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FRAGEN/005: "Mehr produzieren ist ja kein Wert für sich" - Interview mit Hermann-Josef Tenhagen (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 335 - Juli/August 2010
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

"Mehr produzieren ist ja kein Wert für sich"
Hermann-Josef Tenhagen, Chefredakteur beim Finanztest im
Interview zu Finanzkrise, landwirtschaftlichen Preisen und Märkten

Von Marcus Nürnberger


UNABHÄNGIGE RAUERNSTIMME: Herr Tenhagen, Sie sind auf einem Hof groß geworden. Haben Sie nie in Betracht gezogen, den elterlichen Betrieb zu übernehmen?

HERMANN-JOSEF TENHAGEN: Meine Eltern bewirtschafteten einen Betrieb am Niederrhein. Wir sind drei Jungen. Als wir so um die zwanzig waren, haben wir drei die Hofnachfolge unter uns abgesprochen. Mein Bruder, der heute Tierarzt ist, und ich wollten den Betrieb nicht übernehmen. Heute bewirtschaftet unser jüngster Bruder den Betrieb, und führt die Familientradition, die bis in 17. Jahrhundert zurückreicht, fort.

UNABHÄNGIGE RAUERNSTIMME: Sie waren dann lange bei der TAGESZEITUNG?

HERMANN-JOSEF TENHAGEN: Ich wollte immer Journalist werden und habe in Bonn und Amerika studiert. Meine erste Stelle war bei einer Nachrichtenagentur, dann kam ich zur TAZ nach Berlin. Bevor ich 1999 als Chefredakteur zum Finanztest kam, habe ich noch einen Abstecher zur Badischen Zeitung gemacht.

UNABHÄNGIGE RAUERNSTIMME: Beim Finanztest geht es viel um Zahlen. Ist das nicht sehr trocken?

HERMANN-JOSEF TENHAGEN: Es gibt zwei Dinge, die man braucht. Man muss Lust auf Zahlen haben, denn wenn man die Erotik von Zahlen nicht erkennen kann, findet man keinen Zugang. Das zweite, was man braucht, ist das Robin-Hood-Gen. Bei der Stiftung Warentest hilft man Verbraucherinnen und Verbrauchern, sich gegen große Unternehmen zur Wehr zu setzten. Hier arbeiten zu können ist ein unheimliches Privileg.

UNABHÄNGIGE RAUERNSTIMME: Von Wirtschaftsliberalen wird immer behauptet, der Markt regelt sich selbst durch Angebot und Nachfrage. Warum bedarf es solcher Zeitungen wie dem Finanztest?

HERMANN-JOSEF TENHAGEN: Im Grunde helfen wir dem Markt zu funktionieren. Markt beschreibt eigentlich eine Gleichgewichtssituation. Die Handelnden auf der einen und der andern Seite sind möglichst gleich stark und haben die gleichen Informationen. Deswegen kommt es zu einem fairen Geschäft. In der Realität ist das häufig nicht so. Bei der Stiftung Warentest versuchen wir, ein bisschen näher an dieses Ideal heranzukommen.

UNABHÄNGIGE RAUERNSTIMME: Ist Markt nicht immer ein Ort für Geschäftemacher, Unternehmer, Händler?

HERMANN-JOSEF TENHAGEN: Nach Adam Smith, dem englischen Philosoph und Begründer der klassischen Volkswirtschaftslehre, ist der Markt für die Verbraucher da und nicht für die Firmen. Es geht nicht um den Erhalt irgendeiner Firma, sondern darum, dass die Leute die besten Produkte zu einem günstigen Preis bekommen. Das ist die Aufgabe des Marktes. In der Praxis funktioniert das an ganz vielen Stellen nicht, was daran liegt, dass der Wissensstand der beiden Marktteilnehmer unterschiedlich ist.

UNABHÄNGIGE RAUERNSTIMME: Die Finanzkrise hat sensibilisiert. Viele Menschen machen sich Sorgen um die Sicherheit ihrer Ersparnisse. Gibt es einen Trend hin zu Sachwerten z.B. Gold bzw. Land?

HERMANN-JOSEF TENHAGEN: Es gibt eine Sachwertediskussion. Ob es ein Trend ist kann ich nicht beurteilen. Gegen Sachwerte für einen Teil des Vermögens ist nichts einzuwenden. Ob die Idee, im Sinne von Rendite, gut ist muss gesondert beurteilt werden und hängt natürlich stark von dem konkreten Sachwert ab. Da sind Aktien von Firmen, Immobilien oder Gold sehr unterschiedlich zu bewerten.

UNABHÄNGIGE RAUERNSTIMME: Gibt es nicht auch das Bestreben, sein Geld einfach nur inflationssicher anzulegen, auch wenn man dann keine Rendite hat?

HERMANN-JOSEF TENHAGEN: Das stimmt. In Deutschland gibt es eine Angst vor Hyperinflation. Das hat psychologische Gründe. In anderen Ländern gibt es diese Angst nicht. Weder bei den Briten noch bei den Amerikanern. Dort gibt es eine Angst vor Deflation. Deren Krisenerfahrung der 30er Jahre war eine Deflationserfahrung. Die Preise sind immer weiter gefallen und die Leute haben darauf gewartet, dass alles noch billiger wird. Dann sind die Firmen pleite gegangen, die Menschen sind arbeitslos geworden. Eine Spirale nach unten.

UNABHÄNGIGE RAUERNSTIMME: Und in Deutschland ist man froh, wenn man einen Schrebergarten für Notzeiten hat.

HERMANN-JOSEF TENHAGEN: Hier gab es die Erfahrung der Hyperinflation in den 20er Jahren, die sich scheinbar vererbt hat. Es gibt gute Argument für Sachwerte. Einfach, um das Risiko zu verteilen. Die Diskussion in Deutschland hat aber einen hysterischen Zug. Für alle, die sie nicht für Hysterie halten, ist der Schrebergarten aber allemal besser als der Goldbarren. Von dem kann man sich zumindest selber ernähren.

UNABHÄNGIGE RAUERNSTIMME: Der nationale Selbstversorgungsgrad übernimmt ja in gewisser Weise die Rolle des Schrebergartens. Wird die nationale Selbstversorgung in Zukunft an Bedeutung gewinnen?

HERMANN-JOSEF TENHAGEN: Das kann man aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten. Wir leben heute Gott sei Dank als Europäer, nationale Selbstversorgung ist ein Konzept aus einer anderen Zeit. Das spricht überhaupt nicht gegen regionalisierte Märkte mit regionalen Produkten. Aber ich möchte natürlich auch in Zukunft ein Europa, bei dem wir Waren austauschen und unsere Oliven problemlos aus 'Spanien bekommen können. Diese Strukturen sollte man erhalten. Dieser Austausch ist erst mal gut.

UNABHÄNGIGE RAUERNSTIMME: Oftmals sind Produktionsbedingungen durch Land- und Wasserverbrauch oder Pestizideinsatz katastrophal. Ist es nicht höchste Zeit, ökologische Produktionsstandards einzuführen?

HERMANN-JOSEF TENHAGEN: Klar müssen wir unsere Lebensgrundlagen schützen. Für die bäuerliche Landwirtschaft ist aber die Frage nach regionaler Wirtschaft viel entscheidender als die Ökofrage. Wenn man den ökologischen Fußabdruck von argentinischem Rindfleisch mit Rindfleisch aus Oberbayern vergleicht, ist nicht ausgeschlossen, dass das aus Argentinien, trotz des Transports im Kühlschiff, besser abschneidet.

UNABHÄNGIGE RAUERNSTIMME: Es geht also um regionale Kreisläufe?

HERMANN-JOSEF TENHAGEN: Regionale Ökonomie muss darstellen, warum sie für den Verbraucher besser ist. Und schon ist man wieder beim Markt. Da sind die Bauern auf der anderen Seite. Sie sind keine Verbraucher, sondern Anbieter und müssen den Verbraucherinnen und Verbrauchern vermitteln, warum sie ihren Schweineschinken kaufen sollen und nicht den vom anderen Ende der Welt. Diese Gedanken muss sich die Landwirtschaft machen.

UNABHÄNGIGE RAUERNSTIMME: Es gib in der EU ein Zeichen für Produkte mit geschütztem Ursprung. Hilft das den regionalen Märkten?

HERMANN-JOSEF TENHAGEN: Wenn man Regionalität vermarkten will, dann muss man sie auch pflegen und sehen, wie man damit auf dem Markt ankommt. Dass der Schwarzwälder Schinken aus einem bestimmten Gebiet kommen muss, ebenso wie der EdamerKas, hilft der Regionalität mehr als so manche Genossenschaft, die für die Intervention produziert hat.

UNABHÄNGIGE RAUERNSTIMME: Ist das nicht schon seit vielen Jahren bekannt? Regionalvermarktung ist ja kein ganz neues Thema mehr?

HERMANN-JOSEF TENHAGEN: Ökoverbände und die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft haben die Bedeutung von Regionalität tatsächlich erkannt. Der Gedanke muss sich aber noch weiter verbreiten. Auf den Höfen muss man verstehen, dass das die einzige Möglichkeit zur Sicherung einer bäuerlichen Landwirtschaft ist. Als andere Möglichkeit bleibt nur Immer-größer-werden, die industrielle Landwirtschaft. Im Zweifelsfall hängt man dann am Fliegenfänger bestimmter Nahrungsmittelkonzerne.

UNABHÄNGIGE RAUERNSTIMME: Die Stiftung Warentest hat in einer ihrer letzten Ausgaben von test eine Zusammenfassung aller vergangenen Tests von Ökoprodukten gemacht und kam zu dem Ergebnis, dass Öko zwar Stärken, aber auch Schwächen hat. Wo liegen aus Sicht der Produzenten Ihrer Meinung nach die Stärken?

HERMANN-JOSEF TENHAGEN: Das was ökologische Landwirtschaft besonders macht ist, dass sie ein Markenbewusstsein geprägt hat. Sie versucht zu zeigen, wie und wo das Produkt hergestellt wird und welche Qualität es hat.

UNABHÄNGIGE RAUERNSTIMME: Sie arbeiten ja mit einem Fokus auf den Verbrauchern. Wenn man sich die großen Supermarktketten anschaut, dann leben die ja in besonderer Weise von der Anonymisierung der Ware. Sehen Sie eine Möglichkeit, dass man diesen Prozess umdreht oder bleibt die Direktvermarktung ein Nischenmarkt?

HERMANN-JOSEF TENHAGEN: Da muss man mit der spezifischen Produktpalette dran arbeiten. Wenn Sie in Österreich in einen Supermarkt gehen, dann steht an dem Produkt von welchem Bauern das Fleisch ist. Das wäre für Deutschland auch wünschenswert. Was die Qualitäten betrifft muss man sagen, dass die großen Ketten wie Aldi und LIDL beim Qualitätsmanagement durchaus auch mal Maßstäbe setzen.

UNABHÄNGIGE RAUERNSTIMME: Die derzeitige Agrarpolitik, so könnte man glauben, will die abnehmende Hand stärken. Die derzeitige Situation der Abhängigkeiten wird dadurch noch weiter gestärkt. Müsste man hier nicht von Seiten der Politik andere Schwerpunkt fördern?

HERMANN-JOSEF TENHAGEN: Nein, aus Verbrauchersicht nicht. Warum soll ich einem Landwirt, der sagt er will statt 200.000 300.000 Liter Milch produzieren mehr bezahlen, wenn keiner die Milch braucht. Mehr produzieren ist ja kein Wert für sich.

UNABHÄNGIGE RAUERNSTIMME: Viele Bauern klagen über zu geringe Lebensmittelpreise und begründen damit die Notwendigkeit von Subventionen.

HERMANN-JOSEF TENHAGEN: Die Landwirtschaft muss von sich aus zeigen, warum sie etwas teurer verkaufen will. Subventionen von staatlicher Seite machen dann Sinn, wenn man von etwas nicht genug hat und die Produktion anregen will. In der konkreten Situation haben wir zu viel von etwas, liefern die Überschüsse noch nach Afrika und zerstören dort die Märkte.

UNABHÄNGIGE RAUERNSTIMME: Derzeit stehen in Europa die Verhandlungen zur GAP nach 2013 an. Welche Leistungen sind es wert, in Zukunft gefördert zu werden?

HERMANN-JOSEF TENHAGEN: Erst wurde Menge unterstützt. Dann wurde begonnen, auf Flächen Prämien oder Subventionen zu zahlen. Wenn man Subventionen auch weiterhin für gut befindet, dann können das nur Produktionsverfahren sein, die besonders ökologisch und/oder regional sind.

UNABHÄNGIGE RAUERNSTIMME: Vielen Dank für das Gespräch.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 335 - Juli/August 2010, S. 12-13
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. August 2010