Sind die ostdeutschen Landwirte bessere Manager?

JOACHIM SINGELMANN: Die Ostdeutschen sind nicht die besseren Bauern oder Manager. Was die Produktivität der ostdeutschen Landwirtschaft gegenüber der westdeutschen ausmacht, sind wirklich die Flächen. Die Maschinen, die sie für diese großen Flächen kaufen, setzen sie sehr effizient ein. Diese Maschinen sind nach fünf bis sechs Jahren verbraucht, weil sie so intensiv genutzt werden. Daher haben die landwirtschaftlichen Betriebe relativ wenig totes Kapital. Im Westen gibt es jetzt natürlich auch zunehmend Interessenverbände von Agrarbetrieben, die sich zusammen eine Maschine leisten. Aber das Maß der Ausnutzung von Maschinen ist im Osten viel höher als im Westen. Die ostdeutschen Betriebe sind aber auch deswegen produktiver, weil sie mit relativ wenigen Leuten auskommen. Sehr viele Leute haben ihre Jobs verloren.

FRAGE: Was ist aus den früheren Beschäftigten geworden?

JOACHIM SINGELMANN: Ein Teil dieser Leute, die den Arbeitsplatz verloren haben, gehörten als Handwerker zu den Baubrigaden, die jede LPG in der DDR hatte. Diese Handwerker fanden kurz nach der Wende meist sofort Jobs. Der zweite Aspekt ist, dass die Beschäftigtenstruktur in der Landwirtschaft überaltert war; viele arbeiteten weit über das Rentenalter hinaus in den Betrieben und wurden gleich nach der Wende Rentner.

FRAGE: Wie ist die ökonomische Situation heute? Erhalten die ostdeutschen Betriebe auch Subventionen von der Europäischen Union?

JOACHIM SINGELMANN: Wir haben in den Interviews 2009 die Frage gestellt, wie die ostdeutschen Manager von Agrarbetrieben ihre Möglichkeiten innerhalb der EU sehen. Da zeigt sich doch eine ziemlich große Bandbreite. Es gibt Betriebe, die noch ganz auf Agrarproduktion setzen und davon ausgehen, dass sie dabei von der EU gestützt werden. Aber die EU ist jetzt dabei, Gelder umzuschichten. Der Anteil der Förderung der landwirtschaftlichen Produktion und der Subventionierung von Nahrungsmitteln geht zugunsten der Förderung ländlicher Entwicklung zurück. In den Interviews habe ich festgestellt, dass einige Manager diese Entwicklung unterschätzen. Ich vermute, dass diese Betriebe in den nächsten Jahren Schwierigkeiten bekommen werden. Aber es gibt andere Betriebe, die sich auf die neue Entwicklung einstellen. Der Leiter eines Agrarbetriebs sagte mir, dass er auch davon profitiere, wenn zum Beispiel EU-Agrargelder für Handwerkerbetriebe im ländlichen Raum ausgegeben werden, weil dann die Kaufkraft in der Region gestärkt werde.

FRAGE: Erschließen die Betriebe selbst neue Einkommensquellen, um weiterhin EU-Fördermittel zu erhalten?

JOACHIM SINGELMANN: Ja, genauso ist es. Die Betriebe haben diversifiziert; ein Betrieb hat zum Beispiel einen Reiterhof und eine Pferdepension aufgebaut. Ein anderer der thüringischen Agrarbetriebe setzt auf "Ferien auf dem Bauernhof" und hat ein Hotel gebaut. Dafür gab es ja auch Fördermittel. Einige Betriebe engagieren sich in der Landschaftspflege. Auch dieser Einsatz wird finanziell gefördert, denn die EU honoriert zunehmend, dass die landwirtschaftlichen Gebiete als Kulturlandschaften erhaltenswert sind. Denn warum sollen die Bauern eine Landschaft pflegen, die eigentlich die Städter nutzen möchten? Sie erhalten dann meines Erachtens keine Subvention mehr, sondern Entgelt für eine Dienstleistung, die die Gesellschaft gerne haben möchte.

FRAGE: Im Westen wurden in den vergangenen Jahren viele Höfe aufgegeben. Lässt sich das im Osten auch beobachten?

JOACHIM SINGELMANN: Nein. Es ist wahrscheinlich eher so, dass die Zahl der Betriebe zugenommen hat, weil es ja "Wiedereinrichter" gab, die nach der Wende einen Hof gegründet haben. Es gab keine Familienbetriebe zu DDR-Zeiten. Die Zahl der Agrarbetriebe ist jetzt höher als zu DDR-Zeiten.

FRAGE: Haben Sie beobachtet, dass ostdeutsche Methoden in der Landwirtschaft auch vom Westen übernommen wurden?

JOACHIM SINGELMANN: Vor allem die Agrarstruktur - also die Größe der Anbauflächen in Ostdeutschland - könnte Vorbild für den Westen werden. Ich vermute, dass es auch im Westen zunehmend zu einer Konsolidierung der Landwirtschaft kommt, wenn die Betriebe größer werden und sich zusammentun. In Schleswig-Holstein gibt es schon sehr erfolgreiche Genossenschaften.


Joachim Singelmann ist Professor und Chair des Departments of Demography an der University of Texas in San Antonio; bis April war er Professor am Department of Sociology und Direktor des Louisiana Applied Population Lab (LAAPL) an der Louisiana State University. Von September 2010 bis März 2011 war er Gastwissenschaftler am WZB.
Joachim.Singelmann@utsa.edu


Literatur

Singelmann, Joachim: "From Central Planning to Markets: 20 Years of Post Socialist Transformation in an Eastern German County". In: Rural Sociology, Vol. 76, No. 1, 2011, S. 1-20.

Singelmann, Joachim/Siebert, Rosemarie: The Importance of Managerial Capacity for Farm Success in the Context of the EU CAP: A Case Study in Eastern Germany. Vortrag auf dem XVII. World Congress of Sociology, Göteburg, Schweden, Juli 2010.


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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 132, Juni 2011, Seite 29-31
Herausgeberin:
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph.D.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. September 2011