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FRAGEN/001: "Lebensmittel - Eine Welt voller Spannung" - Interview mit Claire Schaffnit-Chatterjee (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 328 - Dezember 2009,
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

"Lebensmittel - Eine Welt voller Spannung"
Die Deutsche Bank analysiert den Agrarsektor. Die Ergebnisse ähneln denen des Weltagrarberichts.

Ein Interview mit der Autorin Dr. Claire Schaffnit-Chatterjee


UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Weshalb hat die Deutschen Bank eine eigene Analyseabteilung?

DR. SCHAFFNIT-CHATTERJEE: Fundierte Einschätzungen der Zukunft sind Basis nahezu aller Geschäftsaktivitäten einer Bank. Deutsche Bank Research analysieren neben aktuellen Entwicklungen in Wirtschaft und Kapitalmärkten daher auch langfristige Trends in Wirtschaft und Gesellschaft. Dies ist nicht. nur für die Strategie der Bank, sondern auch für die fundierte Beratung unserer Kunden wichtig.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Konkrete Handlungsvorschläge ergeben sich aus diesem Report aber nicht?

DR. SCHAFFNIT-CHATTERJEE: Das war nicht das Ziel dieser Publikation. Den Kollegen, die konkrete Handlungsoptionen entwickeln, dienen unsere Ergebnisse als Grundlage, die im Dialog weiter entwickelt werden.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Wo sehen Sie die größten Probleme?

DR. SCHAFFNIT-CHATTERJEE: Wir können nicht mehr so weitermachen wie bisher. Zu viele Menschen hungern. Die Umweltzerstörung nimmt ständig zu. Ein wichtiger Aspekt ist auch die Knappheit von Lebensmitteln und Ressourcen, die weiter zunehmen wird.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Und wahrscheinlich auch die bis 2050 auf neun Milliarden Menschen steigende Bevölkerungszahl?

DR. SCHAFFNIT-CHATTERJEE: Ja genau. Deshalb muss die landwirtschaftliche Produktivität weiter steigen. Aber nicht um jeden Preis. Sie muss umwelt- und gesellschaftsverträglich entwickelt werden.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: In dem Bericht stellen Sie fest, dass Exportbeschränkungen grundsätzlich negative Auswirkungen haben. Ist ein grenzenloser Markt das Ziel?

DR. SCHAFFNIT-CHATTERJEE: Eigentlich geht es um die Importbeschränkungen der Industrieländer und die Subventionierung ihrer landwirtschaftlichen Exporte. Diese reduziert den Wettbewerb, schneidet die Entwicklungsländer von wichtigen Einkommensmöglichkeiten ab und erhöht die Kosten für die Steuerzahler und die Konsumenten bei uns.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Sollte man also alle Regeln abschaffen?

DR. SCHAFFNIT-CHATTERJEE: Es geht nicht um die Abschaffung von Regeln, die es selbstverständlich geben muss. Aber Markteingriffe, wie Exportsubventionen, widersprechen nun gerade den Regeln des freien und fairen Marktes. Sie sollten daher abgeschafft werden. Allerdings kann es sinnvoll sein, Kriterien für Markteingriffe zu definieren.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: An welche Kriterien dachten Sie?

DR. SCHAFFNIT-CHATTERJEE: Wenn es beispielsweise witterungsbedingte Knappheiten bei bestimmten Produkten gibt, ist der Preisanstieg für arme Bevölkerungsschichten in den Entwicklungsländern häufig existenzbedrohend. Hier muss man eingreifen können - etwa durch zentrale Bevorratungsprogramme -, um derartige Verknappungen zu verhindern.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Sie beschreiben in Ihrer Studie, dass 969 Millionen Menschen von weniger als einem US$ pro Tag leben müssen. Ein Aspekt der Marktöffnung soll es sein, dass sich insbesondere die Situation dieser Menschen verbessert. Wie kann man sich das vorstellen?

DR. SCHAFFNIT-CHATTERJEE: Viele dieser Menschen können nur in der Landwirtschaft Einkommen erzielen. Werden sie durch Importbeschränkungen der Industrieländer oder durch die Vorenthaltung von Ressourcen, beispielsweise durch land-grapping daran gehindert, ist ihnen der Weg aus der Armut versperrt.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Welche Möglichkeiten gibt es zu verhindern, dass nur eine kleine, elitäre Schicht von den Gewinnen der Landwirtschaft profitiert?

DR. SCHAFFNIT-CHATTERJEE: Wir brauchen eine Steigerung der Produktion und einen schonenden Umgang mit der Umwelt. Ich glaube, es ist eindeutig, dass wir dafür kleine, gut vernetzte Strukturen brauchen. Die Kleinbauern werden also immer wichtiger. Um eine Benachteiligung durch z.B. Großgrundbesitzer zu vermeiden, muss es für die Bauern Möglichkeiten geben sich zusammenzuschließen, damit sie mehr Macht am Markt bekommen und ein besseres Einkommen erzielen können.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Sie schreiben, dass der Zugang zu erschwinglichen Krediten für viele Kleinbauern derzeit nicht gewährleistet ist. Dies sei aber ein wichtiger Faktor, um zu effektiven Produktionsstrukturen zu gelangen.

DR. SCHAFFNIT-CHATTERJEE: In vielen Ländern unterscheiden sich die Strukturen, in denen die Bevölkerung lebt, extrem von den europäischen. Das muss ein System zur Kreditvergabe berücksichtigen. Mikrokredite könnten hier eine Lösung sein. Das funktioniert schon heute. Gefördert werden Gruppen, die auf anderem Weg keinen Kredit erhalten, vor allem Frauen. Nicht selten arbeiten Finanzinstitute dabei beispielsweise mit Nichtregierungsorganisationen bei der Vergabe zusammen. Erstere stellen Kredite bereit und verteilen die Risiken, Letztere kümmern sich um Überwachung der Rückzahlungen. In Indien gibt es eine Partnerschaft zwischen einer großen Bank und einem Mikrokreditinstitut. Das funktioniert sehr gut.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Sie sprechen die Notwendigkeit einer Produktionssteigerung an. Welche Rolle kommt dabei der Biotechnologie zu? Plädieren Sie für einen Einsatz gentechnisch veränderter Pflanzen und Tiere?

DR. SCHAFFNIT-CHATTERJEE: An dieser Stelle muss man unterscheiden zwischen Biotechnologie im Allgemeinen und gentechnisch veränderten Organismen. Biotechnologie im Allgemeinen ist notwendig, weil wir besseres Saatgut brauchen. Bei den gentechnisch veränderten Organismen sollte man genau abwägen. In einigen Fällen könnten sie eventuell nützlich sein. Aber hier bedarf es noch genauerer Kenntnisse. Vor allem, wenn es um die geistigen Eigentumsrechte geht, muss die Situation ganz eindeutig geklärt sein. Man kann beispielsweise die Bauern nicht zwingen, jedes Jahr neues Saatgut zu kaufen, weil die Rechte daran einem großen Unternehmen gehören.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Wie verträgt sich diese Forderung nach strengen Regelungen mit der, die Märkte zu liberalisieren?

DR. SCHAFFNIT-CHATTERJEE: Es gibt in der Markttheorie den Begriff der "common goods", die der Allgemeinheit gehören, dazu zählt beispielsweise das Recht auf eine saubere Umwelt. Einzelne können derartige Güter und Rechte nicht einfach für sich requirieren. Auch ein liberalisierter Markt kann nur funktionieren, wenn die Eigentumsrechte Einzelner oder eben in diesem Falle der Allgemeinheit geschützt werden.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Die Knappheiten im Lebensmittelbereich nehmen eine zentrale Position in Ihrem Bericht ein. Als mögliche Reaktion auf zu erwartende Lebensmittelverknappungen empfehlen Sie zu prüfen, ob ein globaler Ansatz zur Lebensmittelsicherung möglich ist. Bedeutet dies, dass man langfristig Organisationen, ähnlich der Weltbank oder dem Internationalen Währungsfonds im Finanzbereich für die Landwirtschaft einführt?

DR. SCHAFFNIT-CHATTERJEE: Es bedarf wohl nicht unbedingt neuer Institutionen, allerdings muss über neue Lösungsansätze nachgedacht werden, die dann auch von den einzelnen Ländern akzeptiert und implementiert werden müssen.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Wie ist denn das interne Feedback auf einen solchen Bericht?

DR. SCHAFFNIT-CHATTERJEE: Die Resonanz war sehr positiv. Diese Studie analysiert die aktuelle Situation und beschreibt die zukünftigen Herausforderungen und mögliche Lösungsansätze. Für alle Investoren, die sich im Bereich Agrobusiness engagieren, bietet sie eine wichtige Informationsgrundlage.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Vielen Dank für das Gespräch


Dr. Claire Schaffnit-Chatterjee ist Senior Analyst für Macro Trends bei der Deutsche Bank Research


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 328 - Dezember 2009, S. 5
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
Telefon: 02381/49 22 20, Fax: 02381/49 22 21
E-Mail: redaktion@bauernstimme.de
Internet: www.bauernstimme.de

Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,00 Euro
Abonnementpreis: 36,00 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 26,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Januar 2010