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INTERNATIONAL/061: Argentinien - Für jeden Schüler einen Computer, Regierung will digitale Kluft überbrücken (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. August 2015

Argentinien: Für jeden Schüler einen Computer - Regierung will digitale Kluft überbrücken

von Fabiana Frayssinet


Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

Die Lehrerin Graciela Fernández Troiano und ihre Schüler in der argentinischen Stadt La Plata
Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

LA PLATA, ARGENTINIEN (IPS) - Das Gebäude des Colegio Nacional Rafael Hernández ist im strengen neoklassischen Stil des ausgehenden 19. Jahrhunderts gehalten. In die Klassenräume hat jedoch inzwischen das digitale Zeitalter Einzug gehalten. Ein staatliches Programm zur Förderung der sozialen Inklusion hat dafür gesorgt, dass allen Schülern dieser Sekundarschule in der argentinischen Stadt La Plata, etwa 50 Kilometer von Buenos Aires entfernt, Laptops zur Verfügung stehen.

Im ersten Jahr gehen die Kinder in den Computerkursen gleich ans Eingemachte: Sie lernen, wie sie selbst einen Kurzfilm produzieren können. In einem der Filme ist zunächst die imposante zentrale Treppe in dem Gebäude zu sehen. Dann folgen Diskussionen über den oftmals schwierigen Übergang von der Grund- zur weiterführenden Schule.

Schwierig, weil die Kinder häufig in eine ganz neue Umgebung kommen und einander nicht kennen. Hier kommen Schüler aus verschiedenen Grunschulen der Gegend zusammen, erklärt die Lehrerin Graciela Fernández Troiano. "Als wir an diese Schule kamen, kannten wir niemanden", sagt einer der Schüler, Giancarlo Gravang. "Durch das Filmprojekt haben wir uns besser kennengelernt und angefreundet, da wir in Gruppen gearbeitet haben."

Die Zwölf- und Dreizehnjährigen schossen mit ihren Mobiltelefonen oder den Laptops Fotos von Füßen und Treppen und animierten diese am Computer. Ermöglicht wurde dieses Experiment durch das Programm 'Conectar Igualdad' der Nationalen Behörde für Soziale Sicherung.


Seit fünf Jahren werden Laptops verteilt

Seit 2010 werden landesweit an alle Schüler und Lehrer an weiterführenden Schulen und an pädagogischen Fachkollegs Laptops verteilt. "Man kommt mit den Hausaufgaben besser zurecht und kann vieles im Internet suchen", sagt die Schülerin Lourdes Alano.

Bei dem Treppen-Projekt will Fernández Troiano den Schülern beispielsweise Bilder wie 'Haus der Treppen' des niederländischen Künstlers M.C. Escher oder die Kurzgeschichte 'Unterweisung im Treppensteigen' des argentinischen Schriftstellers Julio Cortázar vorstellen. "Den Klassenraum zu verlassen und den Computer an verschiedenen Orten in der Schule zu benutzen, war für sie nicht nur eine Unterhaltung. Sie lernten dadurch auch, sich auf ihre Aufgabe zu konzentrieren und effektiver zu arbeiten."

Die Leiter des Programms sehen kreative, interdisziplinäre Experimente wie das von Fernández Troiano als Beweis dafür, dass ein Zugang zu Computern für alle ein wichtiges didaktisches Instrument sein kann. Laut Silvina Gvirtz, Exekutivdirektorin von 'Conectar Igualdad', kam der Anstoß von Staatspräsidentin Cristina Fernández de Kirchner und ist Teil einer 2006 eingeführten Schulreform, die den Besuch weiterführender Schulen bis zum 18. Lebensjahr vorschreibt.

"Es wird zudem versucht, die digitale Kluft zwischen denjenigen, die Zugang zur Technik haben, und den anderen, denen diese Möglichkeit fehlt, zu verringern. Das oberste Ziel des Projekts ist, soziale Gerechtigkeit zu erreichen und zweitens auch die Qualität der Lehre zu verbessern."


Schüler bringen das Internet zu ihren Familien

"Jeder Jugendliche bekommt einen Computer, ganz gleich, wo er wohnt und woher er stammt", erklärt Daniel Feldman, der Erziehungswissenschaften an der Universität von Buenos Aires lehrt. "Das hat auch Auswirkungen auf das Familienleben. Oft ist der Laptop der Schüler der einzige Computer im Haus, über den alle Familienmitglieder ins Internet gehen. Die Rechner allein können die soziale Ungleichheit zwar noch nicht beseitigen, leisten aber einen Beitrag dazu."


Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

Einer der Laptops, die an alle Schüler an weiterführenden Schulen in Argentinien verteilt werden
Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

Es sei schön, die Kinder mit ihren Laptops vor den Schulen zusammen am Rand des Bürgersteigs sitzen zu sehen, sagt der Professor. "Gleich, ob sie lernen, spielen oder chatten - sie haben jetzt alle dazu Zugang. Das ist eine erste große Veränderung."

Früher hätten die Lehrer etwas an die Wandtafel geschrieben, sagt Gvirtz. "Mit Hilfe unseres neuen Programms sehen die Schüler jetzt am Computer, wie sich Atome zu einem Molekül zusammenfügen. In einer Ballettschule filmten sich die Mädchen gegenseitig, um zu analysieren, welche Fehler sie machten."

Feldman ist zwar davon überzeugt, dass der Computer beispielsweise Museumsbesuche nicht ersetzen kann. Die Schüler könnten auf diese Weise aber auf historische und wissenschaftliche Quellen zugreifen. Somit befinde sich eine riesige Menge an Informationen in ihrer Reichweite.

Die Ausbildung der Lehrer in Informationstechnologien ist in dem Land mit rund 42 Millionen Einwohnern, von denen fast zwölf Millionen zur Schule gehen, ebenfalls eine große Herausforderung.

'Conectar Igualdad' hat darüber hinaus der Computerindustrie in dem südamerikanischen Land zu einem neuen Aufschwung verholfen. Seit dem Start des Programms sind zehn weitere Fabriken eröffnet worden. Bei öffentlichen Ausschreibungen werden mehr im Inland hergestellte Computerteile, fortgeschrittene Technologien, größerer Speicherplatz und eine bessere Bildauflösung verlangt. Die Notebooks arbeiten mit Windows und 'Huayra', einem auf Linux basierenden Open-Source-Betriebssystem.

"In Argentinien wollen wir sowohl Produzenten als auch intelligente Nutzer von Technologien sein", sagt Gvirtz. Mit den Eltern der Schüler werde vor der Ausgabe der Laptops ein Leihvertrag abgeschlossen. Wenn sie ihren Schulabschluss schaffen, dürfen die Jugendlichen die Computer behalten. (Ende/IPS/ck/17.08.2015)


Links:

http://www.ipsnews.net/2015/07/digital-era-here-to-stay-in-argentinas-classrooms/
http://www.ipsnoticias.net/2015/07/la-era-digital-llego-para-quedarse-a-las-aulas-argentinas/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 17. August 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. August 2015

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