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FRAGEN/006: Fällt die Quote, könnte Milch auch knapp werden (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 337 - Oktober 2010,
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Fällt die Quote, könnte Milch auch knapp werden
Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf sieht für Milcherzeuger durchaus gute Möglichkeiten, ihren Einfluss zu erhöhen

Von Ulrich Jasper


BAUERNSTIMME: Vor einem Jahr gab es den zweiten europäischen Milchstreik. Aber Brüssel und Berlin betreiben weiter stur die Liberalisierung des Milchmarktes. Ist der Kampf der Milchbauern verloren?

GRAEFE ZU BARINGDORF: Nein, so eine Auseinandersetzung geht nicht einfach zu Ende. Sie tritt in eine andere Phase. Es geht auch nicht um eine schlichte Liberalisierung.

BAUERNSTIMME: Aber die EU zieht sich doch Schritt für Schritt aus dem Milchmarkt zurück.

GRAEFE ZU BARINGDORF: Ziel ist aber nicht ein Mehr an Marktfreiheit für die Milcherzeuger, sondern über faktische Molkereiquoten eher noch mehr Macht für die Milchindustrie. Die EU-Kommission hat im Jahr 2007 die Erhöhung der Milchquoten doch nicht deshalb vorgeschlagen, weil sie an Liberalisierung dachte, sondern weil sie die Milchpreise von 40 Cent und mehr beenden wollte. Sie wollte den Preis nach unten drücken. Die Interventionslager waren leer, also konnte sie den Preisanstieg nicht wie üblich mit Lagerverkäufen stoppen. Ihr blieb in ihrer Absicht nichts anderes, als Erzeugungsmenge freizugeben, d.h. die Quote auszudehnen. Das Ergebnis fiel ihr mit Milchpreisen von 18 Cent wahrscheinlich selbst zu hart aus. Aber es ändert nichts an der Absicht der Kommission - und der Milchindustrie - und daran, dass das alles innerhalb der bestehenden Quote vollzogen worden ist.

BAUERNSTIMME: Dennoch sieht derzeit alles danach aus, dass die Quote 2015 ausläuft und die EU dann die Menge nicht mehr steuert.

GRAEFE ZU BARINGDORF: Dass die Quote ausläuft, ist ihr Plan. Aber erstens heißt das nicht, dass die bisherige Quote zum Schutz der bäuerlichen Milcherzeuger eingesetzt worden wäre. Im Gegenteil, das wurde uns ja schmerzhaft vorgeführt. Seit 1984 sind zwei Drittel aller Milcherzeuger ausgeschieden. Zweitens heißt das nicht, dass die Sache für die Bauern verloren und für die Molkereien geritzt wäre, wenn die Quote auslaufen sollte.

BAUERNSTIMME: Also alles halb so schlimm?

GRAEFE ZU BARINGDORF: Nein, sondern es kommt darauf an, das Feld nicht der Milchindustrie und dem Bauernverband zu überlassen, sowohl mit einem staatlichen Quotensystem als auch ohne. Ein Quotensystem spielt genauso wenig automatisch den Milchbauern in die Hände wie ein Quoten-Ende den Molkereien.

BAUERNSTIMME: Die Milchindustrie ist aber der größte Befürworter eines Quoten-Endes.

GRAEFE ZU BARINGDORF: Das stimmt, aber wie die Molkereien derzeit vorgehen zeigt, dass sie Sorge haben, in Zukunft nicht ausreichend Milch zu bekommen. Für den einzelnen Milcherzeuger war nicht zuletzt der Kapitalwert der Quote ein Anreiz, die Quote vollzumelken. Die Molkereien konnten also ziemlich sicher planen. Ein Wegfall der Quote macht die Mengenplanung für die Molkereien unsicherer. Hinzu kommt, dass ein im Vergleich zum Milchpreis steigender Ölpreis es für die Betriebe zunehmend lukrativer machen könnte, mit dem Mais nicht erst die Kuh, sondern direkt die Biogasanlage zu füttern. Die Wahrscheinlichkeit, dass Milch in der EU insgesamt knapp werden wird, ist real. Denn keine andere Region der Welt kann Europa ausreichend mit Milch versorgen.

BAUERNSTIMME: Aber die Anlieferungen innerhalb der EU gesamt steigen seit Monaten wieder, in NRW liegen sie sogar acht Prozent über dem Vorjahr.

GRAEFE ZU BARINGDORF: Ja, aber es ist schon jetzt klar, dass die steigende Menge den Preis wieder unter Druck setzen wird - übrigens innerhalb der über den Bedarf angesetzten Quote. Die Milcherzeugung wird sich in der EU nach dem Ende der staatlichen Quote erst richtig verändern. In einigen Betrieben und Regionen steigt die Erzeugung noch erheblich an, in anderen droht sie aber ganz flachzufallen. Die Molkereien gehen jedenfalls davon aus, dass sie sich jetzt schon Milch sichern müssen. Deshalb beginnen die Molkereien, "ihre Milcherzeuger" mit sehr einseitigen Verträgen an sich zu binden. Deshalb finanzieren sie neue Ställe in Größenordnungen, dass die Betriebe nie mehr aufhören können zu melken. Und wie ernst sie die Konkurrenz Biogas nehmen, zeigt die niederländische Genossenschaft FrieslandCampina. Die bietet ihren Mitgliedern Energie-Abnahmeverträge an, wenn sie gleichzeitig weiterhin Milch erzeugen. Das Interesse der Molkerei besteht also nicht darin, die Energie zu bekommen, sondern die Bauern zu binden, weiterhin auch Milch zu erzeugen.

BAUERNSTIMME: Dann können die Milcherzeuger also in Ruhe die Verknappung abwarten?

GRAEFE ZU BARINGDORF: Die Beispiele zeigen, dass die Milchindustrie sich auf eine mögliche neue Situation am Markt bereits intensiv einstellt. Relative Knappheit führt nicht automatisch zu einer besseren Position der Milchbauern am Markt. Auch dies zeigte sich im Jahr 2007. Als der BDM mit einem Milchstreik drohte, erhöhten die Handelsketten den Milchpreis und die Molkereien und selbst der Bauernverband mussten der Forderung des BDM nachgeben. Mit der gemeinsamen Streikandrohung im BDM traten die Milchbauern erstmals als wirksame Marktmacht auf. Das zweite Mal waren sie beim Streik als eigenständige Akteure am Markt aktiv und wirksam. Das hatte so eine Kraft, dass die Politik in Deutschland ins Trudeln kam. Ich erinnere an den Milchgipfel unter dem damaligen Bundesminister Seehofer, der mit öffentlicher Zustimmung aller Bundesländer alle politischen Forderungen des BDM übernommen hatte.

BAUERNSTIMME: Das endete aber nach der Bayernwahl im Wortbruch des Bundesrats.

GRAEFE ZU BARINGDORF: Ja, aber nicht weil der Streik nicht erfolgreich gewesen wäre, sondern weil versäumt worden ist, die gewonnene Marktmacht dauerhaft abzusichern.

BAUERNSTIMME: Man kann ja nicht ständig streiken.

GRAEFE ZU BARINGDORF: Richtig, damit muss man sorgsam umgehen. Aber wenn es gut läuft, muss man vorsichtig werden. Der erfolgreiche Streik hätte der Auftakt werden müssen, um die Bündelung der Milch am Markt aufzubauen. Das Milch Board musste ins Zentrum rücken. Denn die Politik reagiert nicht auf gute Argumente, sondern nur auf ökonomische Macht, es sei denn, der Druck der Straße wird zu groß.

BAUERNSTIMME: Das Milch Board existiert, aber die Bündelung stockt seit längerem bei 30 Prozent der Milcherzeuger.

GRAEFE ZU BARINGDORF: Das Milch Board entwickelt bisher keine Marktmacht. Das liegt aber nicht an der Prozentzahl. 30 Prozent ist doch schon was. Damit muss man so arbeiten, wie man mit 30 Prozent wirken kann. Der Fehler ist, dass das Milch Board sich unpolitisch gibt. Es ist aber das zentrale strategische Instrument des BDM, um den Milcherzeugern Marktmacht und damit auch politisches Gewicht zu geben. Das zu verschweigen, um auf Samtpfoten beim Bauernverband Mitglieder fischen zu wollen, kann nur scheitern.

BAUERNSTIMME: Was steht also nun an?

GRAEFE ZU BARINGDORF: Wie gesagt, die Aussichten am Markt sind so schlecht nicht. Die Möglichkeiten müssen genutzt werden. Solange das Milch Board als bundesweite Bündelung am Markt nicht wirksam ist, muss die Auseinandersetzung an vielen Stellen regional geführt werden, und zwar öffentlich sichtbar. Die Milcherzeuger müssen sich, wo immer möglich, vor Ort zusammensetzen und dem Vorgehen der Molkereien etwas entgegensetzen. Das kann die Überlegung sein, Liefer- oder Erzeugergemeinschaften zu gründen oder bestehende zu erweitern und sie zu verletzen. Und das Verhalten der einzelnen Milchindustrien gegenüber den berechtigten Interessen der Bauern und Verbraucher muss öffentlich publiziert werden. Wenn z.B. deutlich wird, dass der Milchkonzern Müller-Milch mit Gerichtsverfahren Bauern in die Knie zwingen und Verbraucherinnen und Verbraucher mit Gen-Milch an der Nase herum führen will, könnte der Slogan "Alles Müller" zu einer Antiwerbung mutieren. Der Markt ist sensibel auch für soziale Qualitäten.

BAUERNSTIMME: Ist politische Arbeit Nebensache?

GRAEFE ZU BARINGDORF: Dies ist politische Arbeit. Politische Macht erwächst aus Markt-Macht. Je früher wir daran arbeiten, umso größer sind die Möglichkeiten, auch politisch etwas zu bewegen. Die letzte Messe ist noch längst nicht gelesen.

BAUERNSTIMME: Vielen Dank für das Gespräch


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 337 - Oktober 2010, S. 5
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. November 2010