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FRAGEN/007: José Bové - Kosten transparenter machen und Spekulation unterbinden (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 337 - Oktober 2010,
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Kosten transparenter machen und Spekulation unterbinden
Der Europaabgeordnete José Bové im Interview mit der Bauernstimme

Von Marcus Nürnberger


BAUERNSTIMME: In den letzten Jahren hat das Problem der Spekulation mit Agrarrohstoffen extrem zugenommen. Seit wann besteht dieses Interesse?

JOSÉ BOVÉ: Man kann drei Wellen ausmachen. Die erste war im Jahr 2000. Die Spekulationsblase im Technologiesektor hatte zur Folge, dass sich Investmentfonds am Agrarrohstoffmarkt engagiert haben. Das zweite Mal geschah dies während der Immobilienkrise in den USA und der sich anschließenden Finanzkrise 2007/08. Aktuell surft die Finanzwelt auf der dritten Welle.

BAUERNSTIMME: Welchen Einfluss haben die Spekulationen auf die Preise an den Börsen? Sind es nicht auch Exportbeschränkungen, wie die der russischen Regierung anlässlich der verheerenden Brände in diesem Sommer, die die Preise massiv beeinflussen?

JOSÉ BOVÉ: Etwa 93 Prozent der Transaktionen mit Agrarrohstoffen haben derzeit einen spekulativen Charakter. Es gibt nur sieben Prozent, die eine direkte Verbindung zur physischen Produktion haben. Neben der Börsenspekulation gibt es Handelsunternehmen, die direkt mit einzelnen Staaten kooperieren. Die russische Entscheidung, den Getreideexport zu unterbinden, war z.B. eng mit dem Engagement des multinationalen Handelsunternehmens Giencore mit Sitz in der Schweiz verbunden.

BAUERNSTIMME: Die Finanzminister diskutieren seit mehreren Jahren, wie sie die Spekulanten strenger kontrollieren können. Gibt es überhaupt Möglichkeiten, der Spekulation zu begegnen?

JOSÉ BOVÉ: Auch als Reaktion auf die Berichte der FAO und der Vereinigten Staaten, die den Einfluss der Spekulation auf die Preisentwicklung bestätigen, fordert das europäische Parlament sowie einige Mitgliedstaaten, dieses System zu beenden. Es geht darum, die Agrarrohstoffe dem Einfluss der Spekulation zu entziehen. Es muss eindeutig festgelegt werden, dass es kein Recht gibt, mit Agrarrohstoffen herumzuspekulieren.

BAUERNSTIMME: Welche Auswirkungen hat die Spekulation?

JOSÉ BOVÉ: Die Spekulation hat vor allem zwei negative Auswirkungen. Der Anstieg der Rohstoffpreise macht es vielen armen Ländern unmöglich, ihre teilweise hungernde Bevölkerung ausreichend mit Nahrungsmitteln zu versorgen, obwohl genügend Nahrungsmittel verfügbar wären. Zum anderen haben die hohen Preise einen Einfluss auf die Situation innerhalb Europas und zwar bei den Futtermitteln. Hier gibt es zum Teil Preisanstiege um 30 bis 40 Prozent, was dazu führt, dass viele Produzenten, vor allem Schweine- und Geflügelhalter, in finanzielle Not geraten, weil die Erlöse für tierische Produkte weiterhin sehr niedrig sind.

BAUERNSTIMME: Steht eine Regulierung der Spekulation nicht im Widerspruch zu den Bemühungen der EU-Kommission um eine weitere Liberalisierung der Märkte?

JOSÉ BOVÉ: Nein, denn eine Regulation der Spekulationsmärkte hat nichts mit dem Ab- bzw. Ausbau von Exportbeschränkungen zu tun. Spekulation ist ein komplett anderes System, das vom physischen Markt vollkommen losgelöst ist. Wie gesagt: 93 Prozent der Handelsbewegungen haben nichts mit dem tatsächlichen Markt zu tun.

BAUERNSTIMME: Sie haben im Europaparlament einen Initiativbericht eingebracht, der mit einer großen Mehrheit verabschiedet wurde. Ziel ist es, faire Preise für Bauern und Verbraucher zu garantieren. Welches sind die Kernpunkte?

JOSÉ BOVÉ: In dem Bericht geht es um faire Preise für Bauern, eine Preis-Transparenz innerhalb der Lebensmittelkette und eine Unterbindung der Spekulation mit Agrarrohstoffen. In gewisser Weise ist der Bericht eine Richtschnur für die aktuellen Verhandlungen zur GAP Reform.

BAUERNSTIMME: Die Bauern fordern seit langem faire Preise für ihre Produkte. Welche Schritte sind hierzu notwendig?

JOSÉ BOVÉ: Ein wichtiger Punkt ist ein Verbot, Produkte unter dem Erzeugerpreis zu verkaufen. Das ist eine prinzipielle Frage. Heute sollte es den Supermärkten eigentlich verboten sein, unter dem Einkaufspreis zu verkaufen. Das Verbot des Verkaufs mit Verlust sollte auch für die Bauern gelten.

BAUERNSTIMME: Die in Ihrem Bericht geforderte Offenlegung der Produktionskosten und der Handelsspannen der verarbeitenden Unternehmen und der Handelsketten soll auch für die Bauern gelten?

JOSÉ BOVÉ: Das ist ein Hilfsmittel für die Landwirte, um ihre Kosten an die nächste Ebene weitergeben zu können. Ein Bericht der EU-Kommission belegt, dass der Anteil dessen, was die Bauern aus der Wertschöpfungskette noch bekommen, in den vergangenen zehn Jahren von 31 Prozent auf unter 20 Prozent gefallen ist. Das bedeutet, dass das Geld die Höfe verlässt und bei den Verarbeitern oder dem Handel bleibt.

BAUERNSTIMME: Die Kommission hat in einer Analyse bestätigt, dass es innerhalb der Nahrungsmittelkette ein ungleiches Kräfteverhältnis zu Gunsten der verarbeitenden Betriebe und des Handels gibt. In dem von Ihnen initiierten Bericht wird dies aufgegriffen und gefordert, dass dieses Ungleichgewicht beseitigt werden muss. Wie kann man sich das vorstellen?

JOSÉ BOVÉ: Zuerst muss man festhalten, dass man dieses Ungleichgewicht nur dann beenden kann, wenn man in einem ersten Schritt angebotssteuernde Maßnahmen schafft bzw. erhält. Denn selbst wenn man transparente Strukturen geschaffen hat, aber mehr produziert, als der Markt aufnehmen kann, ist man in einer sehr komplizierten Verhandlungsposition. Aus diesem Grund ist auch das Bestreben der Kommission, die Milchquoten abzuschaffen, kontraproduktiv. Vor allem wenn man weiß, dass in den USA die Diskussion um Quoten jetzt in die entgegengesetzte Richtung geht. Der Kongress hat die Frage bezüglich einer Einführung von Milchquoten eingebracht und der amerikanische Landwirtschaftsminister hat sie aufgegriffen. In Europa läuft die Diskussion komplett andersherum.

BAUERNSTIMME: Welcher Maßnahmen bedarf es noch?

JOSÉ BOVÉ: Es geht darum wie die Bauern sich organisieren können, um in eine gute Verhandlungsposition zu kommen. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten z.B. die Organisation in einem Verband oder dass sie sich um die zu beliefernden Firmen gruppieren, wie es die großen Verbände anstreben. Es gibt hier eine wirkliche Auseinandersetzung mit den großen, industrienahen Verbänden. Wenn man diese Strukturen aufbrechen will, braucht man klare Regeln, die Transparenz bezüglich der Preise und der Gewinnmargen schaffen. Sonst wird die Industrie auch weiterhin versuchen, den kleinstmöglichen Preis zu zahlen.

BAUERNSTIMME: Welche Reaktionen gab es von Seiten der EU-Kommission?

JOSÉ BOVÉ: Ciolos hat diesen Bericht aufgegriffen und von seinen Mitarbeitern gefordert, daraus konkrete Vorschläge für die anstehende Gesetzgebung zur Regelung des Wettbewerbs zu machen. Herr Barnier, der für den Wettbewerb auf den innereuropäischen Märkten zuständig ist, muss derzeit darüber befinden, ob es akzeptabel ist, wenn die Produzenten das Angebot steuern. Diese Entscheidung wird eine Schlüsselrolle für die zukünftige Gestaltung des Milchmarkts einnehmen. Die erste Frage, die es zu klären gilt, ist, ob es zulässig ist, dass ein Zusammenschluss von Produzenten das Angebot steuert. In einem zweiten Schritt muss geklärt werden, für wie viel Prozent der Angebotsmenge ein fester Preis garantiert werden darf und für welche Menge der Preis frei am Markt entstehen muss.

BAUERNSTIMME: Vielen Dank für das Gespräch


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 337 - Oktober 2010, S. 12
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft -
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(verbilligt auf Antrag 26,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. November 2010